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VORWÄRTS/1189: Bedingungslose Kapitalsubvention?


vorwärts - die sozialistische zeitung, Nr. 17/18 vom 6. Mai 2016

Bedingungslose Kapitalsubvention?

Von Thomas Schwendener


Unter radikaleren Linken ist das bedingungslose Grundeinkommen populär. Was würde eine Annahme der kommenden Initiative in der Schweiz bedeuten? Und wie argumentieren die BefürworterInnen?


Die Schweizer StimmbürgerInnen werden am 5. Juni 2016 über die Einführung eines bedingungslosen Grundeinkommens (BGE) abstimmen. Sollte die Initiative wider Erwarten angenommen werden, wird künftig die ganze Schweizer Bevölkerung, vom armen Schlucker bis zur Milliardärin, ohne Auflagen Geld vom Staat erhalten. Die betreffende Verfassungsänderung ist sehr vage gehalten. Es soll lediglich verankert werden, dass der Bund ein bedingungsloses Einkommen einführt, das "der ganzen Bevölkerung ein menschenwürdiges Dasein und die Teilnahme am öffentlichen Leben" ermöglicht. Zudem besagt der Artikel: "Das Gesetz regelt insbesondere die Finanzierung und die Höhe des Grundeinkommens." Alles andere wird offen gelassen. Alle Erläuterungen des Initiativkomitees im Abstimmungskampf sind unverbindliche Vorschläge. Die konkrete Umsetzung der Vorlage würde letztlich vom Schweizer Parlament bestimmt.


Vage Vorschläge

Als Richthöhe für das BGE schlägt das bunt gemischte Initiativkomitee 2.500 Franken für Erwachsene und 625 Franken für Kinder vor. Das klingt erst mal nach viel. Man muss sich aber vor Augen führen, dass der Schweizer Medianlohn für Männer über 6.000 Franken beträgt und man heute im Falle der Arbeitslosigkeit als Alleinstehender 70 Prozent Lohnfortzahlung für rund 400 Tage erhält. Das BGE soll einen Teil der heutigen Institutionen des Sozialstaates ersetzen: Invalidenrente, Arbeitslosengeld und AHV würden laut Komitee wegfallen. Jene Sozialleistungen, die über das Grundeinkommen hinausgehen, sollen aber weiterhin bestehen bleiben, schlagen die InitiantInnen vor. Das Parlament kann dies befolgen oder auch nicht. Ein Kritikpunkt der Linken im Nationalrat ist dann auch, dass das Verhältnis des neuen Einkommens zum bestehenden Sozialstaat nicht geklärt sei. Auch die Finanzierung ist weitgehend unklar. Die Kosten werden auf rund 208 Milliarden Schweizer Franken geschätzt; immerhin rund 33 Prozent des Schweizer Bruttoinlandproduktes. Rund 70 Milliarden Franken würden durch Abbau bestehender Transferleistungen erzielt, der grösste Teil der verbleibenden 138 Milliarden sei in den "bestehenden Einkommen enthalten", bloss der Restbetrag müsse "durch Steuern oder durch eine Verlagerung im heutigen Staatshaushalt aufgebracht" werden, erklärt das Komitee.


Ersetzung der Einkommen

Die Feststellung, dass das BGE in den bestehenden Einkommen enthalten sei, haben zwei Basler Unternehmer und Mitinitiatoren in einer ökonomisch recht schiefen Broschüre ausgeführt, in der sie auch Milton Friedmann zu Ehren kommen lassen und dem Klassenkampf eine Absage erteilen. Zusammengefasst kann man die Resultate beim Initiativkomitee nachlesen: "Für die meisten Personen ist das Grundeinkommen kein zusätzliches Geld, sondern ersetzt heutige Einkommen." Das heisst, dass künftig ein Teil der Reproduktionskosten der Lohnabhängigen durch den Staat übernommen wird. Wer also seinen Angestellten heute 4000 Franken bezahlt, müsste künftig nur noch 1500 Franken auszahlen. Die restlichen 2500 Franken würde der Staat übernehmen. Das läuft auf eine gigantische Subvention der Unternehmen hinaus; gerade wenn man bedenkt, dass die Finanzierung unklar ist und die Besteuerung von Kapital in Zeiten von Krise und verschärfter internationaler Konkurrenz mehr als schwierig ist. Zudem wird damit die ganze Lohnstruktur, die in der Schweiz in vielen Branchen von Gesamtarbeitsverträgen bestimmt wird, aufgebrochen. Die beiden Basler Initiatoren rühmen sich dessen und verweisen darauf, dass individuell bessere Verträge geschlossen werden könnten. Etwas taucht in der ganzen Debatte aber nicht auf: Wie hoch das Einkommensniveau der Lohnabhängigen am Ende ausfällt, hängt vom Kräfteverhältnis zwischen den Klassen ab. Und da sieht es in der Schweiz recht düster aus, gerade auch wenn man die Bedenken ernst nimmt, dass das BGE einer weiteren Vereinzelung Vorschub leisten könnte. Entsprechend ist nicht nur zu befürchten, dass mit dem Projekt das Kapital subventioniert wird, sondern auch, dass unter dem Strich für den Grossteil der Lohnabhängigen keine Verbesserungen drin liegen - im Gegenteil.


Parlament und Debatte

Letztlich bestimmt das Schweizer Parlament die Höhe und die Finanzierung des BGE sowie das Verhältnis zu den bestehenden sozialstaatlichen Institutionen. Es gibt am Grundeinkommen einiges grundsätzlich zu kritisieren, aber in der aktuellen Situation ist das drängendste Problem, dass sich die Umsetzung aus linker Sicht als Katastrophe herausstellen könnte. Das Kräfteverhältnis im nationalen Parlament ist so gelagert, dass selbst die InitiantInnen ahnen könnten, dass ihr Vorschlag den Sozialabbau beschleunigen dürfte.

Es bleibt wenigstens zu hoffen, dass die Debatte im Vorfeld der Abstimmung drängende Fragen auf die Tagesordnung setzt. Das BGE greift schliesslich ein wichtiges Problem auf: Die Entkoppelung von Arbeit und Einkommen. Oder einfacher gesagt: Es werden voraussichtlich weltweit immer mehr Menschen längerfristig arbeitslos, während immer mehr Lohneinkommen kaum zum Leben reichen. Leider wird - vom Alarmismus der GegnerInnen mal abgesehen - die Debatte über diese Probleme nur in verzerrter Form geführt. Weil der Vorschlag nicht mit der kapitalistischen Gesellschaft brechen kann und will, bleibt die Debatte "innerhalb der Grenzen des polizeilich Erlaubten und logisch Unerlaubten" (Karl Marx). Denn eine angemessene Beteiligung aller Menschen "an den Früchten der Maschinenarbeit", wie es das Komitee fordert, ist nur ausserhalb der Logik des Kapitals und seiner rechtlichen Bedingungen denkbar.

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Quelle:
vorwärts - die sozialistische zeitung.
Nr. 17/18 - 72. Jahrgang - 6. Mai 2016, S. 1
Herausgeberin: Verlagsgenossenschaft vorwärts, PdAS
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veröffentlicht im Schattenblick zum 28. Mai 2016

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