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VORWÄRTS/1512: Die GrossmütterRevolution


vorwärts - die sozialistische zeitung, Nr.31/32 vom 4. Oktober 2019

Die GrossmütterRevolution

von Sabine Hunziker


Auch die Generation im Pensionsalter bleibt nicht still. Grossmammas, also Frauen* im vierten Lebensabschnitt, organisieren sich, führen Anlässe durch und erstellen wichtiges Informationsmaterial. Sie wollen ein neues Altersbild schaffen und ein Sprachrohr sein. Wichtigstes Ziel ist ein gutes Alter für alle.


Marie-Louise Barben steht im Innenhof des Berner Generationenhauses. Als Teil des Motors der Bewegung "GrossmütterRevolution" spricht sie hier am 17. September im Rahmen der Ausstellung "forever young". Um zur Revolution rund um Frau*sein und Generation zu gehören, muss niemand eine biologische Grossmutter sein, sondern vielmehr zur Generation der Grossmütter gehören. So finden sich hier sehr unterschiedliche Frauen* mit einer grossen Themenvielfalt, die sich für alterspolitische Anliegen einsetzen.


"Jede Oma zählt"

Seit der Demo 2011 rund um das "Grossmütter-Manifest" sind einige schon als "alte Häsinnen" mit dabei. Es kommen aber auch immer Neue und einige Frauen* sind sporadisch mit dabei. Pro Jahr organisiert die Bewegung zwei grössere Veranstaltung, sonst arbeiten die Frauen* zu Themen, die sie selbst einbringen. Theoretisch kann jede kommen und sagen: "Ich gründe eine Arbeitsgruppe". Die Themen sind weitgehend auf die Schweiz zentriert. So gab es eine Gruppe, die Frauen*weisheiten sammelte oder eine arbeitet zum Thema Zukunft.

Auch das Frauen*streikjahr ist zentral. Im Vorfeld an der Frühlingstagung wurden Ideen für den Streik gesammelt. Unter dem Motto "jede Oma zählt" waren Rentner*innen mit dem Flyer "10 Gründe, warum auch Rentnerinnen streiken" und passenden Transparenten aktiv dabei. Grossmütter haben sich dabei auch mit anderen Frauen*streikteilnehmerinnen vernetzt. Beim Austausch mit jungen Feminist*innen gab es Berührungspunkte. Aber die Bewegung der Grossmütter hat auch viele altersspezifische Forderungen, die von der vierten Lebensphase geprägt werden.


Was möchte ich noch tun?

Es geht weiter: Im November werden die Aktivist*innen am GrossmütterForum in Luzern über den vergangenen Frauen*streik nachdenken. "Unsere Engagements nach dem Frauen*streik" ist dabei das Thema. Sich mit der Vielfalt an Themen, Frauen*, Haltungen und Mitteln auseinander zu setzen. Alles in allem ist es auch ein Austausch über das Altsein und über die Frage: was möchte ich noch tun? Im Fokus der generellen Arbeit ist dabei das vierte Lebensalter wichtig, in dem Frauen* wie Männer* ohne Hilfe nicht mehr leben können. So ist die Bewegung auch Teil des Netzwerkes rund um die Volksinitiative "Gutes Alter für alle". Inhalt dieser Initiative wird unter anderem sein, dass Bund wie auch Kantone dafür sorgen sollen, dass Personen bis an ihr Lebensende in einer ihrer individuellen Situation angemessenen Weise betreut, gepflegt und in der Alltagsbewältigung unterstützt werden. Diese Unterstützung erfolgt koordiniert, ganzheitlich und mit präventiver Zielsetzung. Mitglieder der GrossmütterRevolution beliefern die Öffentlichkeit mit entsprechenden Informationen und stehen in Kontakt mit den Politiker*innen.

Die Revolution der Grossmütter findet so nicht auf den Barrikaden, sondern vielmehr darin statt, dass sie Impulse geben. Kulturpolitisch zu verorten, erreichen die Frauen* ein paar tausend Leute und werden immer wieder von Medien für Interviews angefragt oder zu Vorträgen eingeladen. "Wir sind eine Stimme geworden bei alterspolitischen Themen", meint Barben stolz. Das Bild der älteren Frauen* verändert sich langsam: Nicht mehr an eine strickende Oma soll gedacht werden, sondern an Frauen* mit viel Erfahrung, die lustvoll einen neuen Lebensabschnitt leben.


Perspektiven öffnen

Barben ist heute selbst zweifache Grossmamma und arbeitete früher als Gleichstellungschefin. Aufgewachsen ist sie in einem SVP-Haushalt. Damals war die Partei allerdings noch moderater als heute. Die spätere Zeit als Hausfrau mit drei Kindern war nicht immer die glücklichste. Mit über 40 Jahren hatte sie Erlebnisse, die ihr eine neue Perspektive eröffneten. Einer dieser Momente war die Lektüre des Buches "Sisterhood is Powerful" (Schwesternschaft ist mächtig). "Als ich einen der Texte gelesen hatte, da dachte ich: 'ich könnte meinen Namen darunter schreiben, es würde stimmen'. Dabei waren die Texte aus Amerika und nicht von hier", erzählt Marie-Louise Barben mit leuchtenden Augen.

Die Anthologie "Schwesternschaft ist mächtig", ist eine feministische Schrift, die von Robin Morgan 1970 herausgegeben wurde. Morgan war Gründungsmitglied der New York Radical Women. Wie Barben kommen viele Frauen* der GrossmütterRevolution aus der Frauen*bewegung. So heisst die Bewegung nicht "Grosselternrevolution", denn "zuerst müssen wir uns mit uns selber auseinander setzen und dann mit dem anderen Geschlecht" sagt Barben und fügt hinzu: "Dieser geniale Name wird niemals geändert".

Ab 2010 beschloss Barben, nur noch ehrenamtlich zu arbeiten. Als Mitglied der Manifestgruppe in der Bewegung rund um die GrossmütterRevolution gibt sie als Co-Autorin immer wieder informative Schriften heraus. Thema ist beispielsweise Prekarisierung im Alter. Die finanzielle Situation von Frauen* ist oft kritisch: viele müssen mit der AHV leben und konnten nur wenig Rente ansparen. Sozialversicherungen tun so, als ob es nur ständige Erwerbstätige geben würde. Fazit für Barben ist: Keine Altersgruppe ist so verschieden wie die Gruppe über 60 Jahre und je höher die Altersgruppe, je höher der Frauen*anteil.


Lebensqualität und Menschenwürde

"Das hohe Alter ist ein Frauen*universum, denn ein grosser Teil der Menschen, die hier sind oder arbeiten sind Frauen*", so Barben. In der Schrift "Das vierte Lebensalter ist weiblich" werden die sensible Lebensphase dieses Lebensabschnitts beleuchtet und entsprechende Forderungen gestellt. Zwar geniessen viele der Rentner*innen und Rentner* eine hohe materielle Sicherheit. Eine Anzahl Menschen lebt aber auch bescheiden und muss Ergänzungsleistungen beziehen. Unterschiede zwischen Frauen* und Männern* sind gross. Die weibliche Arbeitsbiographie ist geprägt durch Einstiege, Ausstiege und Wiedereinstiege. Frauen* arbeiten häufig Teilzeit mit kleinen Pensen, es gibt eine Lohnungleichheit und das hat Folgen für die spätere Zeit.

Das vierte Lebensalter ist die letzte Phase vor dem Tod und ist sehr individuell und unterschiedlich. Kennzeichnend ist aber, dass körperliche und geistige Einschränkungen Teil dieser Zeit sind, so dass der Alltag nicht mehr vollständig ohne Hilfe zu bewältigen ist. Forderungen zu finanzieller Alterssicherung müssen gestellt werden, damit Lebens- und Menschenwürde auch in diesem Lebensabschnitt gewährleistet sind. Auch diejenigen Menschen wie professionelle Spitex-Angestellte oder Angehörige, welche die Hochaltrigen im Rahmen der Langzeitpflege betreuen, müssen unterstützt oder entsprechend entlöhnt werden. Forderungen zur Wertschätzung unbezahlter Care-Arbeit, angemessener Entlöhnung von bezahlter Care-Arbeit und materieller Sicherheit und Lebensqualität für Menschen in der vierten Lebensphase sind längst fällig.

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Quelle:
vorwärts - die sozialistische zeitung.
Nr. 31/32 - 75. Jahrgang - 4. Oktober 2019, S. 6
Herausgeberin: Verlagsgenossenschaft Vorwärts, PdAS
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vorwärts erscheint 14-täglich,
Einzelnummer: Fr. 4.-
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Probeabo: 4 Ausgaben gratis


veröffentlicht im Schattenblick zum 18. Oktober 2019

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