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VORWÄRTS/1014: Länger arbeiten und weniger Rente


vorwärts - die sozialistische zeitung, Nr.15/16 vom 25. April 2014

Länger arbeiten und weniger Rente

Von Siro Torresan



Unter der Federführung des sozialdemokratischen Sozialministers Alain Berset hat der Bundesrat einen erneuten Angriff auf die AHV lanciert. Neben dem konkreten Leistungsabbau soll auch ein "ideologischer" Wechsel vollzogen werden: Weg vom allgemeinen kollektiven Recht im Sinne einer Sozialversicherung, die auf dem Prinzip der Umverteilung basiert, hin zur individuellen, komplexen Sozialhilfe für Bedürftige. Die Partei der Arbeit der Schweiz verurteilt das Projekt des Bundesrats und ruft zum gemeinsamen Widerstand auf.


Es ist so klar, dass es selbst der SVP-Nationalrat, Unternehmer und Präsident des Schweizerischen Gewerbeverbands (SGV), Jean-François Rime zugeben muss: "Die Reform 'Altersvorsorge 2020' ist ein Raubzug auf die Erwerbstätigen." Doch was steckt hinter dem Reformvorschlag? Welche gesellschaftspolitischen Absichten sind zu erkennen? Die Antwort lautet: Die AHV soll von einer Sozialversicherung mehr und mehr zu einer Sozialhilfeleistung werden. Der kollektive soziale Grundgedanke der AHV soll immer mehr der individuellen Führsorgeleistung weichen. Gut erkennbar ist diese Stossrichtung bei den AHV-Ergänzungsleistungen. Diese wurden als "vorübergehende Massnahme" eingeführt. Sie sollen laut Merkblatt der AHV-Infostelle dort helfen, wo "die Renten nicht die minimalen Lebenskosten decken". Mit der Reform "Altersvorsorge 2020" sollen die Ergänzungsleistungen faktisch ein Bestandteil der AHV-Rente werden, so quasi die 4. Säule, die permanent bestehen bleiben soll.

Aber die Rente hat laut Art. 12 Abs. b der Schweizer Bundesverfassung "den Existenzbedarf angemessen zu decken". Somit wurden die Ergänzungsleistungen "vorübergehend" eingeführt, weil die AHV-Rente dem Verfassungsauftrag nicht bei allen RentnerInnen gerecht wird. Warum werden mit der vom Bundesrat vorgeschlagene Reform nicht die Renten erhöht, sprich der Verfassungsauftrag erfüllt, anstatt die Ergänzungsleistungen zu einem fixen Bestandteil zu machen? Sozialversicherung und Sozialhilfe sind schlicht zwei verschiedene paar Schuhe: Die AHV-Rente ist ein "generelles, für alle geltendes Recht. Alle haben darauf Anspruch. Sie muss daher nicht erbettelt werden und sie basiert auf einem Prinzip der Umverteilung. Bei den Zusatzleistungen sind der Anspruch sowie die Bemessung der Höhe von individuellen und komplexen Bedingungen abhängig. Sie müssen erbettelt werden, was für viele sehr beschämend ist.

Es ist nicht zuletzt eine Frage der Würde, ob man von einer Rente lebt oder von der Sozialhilfe abhängig ist. Und die Würde des Menschen ist doch unantastbar, oder etwa nicht, Herr Bundesrat Alain Berset?


Der Raubzug

Eine gute Übersicht der Abbaupläne des Bundesrats mit politischen Kommentaren und Einschätzungen der Reform "Altersvorsorge 2020" liefert die ausführliche Vernehmlassungsantwort der Partei der Arbeit der Schweiz (PdAS):

Erhöhung des Frauenrentenalters:
Das AHV-Rentenalter soll bei Frauen auf 65 Jahre steigen. Einmal mehr soll der Sozialabbau auf dem Rücken der Frauen stattfinden, so wie es bei der Kürzung der Witwenrente der Fall war. Die Erhöhung des Rentenalters für die Frauen mit dem Argument der "Gleichberechtigung" zu fordern, ist eine Provokation, da die Löhne der Frauen bei gleicher Arbeit nach wie vor viel tiefer liegen als jene der Männer. Wenn der Eidgenossenschaft die Gleichberechtigung so am Herzen liegt, warum wird nicht die Rente mit 64 Jahren für alle gefordert?

Senkung, des Umwandlungssatzes:
Der Rentenumwandlungssatz bei den Pensionskassen wird von heute 6,8 auf 6,0 Prozent gesenkt. Die jährlichen Renten sinken damit um mehr als 10 Prozent! Der Umwandlungssatz ist ein zentrales Element des BVG. Daher muss die Festlegung des Umwandlungssatzes zwingend unter Kontrolle der Gesetzgeber bleiben und darf nicht von den Pensionskassen nach der Logik des freien Marktes bestimmt werden. Im 2010 hat das Volk die geplante Senkung des Umwandlungssatzes von 6,8 auf 6,4 Prozent mit 73 Prozent Nein-Stimmen wuchtig abgelehnt. Man kann nun nicht so tun, als hätte diese Abstimmung nie stattgefunden. Daher ist die erneut vorgeschlagene Senkung durch einen mysteriösen Mechanismus inakzeptabel.

Flexibilisierung:
Pensionieren lassen soll man sich künftig zwischen 62 und 70 Jahren. Die Aufforderung an die Senioren, bis zum Alter von 70 Jahren zu arbeiten, ignoriert unter anderem eine Tatsache: ArbeiterInnen, die mit über 55 Jahren entlassen werden, finden oft keine Arbeit mehr. Jede Flexibilisierung der Rente, die sich nach dem schwankenden Parameter der "gesellschaftlichen Entwicklung", sprich der wirtschaftlichen Konjunktur richten, ist abzulehnen. Eine Flexibilisierung widerspricht dem generellen Anspruch auf die Rente, der ein wesentlicher Grundpfeiler der AHV ist. Auch für die Bestimmung der Rentenhöhe spricht sich die PdAS entschieden gegen jegliche "automatischen Mechanismen" aus, die sich den demokratischen Entscheidungen entziehen.

Erhöhung der Mehrwertsteuer:
Diese besonders unsoziale Steuer soll ab 2019 um einen Prozentpunkt, 2027 nochmals um ein weiteres Prozent erhöht werden. Die PdAS widersetzt sich dieser Erhöhung. Dies umso mehr, als die Mehreinnahmen der geplanten Erhöhung nicht voll und ganz der AHV zufliessen sollen. So sollen lediglich zweimal 10 Prozent des Ertrags aus der Anhebung der Mehrwertsteuersätze in die Bundeskasse fliessen.

Kürzung der Bundesbeiträge:
Der Bundesrat schlägt wie gesehen vor, den Beitrag des Bundes von 19,5 auf 10 Prozent zu senken. Damit geraten der gesellschaftliche Ausgleich und das Engagement gegenüber der AHV und dessen Finanzierung in ein schlechtes Gleichgewicht. Die Einnahmen eines Jahres zahlen die Renten des nächsten Jahrs und der Bund leistet dazu einen Beitrag von 19,5 Prozent der Kosten. Dieses System funktioniert so gut, dass der Bund nicht zögerte, 15 Milliarden Franken aus dem AHV-Fonds zugunsten der IV herauszunehmen. Eine Summe, die nun gemächlich vom Bund zurückbezahlt wird.


Was tun? AHV stärken!

Für die PdAS ist die AHV eine exemplarische Sozialversicherung, die nicht destabilisiert werden muss. Im Gegensatz zu den privaten Versicherungen, bei denen die Versicherten das Risiko selber tragen müssen, basiert die AHV auf einer kollektiven Übernahme der Risiken. Ein Prinzip, das auf Biegen und Brechen verteidigt werden muss! Es ist daher unnötig, Veränderungen zu akzeptieren, die sich gar nicht aufzwingen. Jedoch wäre es absurd zu übersehen, dass es in den nächsten Jahren zu gesellschaftlichen Veränderungen kommen wird. Daher gilt es, die AHV zu stärken, da dass komplexe System der Kapitalisierung bei der 2. Säule stark von der Entwicklung der internationalen Finanzmärkte abhängt. Bestes Beispiel dafür ist das Jahr 2008, als mehrere Milliarden des angehäuften Kapitals der Pensionskasse durch die Finanzkrise vernichtet wurden. Für die PdAS ist eine progressive Überführung der 2. Säule in die AHV die beste Lösung für die Zukunft der Renten. Die Partei hat angekündigt, dass sie bald entsprechende Vorschläge vorstellen wird. Man darf gespannt sein.

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Quelle:
vorwärts - die sozialistische zeitung.
Nr. 15/16 - 70. Jahrgang - 25. April 2014 , S. 3
Herausgeberin: Verlagsgenossenschaft vorwärts, PdAS
und ihre Deutschschweizer Sektionen
Redaktion: Vorwärts, Postfach 2469, 8026 Zürich
Telefon: 0041-(0)44/241 66 77,
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Internet: www.vorwaerts.ch
 
vorwärts erscheint 14-täglich,
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Probeabo: 4 Ausgaben gratis


veröffentlicht im Schattenblick zum 7. Mai 2014