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VORWÄRTS/710: Ein Njet für Majak in letzter Minute


vorwärts - die sozialistische zeitung, Nr. 47/48/2011 vom 22. Dezember 2010

Ein Njet für Majak in letzter Minute


mic. Zwar verzichtete CDU-Umweltminister Röttgen im letzten Augenblick auf den heftig umstrittenen Atommüll-Transport vom deutschen Ahaus ins russische Majak, völlig unverständlich bleibt, warum Röttgens Ministerium Monate brauchte um, diesen Irrsinn zu stoppen. Eine Soap-Oper des allgemeinen Wahnsinns.


Eigentlich war schon alles klar. Die Polizei baute in Ahaus schon die ersten Sammelkäfige für den Showdown und den Tag X. Die Anti-AWK-Bewegung bereitete sich bereits auf das nächste Grossereignis nach Gorleben vor und lud zum "warm up" nach Ahaus. 951 hochradioaktive Brennelemente hätten Mitte Dezember vom Atomzwischenlager Ahaus ins russische Majak "ausgelagert" werden sollen. Die berüchtigte kerntechnische Wiederaufbereitungsanlage Majak liegt im sibirischen Ural. Majak ist ein riesiger Atomkomplex, welcher sowohl für militärische, als auch zivile Zwecke genutzt wird.

Bis Tschernobyl galt die Region um Majak als die verseuchteste der Erde. Im September 1957 explodierte in Majak ein Lagertank mit hochradioaktiven flüssigen Rückständen. In 217 Städten und Dörfern wurden 270.000 Menschen verstrahlt. Bis zur Tschernobyl-Katastrophe 1986 war dies der schlimmste Atomunfall der Welt. Die ganze Region ist bis heute massiv radioaktiv verseucht. Im grossen Umkreis rund um die Anlage sind die Seen, der Boden und die Luft verstrahlt. Folgen von 60 Jahren Majak-Betrieb, mit mehreren schweren Unfällen. Viele tausend Quadratkilometer Land wurden durch radioaktiven Abfall verseucht, sind unbewohnbar und haben sich in eine triste Ödnis verwandelt. Hunderttausende wurden und werden Opfer der radioaktiven Kontamination.

Kaum einer in der Region rund um die Atomanlage Majak ist gesund. Die Menschen leiden an chronischen Krankheiten wie Bluthochdruck, Herzproblemen, Arthritis und Asthma. Jede zweite Frau ist unfruchtbar und jedes dritte Neugeborene kommt mit Missbildungen zur Welt. Die Zahl der Krebserkrankungen ist in der ganzen Region dramatisch gestiegen. Ursprünglich stammten die Brennstäbe aus der ehemaligen Sowjetunion. Von dort wurden sie ins DDR-Kernforschungszentrum Rossendorf bei Dresden geliefert. 2005 liess die sächsische Regierung den Atommüll nach Ahaus nahe der niederländische Grenze schaffen.


Röttgen krebst zurück

Vorerst bleiben die hochradioaktiven Brennelemente in Ahaus und werden nicht in die russische Atomanlage Majak transportiert. Auch wenn die Betonung auf vorerst liegt, bleibt es ein beachtlicher Erfolg der Anti-AKW-Bewegung. CDU-Bundesumweltminister Röttgen teilte am 6. Dezember in Berlin der Öffentlichkeit mit, er sehe derzeit die Voraussetzungen für eine schadlose Verwertung der bestrahlten und hochradioaktiven Brennelemente in Majak nicht gegeben. Ein Hinweis dafür sei, dass die Wiederaufbereitungsanlage in Majak seit längerer Zeit ausser Betrieb sei. Eine ziemlich späte Erkenntnis und Einsicht, zu der Röttgen offenbar nicht ganz freiwillig kam.

Der Verzicht von Röttgen ist gerade deswegen für die Anti-Atombewegung ein grosser Erfolg. Deutsche und russische Atomkraftgegner hatten über Monate gegen die Pläne der Bundesrepublik Deutschland, Atommüll nach Russland auszulagern, mobilisiert und unermüdlich betont, dass die Endlagerung von internationalem Atommüll in einem ökologischen Katastrophengebiet inakzeptabel sei. Auch wenn es CDU-Bundesumweltminister Norbert Röttgen nicht zugeben mag, letztendlich führte der massive Druck der Anti-Atombewegung in Deutschland zu einer vorübergehenden Denkpause. "Die Reissleine gezogen" habe Röttgen nur, weil für Montag, den 6. Dezember in über 50 deutschen Städten Proteste gegen den Transport ins russische Majak angekündigt waren, so die Einschätzung von Willi Hesters vom "Aktionsbündnis Münsterland gegen Atomanlagen" gegenüber der TAZ.

Trotzdem hielt die deutsche Bundesregierung über Monate hinweg an dieser Art von "Entsorgungsplan" fest. Zwar wäre in Majak eine Wiederaufbereitung der Brennstäbe auf Jahre hinaus nicht in Sicht gewesen, da die Anlage in Majak wie erwähnt nicht mehr in Betrieb ist. Dafür hätten die Brennstäbe auf Jahre "zwischengelagert" werden können. Ziemlich elegant - und ein Rücktransport des Atommülls nach Deutschland war jedenfalls nie eingeplant.

Gänzlich "Njet" zu Majak mag Umweltminister Röttgen nicht sagen, so ist auch in Zukunft mit Castor-Transporten nach Majak zu rechnen. Aber nicht nur Deutschland ist in Majak mit dabei, auch die Schweiz mischt kräftig mit. Wie Recherchen von "Greenpeace Schweiz" unlängst ergaben, werden in Majak auch Brennstäbe für Schweizer AKW "wieder aufbereitet". Hermetisch abgeriegelt von der russischen und internationalen Öffentlichkeit. Eins ist sicher, der hochradioaktive Atommüll wird die Menschheit um Jahrmillionen überstrahlen. Ob nun die Endlagerung geklärt ist oder nicht. Nette Geschenke machen wir späteren Generationen.


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Quelle:
vorwärts - die sozialistische zeitung.
Nr. 47/48/2010 - 66. Jahrgang - 22. Dezember 2010
Sonderbeilage Ökologie, S. 16
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veröffentlicht im Schattenblick zum 21. Januar 2011