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VORWÄRTS/1225: Frankreichs Suche nach einer linken Alternative


vorwärts - die sozialistische zeitung, Nr. 33/34 vom 23.September 2016

Frankreichs Suche nach einer linken Alternative

Von Georg Polikeit


Gewerkschaften mobilisieren zum erneuten Aktionstag für die Abschaffung des "Arbeitsgesetzes". Mit der "Rentrée", der Rückkehr aus den Sommerferien und dem Beginn des neuen Schuljahrs am 1. September, startet auch im politischen Leben Frankreichs eine neue Etappe. Sie ist durch die zunehmende Zuspitzung auf die kommende Präsidentschafts- und Parlamentswahl vom Frühjahr 2017 gekennzeichnet.


Die Neuwahl des Staatspräsidenten ist für den 23. April und 7. Mai 2017 angesetzt. Nur vier Wochen später findet am 11. und 18. Juni die Parlamentswahl - Neuwahl der 577 Abgeordneten der "Assemblée Nationale" (Nationalversammlung) - statt, die damit stark im Schatten des Präsidentenwahlkampfs stattfindet und von dessen Ergebnissen beeinflusst werden wird. In den nächsten Wochen wird die Vorbereitung dieser Wahlkämpfe und die Debatte um die mutmasslichen Aussichten und Ergebnisse immer stärker alle sozial-, wirtschafts-, innen- und aussenpolitischen Auseinandersetzungen überlagern, je mehr sich das Jahresende abzeichnet.

Die "Intersyndicale" der sieben Gewerkschaftsbünde und Jugendverbände, die vor der Sommerpause zu den grossen Widerstandsaktionen gegen das von der "sozialistischen" Regierung durchgepaukte "Arbeitsgesetz" mobilisiert hatten, haben am 15. September einen neuen landesweiten Aktionstag mit Versammlungen, Kundgebungen, Demonstrationen und Streiks durchgeführt. Dies "um die Aufhebung dieses Gesetzes zu erreichen und neue kollektive Garantien und Absicherungen für die Arbeitsverhältnisse zu erringen".


Logik des sozialen Dumpings

In der von den sieben Verbänden (CGT, Force Ouvrière, FSU, Solidaires, UNEF, UNL und FIDL) veröffentlichten gemeinsamen Erklärung heisst es dazu: "Das Arbeitsgesetz ist nicht gut für die Lohnabhängigen und die Jugendlichen. Es wird auch nicht gut für die Wirtschaft des Landes sein. Während die Arbeitslosigkeit und die Prekarität weiter zunehmen, erhöht dieses Gesetz, indem es die tarifvertraglichen Regelungen zugunsten von Betriebsvereinbarungen abschwächt, die Konkurrenz zwischen den Unternehmen, womit es diese zu Anpassungen drängt, die auf Kosten der Lohnabhängigen gehen werden. Diese Logik des sozialen Dumpings wird mehr Flexibilität und mehr Prekarität hervorbringen und zahlreiche soziale Errungenschaften in Frage stellen". Die sieben Organisationen wollen deshalb "alle möglichen juristischen Mittel" einsetzen, um sich gegen die Umsetzung dieses Gesetzes in die Praxis zu wehren. Überall da, wo in den einzelnen Unternehmen zur Durchsetzung von Massnahmen nach dem neuen Gesetz übergegangen wird und die mit einer Verschlechterung der bisherigen Arbeitsbedingungen und sozialen Rechte verbunden sind, dürften damit für diesen Herbst betriebliche Konflikte vorprogrammiert sein. Ob daraus allerdings ein "heisser Herbst" nach dem Beispiel früherer Jahre mit grossen ausserparlamentarischen Aktionen werden kann, welche die anstehende Wahldebatte beeinflussen, ist derzeit noch nicht abzusehen.

Das Hauptproblem für die französische Linke in diesem Wahlkampf liegt in dem einst von General de Gaulle eingeführten zweistufigen System der Direktwahl des Staatspräsidenten, denn es hat eine starke Personalisierung des Wahlkampfs zur Folge, wodurch die Debatte um die eigentlich zur Entscheidung anstehenden politisch-inhaltlichen Fragen in den Hintergrund gedrängt werden. Hinzu kommt die Wahl in zwei Wahlgängen, wobei im zweiten Wahlgang vom 7. Mai 2017 nur noch die beiden bestplatzierten KandidatInnen aus der ersten Runde zur Wahl stehen. Das zwingt im zweiten Wahlgang praktisch zur Einordnung aller Richtungen und Formationen in zwei grosse "Lager".


Zersplitterte Linke

Damit droht dieses Wahlsystem angesichts der konkret gegebenen Bedingungen zu einer regelrechten politischen Falle zu werden. Denn nach allen derzeitigen Wahlprognosen wird die Anführerin des rechtsextremen und fremdenfeindlichen "Front National", Marine Le Pen, im ersten Wahlgang mit rund 25 bis 30 Prozent der Stimmen auf dem ersten oder zweiten Platz landen. Nach der jüngsten Umfrage von TNS-Sofres-OnePoint, veröffentlicht am 6. September, kommt Marine Le Pen auf etwa 26 bis 29 Prozent, gefolgt vom Kandidaten des rechtskonservativen Lagers, Ex-Staatschef Nicolas Sarkozy oder Ex-Premierminister Alain Juppé, beides Republikaner. Der derzeitige "sozialistische" Staatschef François Hollande oder ein anderer Kandidat des heutigen Regierungslagers würde nach diesen Umfrageergebnissen auf jeden Fall erst auf dem dritten, vierten oder sogar fünften Platz landen. Hollandes Quote liegt derzeit bei 11 bis 15 Prozent und er würde für den zweiten Wahlgang ausscheiden. Die WählerInnen hätten nur noch die Entscheidung zwischen der rechtsextremen Pest oder der sozialreaktionären, rechtskonservativen Cholera.

Die grosse Frage für die Kräfte links von den regierenden SozialdemokratInnen - also KommunistInnen, Grüne, Parti de Gauche (Linkspartei) und andere alternative Kräfte - lautet, ob und wie ein derartiges Horrorszenario verhindert werden kann. Bis jetzt allerdings hat die Debatte darüber noch so gut wie keine erfolgversprechenden Lösungsansätze hervorgebracht. Obwohl es auf der Hand liegt, dass keine dieser alternativen Kräfte darauf hoffen kann, allein so viele WählerInnen für sich zu gewinnen, dass sie in den zweiten Wahlgang kommt, ist von Bemühungen um die Herausbildung einer grossen gemeinsamen Kandidatur der alternativen Linken, die keinen Rückfall des Landes nach rechts, aber auch keine Wiederholung der dem Neoliberalismus und den EU-Vorgaben unterworfenen Hollande-Regierung wollen, nur wenig zu verspüren. Die Zahl von eigenständigen Kandidaturankündigungen aus dem linksalternativen Lager hat zugenommen. Neben Jean-Luc Mélenchon von der "Parti de Gauche" hat auch die Spitzenpolitikerin der Grünen, Cécile Duflot, nun ihre Kandidaturabsichten offiziell bekannt gegeben. Gleichzeitig haben aus dem Lager der "SozialistInnen" mehrere Personen, die innerhalb der "Parti socialiste" (PS) als WortführerInnen der Opposition gegen den Kurs von Hollande aufgetreten sind, eigenständige Kandidaturen angekündigt, so etwa Hollandes ehemaliger Wirtschaftsminister Arnaud Montebourg, und die Anführerin der "Frondeure" in der PS-Parlamentsfraktion, Marie-Noëlle Lienemann.


Für eine "Bewegung von unten"

Vor diesem Hintergrund wandte sich kürzlich der Nationalsekretär der französischen KommunistInnen (PCF), Pierre Laurent, in mehreren öffentlichen Äusserungen mit alarmierenden Worten an die Öffentlichkeit. In einem Artikel in der dominierenden bürgerlichen Tageszeitung "Le Monde" schrieb er am 7. September: "Seit mehreren Monaten alarmiere ich über die Gefahren der Spaltung der Linken und über die Notwendigkeit, sich zu einigen, um dem Land eine Alternative zu bieten. Gespalten fahren wir gegen die Mauer. Alle wissen das, einschliesslich der hauptsächlichen AkteurInnen der Vervielfachung der linken Kandidaturen. Doch das Szenario der Zersplitterung ist im vollem Gange. Bald wird es schwerer sein, einen linken Kandidaten für die Präsidentenwahl zu finden als Trüffel in diesem Winter. Unsere Spaltung spielt dem schäbigen politischen Spiel ohne Zukunft von François Hollande und Regierungschef Manuel Valls in die Hände, oder dem Ehrgeiz von Emmanuel Macron, ehemaliger Goldman-Sachs-Banker, bis vor kurzem noch Hollandes Wirtschaftsminister, am 30. August zurückgetreten nach der Ankündigung, nun eine eigene, noch mehr am Neoliberalismus ausgerichtete 'Bewegung' aufbauen zu wollen. Sind wir denn an diesem Punkt verrückt geworden, die Maschine zum Verlieren auch noch zu schmieren?"


Kandidatur der Linken

In einem ausführlichen Interview mit der kommunistischen Wochenzeitung "Humanité Dimanche" vom 2. September betonte Pierre Laurent gleichzeitig mit grossem Nachdruck, dass er sich mit dieser Zersplitterung der Kräfte der linken Alternative nicht abfinden will. Er sei nicht der Meinung, dass das letzte Wort in dieser Sache schon gesprochen und das sich abzeichnende Szenario nicht mehr zu verändern sei. Der Aufbau einer "grossen Kandidatur der Linken" sei dringender denn je und auch immer noch möglich. Die Kandidaturen aus Kreisen der alternativen Linken hätten sich zwar vervielfacht, aber gleichzeitig sei festzustellen, dass diese Kandidaturen viele gemeinsame Vorschläge, Forderungen und Ziele vertreten. Die PCF hält deshalb an ihrem schon im Frühjahr unterbreiteten Vorschlag fest, dass alle diese Kräfte sich zunächst darauf verständigen, einen gemeinsamen "politischen Sockel", eine Art gemeinsame politische Plattform auszuarbeiten. Erst danach soll in einem offenen und fairen demokratischen Verfahren geklärt werden, wer von den Beteiligten am besten geeignet ist, eine gemeinsame Kandidatur auf der Grundlage dieser Plattform im Wahlkampf zu vertreten und die besten Aussichten hat, viele Stimmen dafür zu gewinnen. Laurent rief die Mitglieder und Freunde der PCF dazu auf, nach der Rückkehr aus der Sommerpause nun überall in den Betrieben und Kommunen verstärkt für dieses Konzept zu werben, mit den anderen Linkskräften in Kontakt und Diskussion zu treten und so eine bereite "Bewegung von unten" für die Herausbildung einer gemeinsamen Linkskandidatur zu entwickeln.

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Quelle:
vorwärts - die sozialistische zeitung.
Nr. 33/34 - 72. Jahrgang - 23. September 2016, S. 7
Herausgeberin: Verlagsgenossenschaft vorwärts, PdAS
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vorwärts erscheint 14-täglich,
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veröffentlicht im Schattenblick zum 12. Oktober 2016

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