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VORWÄRTS/747: Einstieg in den Ausstieg - aber wie?


vorwärts - die sozialistische zeitung, Nr.25/26/2011 vom 8. Juli 2011

Einstieg in den Ausstieg - aber wie?

Von Alexandra Takhtarova


Die Länder überbieten sich mit Jahreszahlen und Strategien, bis wann und wie sie den Atomausstieg schaffen wollen. Die Rede ist dabei von unterschiedlichen ökonomischen Regulierungsinstrumenten, die die erneuerbaren Energien fördern sollen. Aber welche sind damit gemeint? Und was macht die Schweiz?


Das Thema Atomausstieg ist in aller Munde. Es wird stark diskutiert, mit welchen Massnahmen zu welchen volkswirtschaftlichen Kosten der Atomausstieg am schnellsten erreicht werden kann. In der europäischen Umweltpolitik gibt es dabei zwei Stossrichtungen: die Einspeisevergütungen und die Quotenmodelle. Auch die Schweiz hat seit 2009 eine Einspeisevergütung, die sogenannte Kostendeckende Einspeisevergütung (KEV). Bei der Einspeisevergütung geht es darum, die erneuerbaren Energien wettbewerbsfähig zu machen, indem der Unterschied zwischen dem Marktpreis und den aktuellen Gestehungskosten (Herstellkosten einer Anlage) den Produzenten ausbezahlt wird. Da die Gestehungskosten höher liegen als der Marktpreis für Strom, sind erneuerbare Energien weniger wettbewerbsfähig. Warum erneuerbare Energien höhere Gestehungskosten haben, hängt von einigen Faktoren ab, wie zum Beispiel: Forschung für Atomstrom wurde staatlich finanziert, Atomkraftwerke sind nicht haftpflichtversichert, das Geld für den Bau der Atomkraftwerke wird und wurde von der Nationalbank zu einem sehr tiefen Zins von 0,5 Prozent gegeben... Die Liste könnte noch lange weitergeführt werden. Finanziert wird die Einspeisevergütung generell durch eine Abgabe auf jede bezogene Kilowattstunde Strom, welche im Endeffekt die Konsumenten tragen. Dieses Geld geht dann quasi in einen Topf, und von dort wird es den Produzenten der erneuerbaren Energien ausbezahlt, sobald ihre Anmeldung bewilligt wird.


Beispiel Schweiz

Seit 2008 zahlen die Konsumenten eine Abgabe von 0,6 Rappen pro bezogene Kilowattstunde (kWh) Strom. Ein dreiköpfiger Haushalt verbraucht etwa zwischen 4.500 und 6.500 kWh pro Jahr. Bei der KEV in der Schweiz wurde ursprünglich ein Deckelmechanismus definiert, welcher sie vom allgemeinen Modell einer Einspeisevergütung abgrenzt. Der Deckelmechanismus bedeutet, dass die einen Technologien mehr finanzielle Anteile aus dem Topf bekommen und die anderen weniger. Beispielsweise kriegen Kleinwasserkraftwerke 50 Prozent der Gelder, Photovoltaik mittlerweile 10 Prozent und die restlichen Technologien je 30 Prozent. Anmelden können sich auch Anlagen, die noch nicht gebaut sind, sondern sich erst in der Planung befinden. Seit der Einführung der KEV gibt es grosse Probleme bei der Umsetzung und auch bei den finanziellen Möglichkeiten. Denn der Abgabesatz mit 0,6 Rappen (also nicht einmal 1 Rappen!) ist sehr tief. Ein dauerhaft tiefer Abgabesatz blockiert die Förderung, weil mit dem Geld zuerst die Vergütungstarife für die bereits aufgenommenen Anlagen ausbezahlt werden müssen und erst im zweiten Schritt werden neue Anlagen aufgenommen. Seit Mai 2008 sind über 8.000 Anlagen auf der Warteliste. Neue Anlagen müssen mit einer Wartefrist von bis zu vier Jahren rechnen. Bei mehr Geld wäre die Warteliste abgebaut. Eine abgebaute Warteliste würde das Abschalten dreier Atomkraftwerke (Beznau I und II und Leibstadt) beschleunigen. Jetzt mal nachgedacht: Ich plane eine grosse Photovoltaikanlage und melde mich für die KEV an. Erstens gibt es viele Kleinunternehmen, welche mir die Teile dafür liefern müssen - das heisst, sie sind immer wieder auf Aufträge angewiesen. Nun kriege ich den Bescheid, dass ich auf der Warteliste bin. Jetzt habe ich die Möglichkeit, jahrelang auf das Geld zu warten oder ich kann meinen Strom lokal absetzen. Je nach Region kriege ich aber einen dermassen tiefen Preis für die Einspeisung meines Stroms, dass ich kein Interesse daran habe. Also warte ich und so warten Tausende andere Produzenten. Das Problem ist dabei, dass KMU's welche Teile für die Anlagen herstellen oder liefern, nicht warten können und somit kommt es zu einem "Stop-and-go-Prinzip". Kurz gefasst: Es besteht eine extreme Investitionsunsicherheit, was konkret bedeutet, dass extrem viele Arbeitsplätze in Gefahr sind. Damit hat die KEV einen grossen Teil, speziell der Photovoltaikbranche, zerstört, anstatt sie zu fördern. Auch aus ökologischer Sicht ist ihre Wirkung stark anzuzweifeln, zumal Kleinwasserkraftwerke 50 Prozent der Gelder erhalten. Mit solch einem Regulierungsinstrument wie dem heutigen KEV ist der Atomausstieg nicht zu schaffen. Da muss mehr geschehen!


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Quelle:
vorwärts - die sozialistische zeitung.
Nr. 25/26/2011 - 67. Jahrgang - 8. Juli 2011, S. 4
Herausgeberin: Verlagsgenossenschaft Vorwärts, PdAS
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veröffentlicht im Schattenblick zum 23. Juli 2011