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VORWÄRTS/686: Eine Niederlage, die weh tut


vorwärts - die sozialistische zeitung, Nr. 37/38/2010 vom 9. Oktober 2010

Eine Niederlage, die weh tut


sit. Der Sozialabbau auf Kosten der Erwerbslosen konnten am 26. September nicht verhindert werden. Das Komitee der Direktbetroffenen kritisiert auch die Gewerkschaften und die linke Parteien, die im Abstimmungskampf praktisch unsichtbar blieben.


"Bittere Niederlage" schreibt die Partei der Arbeit zur Abstimmungsniederlage bei der AVIG-Revision und fügt hinzu: "Die Niederlage kann nicht schön geredet werden. Sie ist ein Rückschlag im Kampf gegen den Sozialabbau in der Schweiz." Grosse Enttäuschung auch bei den Gewerkschaften und der SP. Die Gewerkschaft Unia versucht nun die Einführung der Verschlechterungen bei der Arbeitslosenversicherung (ALV) um sechs Monate hinauszuzögern. Für die SP ist der Röstigraben "besorgniserregend". Der Bundesrat habe in der Abstimmungskampagne mit "unbedachten Äusserungen diesen verschärft, statt sich um den nationalen Zusammenhalt zu kümmern." Umso wichtiger ist für die Sozialdemokraten daher, dass "der Bundesrat bei der Umsetzung des Entscheids den heute offensichtlich gewordenen Sprachengraben berücksichtigt." Für das Abstimmungskomitee "Nein zur AVIG-Revision" geht "die Politik der Ausgrenzung" weiter. Das Komitee kritisiert auch die vermeintlichen Bündnispartner: "In der Kampagne der Gewerkschaften und Linksparteien wurden die Arbeitslosen mehrheitlich als anonymer und willenloser Bodensatz der Gesellschaft dargestellt." Nach der Schelte ruft das Komitee jedoch zum weiteren Widerstand auf: "Trotzdem ist es nicht aussichtslos, weiter von unten an den Stuhlbeinen der Macht zu sägen: Mit Kreativität wie dem Aufbau von unabhängigen Kleinökonomien, zivilem Ungehorsam, Boykott der Mainstream-Medien und der unsozialen Grosskonzerne sowie hartäckigem Einfordern der Grund- und Menschenrechte. Die Mächtigen sind nur so lange mächtig, solange wir ihre Macht akzeptieren und sie auch noch dafür bewundern."

Einer der Gründe der Niederlage ist die tiefe Wahlbeteiligung. Doch was heisst das? Verglichen mit der Abstimmung vom 7. März, als an der Urne der Rentenklau durch die Senkung des Umwandlungssatzes bei den Pensionskassen verhindert wurde, stimmten zehn Prozent weniger ab. Bei der Frage der Pensionskasse wussten viel mehr SchweizerInnen, dass es ihre Rente, sprich ihr Geld betraf. Bei der AVIG-Revision ging es hingegen "nur" um die Arbeitslosen. Sicher spielte hier die jahrelange Propaganda eine Rolle, die alle Arbeitslosen als faule Säcke abstempelt. Eine Vorstellung, die in weiten Teilen der Bevölkerung verankert ist. Die Linke konnte dabei nicht aufzeigen, dass von der Revision alle ArbeitnehmerInnen betroffen sind: Jede Verschlechterung der Arbeitslosenversicherung ist ein Steilpass für die Arbeitgeber, um die bestehenden Arbeitsverhältnisse zu verschlechtern. Statt auf diese zentrale Botschaft setzte man im Abstimmungskampf auf die Abzocker-Schiene. Die Rechnung ging nicht auf und die Schlussfolgerung ist einfach: Geht es nicht um die eigene Brieftasche, interessiert die Abstimmung auch die Linken weniger.


Millionen gegen vierstelligen Frankenbetrag

Ein weiterer Grund der Niederlage ist mit Sicherheit das Geld. Die BefürworterInnen des Sozialabbaus haben eine millionenschwere Kampagne aufgezogen. Im Vergleich dazu, blieben die Direktbetroffenen "mit einem Komitee-Budget von lediglich einem vierstelligen Frankenbetrag (...) praktisch unsichtbar", schreibt das Nein-Komitee. Unsichtbar blieben mit Ausnahme der Unia auch die anderen Gewerkschaften und die SP. Landesweit war kein einziges Plakat zu sehen. Der Schweizerische Gewerkschaftsbund (SGB hatte den Kampf gegen den Abbau bei der ALV als einer der zentralen und wichtigsten Kämpfe im 2010 bezeichnet. "Den Sozialstaat gegen die massierten Angriffe verteidigen sowie Massnahmen für mehr Jobs und mehr Gerechtigkeit. Das ist, was der SGB 2010 prioritär erreichen will", ist mit speziellen Hinweis auf die AVIG-Revision in der Medienmitteilung zur Pressekonferenz vom 5. Januar 2010 des SGB zu lesen. An der Konferenz selber sagte Paul Rechtsteiner, Präsident des SGB: "Die bevorstehenden sozialpolitischen Auseinandersetzungen sind für die Gewerkschaften eine grosse und in diesem Ausmass noch nie da gewesene Herausforderung. Es geht bei diesen Vorlagen aber um weit mehr als um die einzelnen Revisionspakete. Es geht um den Stellenwert des Sozialstaates überhaupt (...)". Gemessen an diesen Worten war die Präsenz in der Öffentlichkeit während des Abstimmungskampfs einfach nur schwach.


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Quelle:
vorwärts - die sozialistische zeitung.
Nr. 37/38/2010 - 66. Jahrgang - 9. Oktober 2010, S. 4
Herausgeberin: Verlagsgenossenschaft Vorwärts, PdAS
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veröffentlicht im Schattenblick zum 28. Oktober 2010