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VORWÄRTS/706: Die ökosozialistische Alternative!


vorwärts - die sozialistische zeitung, Nr. 47/48/2011 vom 22. Dezember 2010

Die ökosozialistische Alternative!

Von Dr. Manuel Kellner


Redaktion. Die "Ökosozialistische Erklärung von Belém" entstand während des Weltsozialforums im Januar 2009 in Brasilien. Die Erklärung versteht sich als "Aufruf zum Handeln" und beginnt mit einem Zitat von Evo Morales, dem Präsidenten von Bolivien: "Die Welt leidet an einem durch den Klimawandel ausgelösten Fieber, und die Krankheit ist das kapitalistische Entwicklungsmodell."


Im ersten Teil wird begründet, warum die Menschheit vor einer Wahl steht: Ökosozialismus oder Barbarei. Die in Kürze beschriebenen schlimmsten Auswirkungen des Zerstörungswerks an den natürlichen Lebensgrundlagen der Menschen werden dem kapitalistischen System angelastet: "Die Verwüstung der Ökosphäre als Resultat des unstillbaren Zwangs zur Steigerung der Profite (...) steckt in der DNS des Systems selbst und kann nicht 'wegreformiert' werden." Die Orientierung am grösstmöglichen Profit bewegt sich in einem Zeithorizont, der mit den Zeiträumen für den Erhalt und die Regenerierung unserer Umwelt unvereinbar ist. Der Zwang zum Wachstum und zur Expansion jenseits der menschlichen Bedürfnisse und zu Lasten gerade des ärmsten und ärmeren Teils der Menschheit untergräbt die natürlichen Lebensgrundlagen. Dies muss entweder zu immer barbarischeren Formen der Klassenherrschaft oder zum Untergang der Menschheit führen.


Unvereinbar mit dem Kapitalismus

Der zweite Teil der Erklärung untersucht die "kapitalistischen Strategien" für einen Wandel insbesondere in Bezug auf den Ausstoss von Treibhausgasen und die Erwärmung der Erdatmosphäre mit ihren drohenden katastrophalen Auswirkungen. Alle diese Strategien verfehlen den Kern des Problems, weil sie die Herrschaft des Kapitals nicht in Frage stellen: "Folgerichtig verbreiten seine PolitikerInnen, BürokratInnen, ÖkonomInnen und ProfessorInnen einen endlosen Strom von Vorschlägen in allen Variationen des Grundthemas, dass nämlich der ökologische Schaden repariert werden könne, ohne mit den Mechanismen des Markts und mit dem Akkumulationssystem, das die Weltwirtschaft bestimmt, zu brechen."

Doch die Erhaltung der Erde und ein profitabler Kapitalismus sind unvereinbar. Schon vor dem desaströsen Scheitern des Klimagipfels von Kopenhagen (Dezember 2009) zeigt die Erklärung auf, warum das in Kyoto Ausgehandelte zum Scheitern verurteilt ist. Der Handel mit Emissionsrechten und die halbherzige Unterstützung "sauberer" Projekte im Süden, um die Verschmutzungen im Norden auszugleichen, machen CO2 zur Ware und drücken sich vor der Notwendigkeit, mit der Energieproduktion auf Basis der fossilen Brennstoffe Schluss zu machen. Auch erneuerbare Energien werden nur insoweit gefördert, als neue Profitquellen erschlossen werden können. Ein radikaler Wandel ist nötig: "Um unsere menschliche Zukunft zu behaupten und zu erhalten, ist eine revolutionäre Umwälzung vonnöten, in der alle die einzelnen Kämpfe sich in einen grösseren gemeinsamen Kampf gegen das Kapital selbst zusammenfinden. Dieser grössere Kampf kann nicht einfach negativ und antikapitalistisch bleiben. Er muss eine andere Art von Gesellschaft propagieren und aufbauen, und die heisst Ökosozialismus."


Kollektive Entscheidungsprozesse

Im dritten und letzten Abschnitt der Erklärung wird deutlich, warum die Unterzeichnenden sich nicht damit begnügen, die Notwendigkeit einer sozialistischen Alternative zu bekräftigen. Auch ein "sozialistischer Produktivismus" wäre keine wirkliche Alternative: "Ökosozialismus bedingt eine revolutionäre soziale Transformation, die die Begrenzung des Wachstums und den Wandel der Bedürfnisse durch eine grundsätzliche Abwendung vom quantitativen Wachstum hin zu qualitativen ökonomischen Kriterien eine Schwerpunktsetzung auf den Gebrauchswert anstatt den Tauschwert bedeutet."

Gefordert werden demokratische und kollektive Entscheidungsprozesse gerade auch auf dem Gebiet der Ökonomie, über Investitionen und technologische Entwicklungen - bei vergesellschafteten Produktionsmitteln. Gleichzeitig eine neue Betrachtung der Ziele der Produktion, bei denen Werte wie die Entfaltung der kreativen Anlagen der Menschen im Vordergrund stehen. Betont wird die Notwendigkeit, ganze Sektoren der Industrie und der Landwirtschaft abzuschaffen, die einem vertretbaren Umgang mit dem Stoffwechsel zwischen der menschlichen Gesellschaft und der Natur entgegenstehen. Unterstrichen wird die Notwendigkeit, dass gerade der am meisten unterdrückte Teil der menschlichen Gesellschaft, die indigenen Völker, die Völker des Südens, die Armen der ganzen Welt an der ökosozialistischen Revolution teilnehmen müssen, damit sie erfolgreich sein kann. "Ebenso ist auch die Geschlechtergleichheit ein integraler Bestandteil des Ökosozialismus (...)".

Die Erklärung endet mit dem Vorschlag "radikaler Transformationen", mit der Forderung, fossile Energieträger und Biotreibstoffe umfassend durch saubere Energiequellen unter Kontrolle der Gemeinden zu ersetzen, die Zahl der privaten Lkw und Pkw drastisch zu reduzieren zugunsten eines kostenfreien öffentlichen Transportsystems, die Entwicklung der Produktion von ausschliesslich nachhaltigen und recyclebaren Gütern und einer "grünen" Architektur, die Beseitigung der Agroindustrie zugunsten lokaler Nahrungsmittelselbstversorgung, nachhaltiger Agroökosysteme und aktiver Wiederherstellung der Bodenfruchtbarbeit.


Die Fragen werden richtig gestellt

"Ohne Illusionen" in die Möglichkeit eines "sauberen Kapitalismus" fügt die Erklärung Sofortforderungen hinzu, für die hier und heute in breiten Bündnissen gekämpft werden kann, wie zum Beispiel "Stopp der Nuklearenergie und der Rüstungsausgaben." Abschliessend betont die Erklärung, dass sie sich als Aufruf zum Handeln versteht. Hoffnung sieht sie nicht "in Konferenzsälen und Vertragsverhandlungen", sondern in der "massenhaften Aktion" gegen die kapitalistischen Grosskonzerne, gegen Ausbeutung, Unterdrückung, Entrechtung, Vergiftung des Bodens, Verbreitung gentechnisch manipulierten Saatguts und so weiter. "Auf allen Ebenen - lokal, regional und international - kämpfen wir für eine Systemalternative, die auf sozialer und ökologischer Gerechtigkeit beruht."

Die Erklärung kann nicht alle drängen Fragen beantworten, die durch das gestiegene ökologische Problembewusstsein aufgeworfenen werden. Doch werden die Fragen richtig gestellt, und die Notwendigkeit eines radikalen Bruchs nicht nur mit der kapitalistischen Klassengesellschaft, sondern auch mit der ganzen bisherigen Art und Weise zu produzieren und zu leben, wird zu Recht unterstrichen. Es handelt sich daher um ein Teil einer weltweiten Reflexion und Koordinierung für einen radikalen ökosozialistischen Wandel zu werden.


DER VORLIEGENDE TEXT WURDE VON DR. MANUEL KELLNER VERFASST UND DIENTE ALS INFORMATION FÜR DIE TEILNEHMERINNEN DER VON SALZ E.V. ORGANISIERTEN ÖKOSOZIALISTISCHEN KONFERENZ. INFORMATIONEN UNTER:
WWW.BILDUNGSGEMEINSCHAFT-SALZ.DE

DIE VOLLSTÄNDIGE ERKLÄRUNG UNTER:
WWW.ISLINKE.DE/PDF/OEKOSOZ_MANIFEST2.PDF


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Quelle:
vorwärts - die sozialistische zeitung.
Nr. 47/48/2010 - 66. Jahrgang - 22. Dezember 2010
Sonderbeilage Ökologie, S. 11
Herausgeberin: Verlagsgenossenschaft Vorwärts, PdAS
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veröffentlicht im Schattenblick zum 15. Januar 2011