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VORWÄRTS/832: "UFO in Her Eyes" - Ein satirischer Versuch über den chinesischen Kapitalismus


vorwärts - die sozialistische zeitung, Nr. 23/24 vom 8. Juni 2012

Ein satirischer Versuch über den chinesischen Kapitalismus

von David Hunziger



Mit "UFO in Her Eyes" gelingt der chinesischen Regisseurin und Autorin Xiaolu Guo über weite Teile eine bissige Polit-Satire über ein kleines Dorf, das sich im Kapitalismus übt. Die karikierte Darstellung funktioniert wunderbar, bis die Psychologie der Figuren letztlich siegt und dem Film ein geradezu reaktionäres Ende beschert.


Der deutsche Philosoph Peter Sloterdijk soll einmal gefragt worden sein, von wem man seiner Meinung nach in zweihundert Jahren noch Statuen bauen werde. Seine Antwort war: Lee Kuan Yew, der faktisch über fünfzig Jahre Staatsoberhaupt von Singapur war und als Begründer des "Kapitalismus mit asiatischen Werten" gilt. Von Demokratie hielt er nie besonders viel und er sollte in der Praxis damit recht behalten, immerhin ist Singapur zu einem der bedeutendsten Finanzplätze der Welt aufgestiegen. Sloterdijks Bemerkung zielt auf das Ende der weit verbreiteten Illusion, wirtschaftliches Wachstum führe im Kapitalismus notwendig zu einer Ausweitung von Bürgerrechten und demokratischer Mitbestimmung. Auch China ist ein Beispiel dafür, dass sich Kapitalismus und autoritäre Regierungsformen keinesfalls ausschliessen.

Gegenüber der liberal-demokratischen Ideologie hat bereits diese Erkenntnis eine satirische Qualität und es kann daher nicht schaden, sie von Zeit zu Zeit in Erinnerung zu rufen. "UFO in Her Eyes", der zweite Spielfilm der in London wohnenden chinesischen Regisseurin und Autorin Xiaolu Guo, schlägt genau in diese Kerbe. Über weite Teile gewinnt der Film seine Komik daraus, dass er völlig überzeichnet realsozialistische Landidylle und kapitalistischen Fortschrittsglauben aufeinandertreffen lässt. Diese Zusammenkunft lässt die Stimmung bald kippen und der Film wird immer brutaler. Auf den herrlich zynischen Höhepunkt folgt leider ein unausstehlich verklärendes Ende.


Parteisoldatin mit "MacBook" und Lavalampe

Doch wenn wir etwas gutmütig sind, ist der ganze Rest des Films ganz interessant und sehenswert. Die Geschichte spielt in einem kleinen Dorf in Westchina und handelt von der Bäuerin Kwok Yun (Shi Ke), die eines Tages meint, Zeugin einer UFO-Landung geworden zu sein. Nachdem sie den vermeintlichen UFO-Piloten Steven Frost (Udo Kier) gerettet hat, schickt der ihr zum Dank 3000 Dollar. Doch Chief Chang (Mandy Zhang), taffe Dorfvorsteherin und strikte Parteisoldatin, bestimmt, dass der Betrag vermehrt werden soll.

Zur Feier der Präsentation des neuen Fünfjahresplans, der den Bau von Hochhäusern, eines Vergnügungsparks und zahlreichen UFO-Attraktionen vorsieht, spielt eine Blaskapelle die Internationale. Auf dem Tisch der Dorfvorsteherin stehen "MacBook" und Lavalampe. Auf dem Dorfplatz findet nun eine Miss-Wahl statt und ein als hoher Besuch empfangener amerikanischer Unternehmer erklärt den chinesischen LandbewohnerInnen den Kapitalismus. Die Euphorie kennt keine Grenzen.

Nur die Protagonistin Kwok Yun bleibt skeptisch. Die Geschichte mit dem UFO hat sie wohl nur darum erzählt, um von ihrer Affäre mit dem Dorflehrer abzulenken. Gegen ihren Willen wird sie nun zur lokalen Berühmtheit und erhält den Titel "Modellbäuerin. Als Chief Chang von der Affäre mit dem Dorflehrer erfährt, legt sie sich einen Plan zurecht: Sie befördert die Scheidung des Dorflehrers von seiner Frau, der Tochter des Fischers, um Kwok Yun in einer riesigen Zeremonie mit ihm zu vermählen. Wer unter den neuen Bedingungen wiedergewählt werden will, muss westliche Werte vertreten. Eine Ehe, die aus Liebe geschlossen wird, kommt da gerade recht.


Udo Kier singt Karaoke

Die Regisseurin setzt verschiedene formale Mittel ein, um die Darstellung der Ereignisse zu Verzerren. Immer wieder sind Szenen in schwarzweiss und aus der Perspektive eines Ermittlers der Regierung gefilmt, der aber nie im Bild erscheint. Die DorfbewohnerInnen werden von ihm befragt, als seien sie Zeugen in einem Kriminalfall. Andere Szenen sind aus dem Blickwinkel von Tieren gefilmt und erscheinen dadurch grotesk und bis zur Unkenntlichkeit verzerrt. Auch inhaltlich erhält die Euphorie der Dorfvorsteherin ihre Gegenseite. Langsam zerstört der wachsende Fortschritt nämlich die Existenz der meisten Dorfbewohnerinnen und lässt sie im Elend zurück. Der Metzger muss sein letztes Schwein schlachten, weil er die neuen Hygienenormen nicht mehr einhalten kann. Der Fischer begeht Selbstmord als er erfährt, dass sich der Dorflehrer von seiner Tochter getrennt hat und sein Fischteich einem Golfplatz weichen soll.

Alles kulminiert in der Hochzeitszene, in der Udo Kier ein zweites Mal auftritt. Jetzt ist er nicht mehr der geheimnisvolle UFO-Pilot, die Verkörperung des amerikanischen Traums, sondern ein karikierter amerikanischer Geschäftsmann, der zur Gratulation ins "Land der Zukunft" kommt. In der besten Sequenz des Films steigt er auf ein Podest und singt mit deutschem Akzent vor versammeltem Partyvolk Karaoke. Dazwischen sind immer wieder Szenen von bewaffneten Kämpfen zwischen der Polizei und den revoltierenden Dorfbewohnerinnen zu sehen.


Lass sie doch verrecken!

Leider belässt es Xiaolu Guo nicht bei dieser wunderbaren Kontrastmontage. Kwok Yun, die einzige Figur, die nicht völlig überzeichnet ist und so etwas wie eine nachvollziehbare Psychologie besitzt, entfernt sich von ihrer eigenen Hochzeit und trifft sich mit einem stummen Wanderarbeiter und Velomechaniker (Y. Peng Liu), dessen Hütte einem neuen Gebäude weichen musste. Zusammen verlassen sie Party und Aufstand und steigen in ein eigens gebautes Fluggefährt, eine futuristische Lo-Fi-Arche-Noah, ein, in der tatsächlich bereits ein paar Tier-Paare warten. Kwok Yun ist keine uninteressante Figur und wohl die einzige, die Potential zur Identifikation der ZuschauerInnen bietet. Doch gerade darin liegt die Schwäche des Films: Das Ende suggeriert, es gäbe neben der Hinnahme der zynischen Realität und dem Kampf noch einen dritten Weg. Diese Identifikation mit dieser naiven Fantasie hätte man den Zuschauerinnen ersparen müssen, um Kwok Yun stattdessen an der Seite des Dorflehrers verrecken zu lassen.

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Quelle:
vorwärts - die sozialistische zeitung.
Nr. 23/24/2012 - 68. Jahrgang - 8. Juni 2012, S. 11
Herausgeberin: Verlagsgenossenschaft Vorwärts, PdAS
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veröffentlicht im Schattenblick zum 28. Juni 2012