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VORWÄRTS/1486: Sichere Fluchtwege schaffen jetzt!


vorwärts - die sozialistische zeitung, Nr. 21/22 vom 27. Juni 2019

Sichere Fluchtwege schaffen jetzt!

von Damian Bugmann


Über 68 Millionen Menschen, mehr als je zuvor, sind heute weltweit auf der Flucht vor Krieg, Gewalt und Verfolgung. Sichere Fluchtwege standen im Juni im Zentrum des nationalen Tags des Flüchtlings der Schweizerischen Flüchtlingshilfe SFH. Solidarité sans frontières Sosf lancierte die Kampagne zur Entkriminalisierung der Hilfe für Geflüchtete.


116 Schweizer Anwält*innen schliessen sich der zum Flüchtlingstag gestarteten Sosf-Kampagne zur Änderung von Artikel 116 des Ausländer- und Integrationsgesetzes (AIG) und zur Entkriminalisierung der Hilfe für Geflüchtete aus achtenswerten Gründen an. In der "Erklärung der Anwält*innen der Schweiz zum Vergehen aus Solidarität" fordern sie die richterliche Gewalt der jeweiligen Kantone auf, die Verfolgung und/oder die Verurteilung von Handlungen aus Solidarität einzustellen. Die Unterzeichnenden dieser Erklärung sind in der gesamten Schweiz tätig. Sie erklären sich bereit, jede Person zu verteidigen, die verfolgt wird, weil sie gegenüber einem flüchtenden Mitmenschen in Not Solidarität gezeigt hat. Anwalt Dr. hc. Paolo Bernasconi erinnert daran, dass "unsere Bundesverfassung uns alle verpflichtet, in Solidarität zu wirken".


Gefährliche Routen

Millionen Menschen riskieren auf der Flucht vor Krieg, Gewalt und Verfolgung ihre Gesundheit und ihr Leben oder sitzen ohne Perspektive unter prekären Verhältnissen in unterfinanzierten Lagern fest. Solche humanitären Katastrophen lassen sich laut der Schweizerischen Flüchtlingshilfe SFH mit legalen und sicheren Fluchtwegen verhindern - sie schützen Geflüchtete vor Gewalt, Elend und Tod. Europa schottet sich ab und drängt die Flüchtenden auf immer gefährlichere Routen. Es kommt zu humanitären Katastrophen: Bei der Überfahrt über das Mittelmeer kamen in den letzten Jahren über 10.000 Menschen ums Leben. Unzählige Flüchtende müssen in Transitzonen ausharren oder sitzen in überfüllten Lagern fest - in Ländern, die völlig überfordert sind damit, diesen Menschen den nötigen Schutz zu bieten. Für Frauen* mit kleinen Kindern, kranke oder alte Menschen ist die Situation besonders prekär. Über einen legalen und sicheren Fluchtweg könnten sie in einem anderen Land Schutz suchen, ohne dabei ihr Leben zu riskieren.


Zu tiefe Kontingente

In der ganzen Schweiz fanden rund um die Flüchtlingstage über hundert Events statt. Dies ist laut Eliane Engeler, Mediensprecherin der Schweizerischen Flüchtlingshilfe, "insgesamt ein starkes Zeichen für eine solidarische und tolerante Schweiz." Angesichts des akuten Handlungsbedarfs, der rekordhohen globalen Flüchtlingszahlen und des breiten Rückhalts in der Schweizer Bevölkerung sind die für 2019 bis 2021 beschlossenen 800 Kontingentsplätze pro Jahr aus Sicht der SFH zu wenig. Die Organisation engagiert sich auch für eine weitere Vertiefung und Diversifizierung der Schweizer Resettlement-Politik, was etwa die grosszügige Gewährung von zusätzlichen Kontingenten zur Aufnahme von besonders Schutzbedürftigen umfasst.

Es braucht dafür künftig auch die heute noch fehlenden gesetzlichen Grundlagen und Möglichkeiten, um das breite zivilgesellschaftliche Engagement bei der Umsetzung von humanitären Aufnahmeaktionen verstärkt zu nutzen und zivilgesellschaftliche Akteuri*nnen verbindlich daran zu beteiligen. In diesen Zusammenhang gehört laut Engeler auch kurzfristig eine grosszügigere Nutzung des rechtlichen Spielraums bei der Erteilung humanitärer Visa und bei Familienzusammenführungen. Beides würde besonders Schutzbedürftigen ebenfalls die Möglichkeit bieten, sicher in die Schweiz zu flüchten. Mittelfristig sollten aus Sicht der SFH die heute hier bestehenden gesetzlichen Hürden ganz abgebaut werden. Eliane Engeler: "Umso mehr als die gelebte Humanität, Schutzsuchenden in grösster Not Hilfe zu bieten, von der Bevölkerung mitgetragen wird. Das belegen nicht nur die knapp 40.000 Menschen, die die Petition 'für sichere und legale Fluchtwege in die Schweiz' von HEKS und SFH unterzeichnet haben. Das zeigen auch die Erfahrungen in der Vergangenheit und das vielfältige Engagement der Zivilgesellschaft bei der Aufnahme und Integration von Syrien-Flüchtlingen seit 2013."

SVP-Vorstösse versenkt

Auf nationaler Ebene sind heute diverse politische Vorstösse zum Thema hängig, die die SFH unterstützt. So etwa die Motion Quadranti (18.4157), die erleichterte Erteilung humanitärer Visa insbesondere durch die Abschaffung der Drittstaatenregelung verlangt, oder die Motion Mazzone (18.4311). Sie fordert Familienzusammenführungen zu erleichtern und dazu insbesondere den heute sehr engen Begriff der Kernfamilie zu erweitern.

Gleichzeitig gilt es, Angriffe auf die jüngst beschlossene Resettlement-Politik und die regelmässige Teilnahme an den UNHCR-Programm abzuwehren. Hier hat der Nationalrat soeben in der Sommersession zwei wegweisende Entscheide gefällt: Er versenkte zwei parlamentarische Initiativen der SVP, die verlangten, dass künftig nicht mehr der Bundesrat, sondern das Parlament über die Gruppenaufnahme von anerkannten Flüchtlingen entscheiden solle. "Der Nationalrat bekräftigte damit nicht nur den vom Bundesrat eingeschlagenen Kurs", sagt Eliane Engeler, "er verhinderte so auch, dass Schutzbedürftige zum Spielball parteipolitischer Interessen werden. Auch Kantone, Gemeinden und Städte setzen sich für die regelmässige Aufnahme von anerkannten Flüchtlingsgruppen ein."


Mehr Informationen:
www.sosf.ch/de/
www.fluechtlingshjlfe.ch/

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Quelle:
vorwärts - die sozialistische zeitung.
Nr. 21/22 - 75. Jahrgang - 27. Juni 2019, S. 4
Herausgeberin: Verlagsgenossenschaft Vorwärts, PdAS
und ihre Deutschschweizer Sektionen
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veröffentlicht im Schattenblick zum 17. Juli 2019

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