Schattenblick → INFOPOOL → MEDIEN → ALTERNATIV-PRESSE


VORWÄRTS/1264: Feuer mit Feuer bekämpfen


vorwärts - die sozialistische zeitung, Nr. 05/06 vom 17. Februar 2017

Feuer mit Feuer bekämpfen

Von Tarek Idri


Die Bürgerlichen beginnen schon damit, für ein Ja zur Halbprivatisierung des Kantonsspitals Winterthur und der Integrierten Psychiatrie Winterthur zu werben. Der Wettbewerb unter den Spitälern habe sich verschärft, argumentieren sie. Die Ursache dafür war aber genau die Revision der Spitalfinanzierung, die die Bürgerlichen durchgesetzt haben!

Die Bürgerlichen haben bereits zum Kampf für die nächste Abstimmung geblasen. Und das bevor der aktuelle Abstimmungskampf vorüber war. Sie können es sich schliesslich auch leisten. Diesmal geht es um zwei Staatsbetriebe, die die Bürgerlichen gerne verscherbeln möchten: Mit "2x Ja zu KSW & IPW" bei der Abstimmung am 27. Mai wird bereits jetzt für die Umwandlung des Kantonsspitals Winterthur (KSW) und der Integrierten Psychiatrie Winterthur (IPW) in Aktiengesellschaften geworben. Nach einer fünfjährigen Sperrfrist können die Aktien dann zur Hälfte an Private verkauft werden, ohne dass eine Abstimmung nötig ist. Für mehr wird es wahrscheinlich ein Referendum brauchen; zumindest die PdA wird dann sicher das fakultative Referendum ergreifen.


Scheinbarer Rollenkonflikt

Für "fitte Spitäler" und "zum Wohle der Patienten", so lautet der Slogan des Komitees. Impliziert wird, dass die bald zum Verkauf stehenden Gesundheitseinrichtungen KSW und IPW nicht "fit" seien. Gemeint ist damit wohl nur ihre Rentabilität. Und sie sind laut Komitee einzig nicht "fit für die Zukunft". Weil in Wirklichkeit zumindest das KSW gegenwärtig sehr rentabel ist: Das KSW erwirtschaftete in den Jahren 2014 und 2015 nach Berücksichtigung von Abschreibungen und Rückstellungen jeweils einen Gewinn von rund 20 Millionen Franken. Der Betriebsertrag 2015 nahm gegenüber dem Vorjahr um 4,8 Prozent auf 468,1 Millionen Franken zu. "Nur weil es heute gut läuft, heisst das nicht, dass das auch in Zukunft der Fall sein wird." Das ist die bizarre Argumentation von Lorenz Schmid von der CVP bei der Eintretensdebatte im Zürcher Kantonsrat.

Immer und immer wiederholt wird von den PrivatisierungsbefürworterInnen ein scheinbarer Rollenkonflikt: "KSW und IPW sind heute die einzigen nicht universitären Zürcher Listenspitäler, bei denen der Kanton Spieler und Schiedsrichter zugleich ist." Im vorwärts hat man bereits darauf hingewiesen, dass die Bürgerlichen nie erklären, was denn das Problem mit dem "Rollenkonflikt" ist. Es wird nur immer und wirklich immer wieder wiederholt; selbst der Satz bleibt immer der gleiche ohne jede Variation.


Groteske Argumente

In einem FAQ auf ihrer Webseite versucht das Ja-Komitee, gegnerischen Fragen Paroli zu bieten. Die Betonung liegt auf "Versuchen", denn ausser liberalen Phrasen haben sie keine überzeugenden Argumente zu bieten. Besonders grotesk wird ihre Erwiderung auf die Feststellung, dass Spitäler "too big to fail" sind und dass die KSW und IPW als AGs im Konkurs von den SteuerzahlerInnen gerettet werden müssen: "Auch staatlicher Besitz ist kein Garant für finanzielle Sicherheit. Bestes Beispiel ist das Stadtzürcher Triemli-Spital, welches wegen Fehlplanung beim neuen Bettenhaus seit 2015 rote Zahlen schreibt - und deswegen sogar einen Stellenstopp verhängt hat. Auch hier zahlt der Steuerzahler." Das ist das Einzige, was sie dazu sagen können: Auch staatliche Betriebe müssten gerettet werden. Dabei ist doch der gewaltige Unterschied zwischen den beiden Fällen, dass bei bankrotten AGs das Geld der SteuerzahlerInnen an die AktionärInnen, an die Reichen geht, um ihre Gewinne zu sichern!

Weiter unten im FAQ benutzen die PrivatisiererInnen in ihrem vollkommenen Realitätsverlust dieses Argument sogar gegen sich: "KSW und IPW können sich als AG viel schneller und flexibler entwickeln, als sie dies heute als öffentliche Anstalt bzw. als kantonales Amt können. So erhalten die Spitäler mit der Umwandlung in eine AG zum Beispiel das Baurecht über die Spital-Immobilien. KSW und IPW können dadurch ihre aktuellen Bauprojekte um Jahre schneller realisieren." Vorher haben sie beim Triemli-Spital moniert, dass es als langsamer Staatsbetrieb eine Fehlplanung durchgeführt hat. Nun ist es also ein Pro-Argument, wenn die Spitäler in Zukunft viel schneller bauen können und so noch viel mehr Fehlplanungen machen werden.

Es gibt allerdings eine Feststellung in ihrem Argumentarium, die richtig ist: "Die Rahmenbedingungen haben sich seit Einführung der Spitalwahlfreiheit und der neuen Spitalfinanzierung grundlegend verschärft und der Wettbewerb unter den Spitälern hat stark zugenommen." Der Konkurrenzdruck macht den Gesundheitseinrichtungen zu schaffen, seitdem das Gesundheitssystem für den Markt geöffnet wurde. Aber wer ist denn dafür verantwortlich?


Zulasten der Arbeitenden

2007 wurde die Revision des Krankenversicherungsgesetzes (KVG) beschlossen, das 2012 eingeführt wurde. Mit dem Reformpaket sind mehrere Änderungen zulasten der arbeitenden Bevölkerung durchgekommen: Erstens die Einführung der Fallpauschalen. Damit wird nicht nach der Aufenthaltsdauer der PatientInnen im Spital abgerechnet, sondern pauschal nach bestimmten Kriterien wie der medizinischen Behandlung. Jacqueline Fehr, die eher zum linken SP-Flügel gehört, erklärte damals, dass auch die SozialdemokratInnen hinter den Fallpauschalen stehen. Die Räte einigten sich überdies darauf, dass sich die Kantone mit mindestens 55 Prozent und die Krankenkassen höchstens mit 45 Prozent an den Kosten für Pflichtleistungen und Investitionen der Listenspitäler zu beteiligen haben. Weiter wurde beschlossen, dass künftig landesweit die freie Spitaiwahl (innerhalb der Listenspitäler) gelten soll; eine teure Bestimmung ohne Zusatznutzen. Der Zürcher Gesundheitsdirektor Thomas Heiniger von der FDP sagte gemäss der "NZZ", dass man eigentlich damit gerechnet habe, dass sich der Anteil der Zusatzversicherten mit der neuen Spitalfinanzierung und der freien Spitalwahl, die 2012 eingeführt wurden, gleichmässiger verteilen würde. Man hätte davon ausgehen müssen, dass die Allgemeinversicherten in die private Klinik Hirslanden strömten. Doch das ist nicht passiert, musste Heiniger zugeben.


Nur PdA dagegen

Die einzige Partei, die sich von Anfang an gegen diese KVG-Revision stellte, war die PdA. Gegen den Antrag von Marianne Huguenin aus Waadt, die vor negativen Folgen des Wettbewerbs warnte, trat der Nationalrat mit 161 zu 3 Stimmen (von der PdA) auf das Geschäft ein. Die PdA-Nationalrätin drängte das Parlament erfolglos darauf, eine solche Revision des KVG nicht durchzuführen: "Gegen die Konkurrenz, gegen die Kontaminierung durch den Markt, gegen die Obsession, die Kosten zu reduzieren zum Nachteil der Qualität der Gesundheitsversorgung." Der Druck auf die Spitäler sei bereits jetzt sehr hoch. Natürlich konnten die bürgerlichen Parteien mit Ausnahme der SVP, der die Revision zu wenig marktradikal war, alle ihre Anliegen durchbringen. Bei der Abstimmung im Nationalrat am 21. Dezember 2007 - nota bene nach den eidgenössischen Wahlen - wurde das Bundesgesetz über die Krankenversicherung von der CVP und FDP einstimmig angenommen. Die SVP enthielt sich mehrheitlich, während die linken Parteien es mehrheitlich ablehnten (die üblichen Verdächtigen der SP, unter anderem Bruderer und Jositsch, haben natürlich zugestimmt). Die KVG-Revision ist dadurch vom Nationalrat angenommen worden, womit sich die Räte geeinigt hatten und die Revision 2012 eingeführt wurde.

Die Personen und Parteien, die damals für die Verschlechterung eingetreten sind, die Schuld sind am Druck des Wettbewerbs auf das Gesundheitssystem, wollen mit noch mehr Wettbewerb die Lage verbessern, wollen also Feuer mit Feuer bekämpfen. Verbessert wird damit allerdings nur der Kontostand der UnternehmerInnen und ihren politischen VertreterInnen. Die SP schreibt in einem Diskussionspapier: "Dass Wettbewerb und Privatisierung im Gesundheitswesen zu mehr Effizienz und Qualität im Gesundheitswesen führen sollen, ist eine oft wiederholte, aber ausschliesslich ideologisch begründete Behauptung ohne empirische Grundlage." Die Bürgerlichen haben auch im kommenden Abstimmungskampf nicht mehr als die Wiederholung von Phrasen zu bieten. Es bliebt zu hoffen, dass es das für einmal nicht zieht.

*

Quelle:
vorwärts - die sozialistische zeitung.
Nr. 05/06/2017 - 73. Jahrgang - 17. Februar 2017 S. 6
Herausgeberin: Verlagsgenossenschaft Vorwärts, PdAS
und ihre Deutschschweizer Sektionen
Redaktion: Vorwärts, Postfach 2469, 8026 Zürich
Telefon: 0041-(0)44/241 66 77,
E-Mail: redaktion@vorwaerts.ch
Internet: www.vorwaerts.ch
 
vorwärts erscheint 14-täglich,
Einzelnummer: Fr. 4.-
Jahresabo: Fr. 160.-, reduziert (AHV, Stud.) 110.-
Probeabo: 4 Ausgaben gratis


veröffentlicht im Schattenblick zum 22. März 2017

Zur Tagesausgabe / Zum Seitenanfang