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VORWÄRTS/944: Eroberung 3.0 - Die Windkraftindustrie in Oaxaca


vorwärts - die sozialistische zeitung, Nr.25/26 vom 5. Juli 2013

Eroberung 3.0: Die Windkraftindustrie in Oaxaca

Von Philipp Gerber



Die Konflikte zwischen indigenen Gemeinden und Windparkinvestoren in Oaxaca, Mexiko, nehmen immer bedrohlichere Ausmasse an. Europäische Unternehmen wollen das "grüne" Geschäft gewaltsam erzwingen. Doch sie ernten Sturm.


"Heute, am 23. April, morgens um 10.30 Uhr, fuhr ein Mann in einem grossen, weissen Pick-up vor das Haus des Gemeinde-Radios von Santa María Xadani und fragte im Befehlston eine Compañera, die sich gerade in der Radiostation aufhielt, wo Filiberto Vicente Aquino sei. Sie würden ihn holen, denn sie seien ihn leid. Die Compañera antwortete, dass er nicht da sei, worauf der Mann drohte, er gehöre der Mafia der 'Zetas' an und sie solle dem Compañero Filiberto Vicente Aquino sagen, dass sie ihn finden würden." Mit diesen Worten schildern die AktivistInnen im Isthmus von Oaxaca eine Drohung gegen einen ihrer Aktivisten. Derselbe Compañero erhielt im März, nach der Teilnahme an einer Pressekonferenz der Gemeinden, die sich gegen die Windparks wehren, eine Morddrohung.

Seit Monaten verschärfen sich die Konflikte im Isthmus, insbesondere um den Windpark "San Dionisio" in der Zone der Ikoots sowie um das Projekt "Bii Hioxho" nahe Juchitán. Das bekanntere der beiden Projekte ist "San Dionisio, das mit 102 Turbinen auf der Barra Santa Teresa genannten Düne gebaut wird, die der Lagune vorgelagert ist. 30 weitere Turbinen kämen auf dem Gebiet von Santa Maria del Mar zu stehen. Mit einer geplanten Stromerzeugung von 396 MW wäre dies der grösste Windpark Lateinamerikas.


Baustopp vor Gericht erreicht

Das Projekt des Konsortiums Mareña Renovables hat Auswirkungen auf die Fischerei in den vier Gemeinden der Ikoots-Indigenen (San Dionisio del Mar, San Mateo del Mar, Santa Maria del Mar und San Francisco del Mar) sowie auf einige zapotekische Gemeinden, beispielsweise Alvaro Obregón. Der Bau des Windparks "San Dionisio" ist blockiert, seit in einer Gemeindeversammlung in San Dionisio im Januar 2012 aufflog, dass deren Gemeindepräsident 20 Millionen Pesos von den Investoren für die Umnutzung des Bodens kassierte, ohne die Gemeinde darüber zu informieren, worauf das Gemeindehaus besetzt und jegliche Bautätigkeit von Mareña Renovables verhindert wurde. Legal sistiert ist das Megaprojekt mit einem Investitionsvolumen von gut einer Milliarde Dollar ebenfalls: Ein Richter verhängte im Dezember 2012 einen Baustopp, da die Oppositionellen beweisen konnten, dass nie in einer Gemeindeversammlung über das Projekt auf kommunalem Land abgestimmt wurde und somit ihre indigenen Rechte verletzt wurden. Zudem ist bei der Interamerikanischen Entwicklungsbank eine Klage der ProjektgegnerInnen hängig wegen Schmiergeldzahlungen an LokalpolitikerInnen.

Mehrere Versuche einer nachträglichen Bewilligung durch improvisierte Gemeindeversammlungen scheiterten. Es kam zu gewaltsamen Konfrontationen der verfeindeten Lager. Schliesslich drohte Mareña Renovables Ende Januar an einer Windenergiemesse in Mexiko Stadt ultimativ, sie werde sich zurückziehen, wenn nicht endlich gegen "die 20 Personen, die das Projekt blockieren" vorgegangen werde. Dass sie damit den Widerstand massiv unterschätzten, zeigten die folgenden Tage: Kurz darauf versuchte die bundesstaatliche Polizei mehrmals, in die Gemeinde Alvaro Obregón vorzudringen, wo die Bevölkerung seit November den Zugang zur Barra Santa Teresa blockiert. Am 1. und 2. Februar eskalierten die Auseinandersetzungen, die Polizei musste sich zurückziehen. Gemäss AugenzeugInnen waren eintausend ProjektgegnerInnen aus zapotekischen und Ikoots-Gemeinden vor Ort. Beide Seiten beklagten mehrere Verletzte.

Eine ähnliche Eskalation wie San Dionisio del Mar und Alvaro Obregón erlitt auch die benachbarte Gemeinde San Mateo del Mar, mit 15.000 EinwohnerInnen und 12 Weilern die grösste Gemeinde der Ikoots, die ebenfalls vom Projekt von Mareña betroffen ist. Am 21. März wurden dort sieben Personen, darunter zwei Journalisten der Jornada und AktivistInnen von Ucizoni, von einer Gruppe von 50 bewaffneten und betrunkenen Personen während drei Stunden festgehalten. Die Delegation aus JournalistInnen und lokalen Menschenrechtsaktivisten wollte die Übergriffe der lokalen Behörden auf Oppositionelle dokumentieren.


Repression bis zur Folter

Die Täter stammen aus dem Umfeld des lokalen PRI-Bürgermeisters Francisco Valle Piamonte. Auch Valle Piamonte wurde aufgrund massiver Korruptionsvorwürfe vor einem Jahr in einer Gemeindeversammlung abgewählt. Das Parlament Oaxacas blockierte jedoch das Amtsenthebungsverfahren gegen ihn. Im November 2012 eroberte er in einem nächtlichen Überfall mit bewaffneten Anhängern den Gemeindesitz zurück. Kurz darauf trafen Einheiten der Bundesstaats-Polizei ein, um "die Sicherheit und Ruhe" in der Gemeinde zu gewährleisten.

Seither regiert Valle Piamonte mit Hilfe von parapolizeilichen Gruppierungen, die auch Strassensperren errichtet haben. Allein in den Monaten Februar und März 2013 wurden in San Mateo 17 Personen der Freiheit beraubt, bedroht, physisch attackiert oder gar gefoltert, wie die oppositionelle Bevölkerung des Dorfes in einem Manifest dokumentierte. Alle Übergriffe blieben straffrei. Jüngst griffen Unbekannte das Haus der oppositionellen Reyna Gutiérrez Luis an und drohten damit, sie zu "zerstückeln". Gutiérrez Luis, erste Frau mit einem Amt innerhalb des Dorfrates, klagt Valle Piamonte ebenfalls wegen der Mauscheleien um den Windpark "San Dionisio" und anderer korrupter Geschäfte an.

In jüngster Zeit eskalierte auch der Konflikt um das drittgrösste Windparkprojekt Lateinamerikas namens "Bii Hioxho" in Juchitán, das die spanische Gas Natural Fenosa bauen will. In den Auseinandersetzungen mit der Polizei wurden Ende März dutzende Personen verletzt. Mit der darauf folgenden Räumung des Gemeinderadios "Totopo", mehreren Festnahmen und zahlreichen Haftbefehlen torpedierte die Regierung die Verhandlungen mit den Oppositionellen, welche zuerst erfolgsversprechend begonnen hatten. Gleichzeitig mit der Verhaftung des Verhandlungsführers Mariano López Gómez wurde auch das Büro der Menschenrechtsorganisation Codigo DH in Oaxaca Stadt von Unbekannten durchsucht. Codigo DH verteidigt bedrohte MenschenrechtsaktivistInnen im Isthmus juristisch und hat bei Besuchen vor Ort diverse Übergriffe dokumentiert.


Ausländische Subventionen

Die privatisierte Stromgewinnung im Isthmus wird grosszügig durch Weltbankkredite sowie Finanzierungsinstrumente wie den Clean-Development-Mechanismus der UNO und den EU-Fonds LAIF (Latin America Investment Facility) subventioniert. 15 Windparks mit 917 Windrädern sind schon im Betrieb. Auf 11.079 Hektaren produzieren sie 1263 Megawatt Strom, für AbnehmerInnen wie Walmart oder Coca Cola, die sich mit der sauberen Energie ein grünes Mäntelchen kaufen. Das Geschäft ist doppelt attraktiv: Die Windparks können auch via CO2-Zertifikate am internationalen Emissionshandel teilnehmen. Und das Potenzial der Region ist erst zu 10 Prozent ausgeschöpft, denn gemäss der staatlichen Energieregulations-Kommission könnten auf 100.000 Hektaren mindestens 10.000 MW Strom produziert werden.

Am 9. Mai 2013 kam dann die überraschende Nachricht: Das Projekt "San Dionisio" wird "umgeplant". Dass die für die Ikoots "heilige" Barra von Santa Teresa mit Windrädern übersät würde, stehe nicht mehr zur Diskussion, es werde ein Ersatzterritorium im Isthmus gesucht, verkündete der Entwicklungs- und Tourismusminister Oaxacas, José Zorrilla de San Martín Diego. Es gäbe im Isthmus genügend andere freie Flächen für die Investition. Ein Erfolg für den Widerstand? Sicher, doch die Projektgegner bleiben skeptisch. Vorerst gibt es keine schriftliche Bestätigung dazu, weder von der Regierung noch von Mareña Renovables. Deshalb sei dies "erst eine gewonnene Runde von wer weiss wie vielen".

Die fehlende Information und Konsultation der indigenen Bevölkerung, unlautere Verträge über die Pacht von Land sowie die Korruption der lokalen Behörden sind das Muster dieser Investitionen zugunsten des "ökologischen Fortschritts". Es scheint, dass im Isthmus von Tehuántepec nach der Eroberung der Spanier und nach der Einbindung der indigenen Regionen in den korporativen Staat der PRI nun eine dritte Eroberung ansteht: diejenige des Landraubs und des Ressourcenklaus unter dem Deckmantel des Kampfes gegen den Klimawandel.

Die ausländischen Firmen "bemächtigen sich unserer Territorien, als sei diese Region jungfräulich, unbewohnt, ohne lokale Bevölkerung und deren Produktion", empört sich die zapotekische Menschrechtlerin Bettina Cruz Velázquez. "Das Hauptproblem bleibt die Verletzung der indigenen Rechte", meint Cruz. Sie musste den Isthmus Ende 2012 nach massiven Morddrohungen verlassen und lebt heute im Exil. Doch sie versichert: "Aufgrund unseres Rechts, zu sein wer wir sind und nicht so sein zu müssen, wie andere es wollen, stehe ich weiterhin aufrecht, trotz allem, trotz der schmerzhaften Erfahrung, dass sie meinen Widerstand kriminalisieren". Bettina Cruz ist aus der Gemeinde Unión Hidalgo, wo das Windkraftprojekt Piedra Larga gebaut wird. Im Juni 2013 reichten Bettina und ihre GenossInnen beim Agrargerichtshof eine "historische Klage" gegen die spanische Firma Renovalia Energy ein, weil die Landbesitzer gezielt falsch über die Grösse und die Auswirkungen des Projekts informiert wurden. Ein Entscheid des Gerichts wird in den nächsten Wochen erwartet.

Die jüngste Eskalation der Konflikte macht deutlich, dass diese Landnahme doch nicht so leicht über die Bühne gehen kann. Die Kombination von entschlossenem Widerstand, öffentlichem Anprangern der krummen Machenschaften der Investoren und juristischer Schritte zeigt Wirkung. Was allerdings noch aussteht, ist eine breite Diskussion über eine gemeindeverträgliche, ja in erster Linie den Gemeinden zugute kommende Nutzung der Windenergie.


Der Autor hat für die Rosa-Luxemburg-Stiftung eine ausführlichere Reflexion zum Thema verfasst: "Europäische Unternehmen erzwingen das grüne Geschäft mit dem Wind in kolonialem Stil":
http://www.rosalux.de/publication/39524/

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Quelle:
vorwärts - die sozialistische zeitung.
Nr. 25/26 - 69. Jahrgang - 5. Juli 2013, S. 6
Herausgeberin: Verlagsgenossenschaft vorwärts, PdAS
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veröffentlicht im Schattenblick zum 18. Juli 2013