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VORWÄRTS/1514: Schlechte Arbeitsbedingungen haben im Gastgewerbe System


vorwärts - die sozialistische zeitung, Nr.31/32 vom 4. Oktober 2019

Schlechte Arbeitsbedingungen haben im Gastgewerbe System

von Sabine Hunziker


Ausbeutung im Gastgewerbe betrifft alle - Frauen* aber im Speziellen. Genug von anzüglichen Sprüchen und schlecht bezahlter Arbeit hat das Gastra-Kollektiv - und das über den Frauen*streik hinaus. Ihr Ziel ist es: Wachsen als Gruppe und diverser werden.


Sind Sexismus und schlechte Arbeitsbedingungen alleine unsere Probleme? Diese Frage stellten sich einige Frauen*, die im Gastgewerbe arbeiteten. "Als wir uns als Gastro-Kollektiv das erste Mal trafen, verspürten wir richtige Gänsehautsolidarität", erklären die Aktivist*innen auf Anfrage des vorwärts.


"Wenn du dich bückst... "

Schnell wurde klar, dass Ausbeutung zwar alle im Gastgewerbe betrifft - aber gleichzeitig Frauen* im Speziellen. Im Frauen*streikjahr blieben diese Frauen* mit ihrer schwierigen Situation nicht lange alleine. Der Gastra-Demoblock bildete sich. Obwohl aus unterschiedlichen Bereichen der Gastrobranche kommend, verbanden doch alle Aktivist*innen ähnliche Geschichten. "Der Rücken schmerzt davon neun Stunden am Stück zu stehen. Du bist die ganze Nacht hin und her gerannt. Dir ist heiss. Deine Sachen kleben am Körper. Wenn du dich bückst, um den Teller zu servieren, dich trotz Müdigkeit zwingst zu lächeln, schaut dir der Typ unverhohlen auf deine Brüste", so berichten Frauen* des Gastra-Kollektivs.

Sexistische oder rassistische Sprüche à la: "Gibt's dich auch als Dessert?" oder "Du bist so süss, woher kommst du?" müssen in der Gastrobranche angestellte Frauen* fast tagtäglich hören. Hinzu kommt folgendes: Schlechte Arbeitsbedingungen haben im Gastgewerbe System. Zwar sind nicht alle Besitzer*innen von Lokalen einfach nur schlechte Chef*innen, aber gemeinsam haben sie trotzdem alle etwas: Sie profitieren von den Lohnarbeitenden. Gastrobetriebe sind Teil des kapitalistischen Wirtschaftssystems. Spätestens seit der Liberalisierung rund um das Wirt*innenpatent, konnten in Zürich alle mit genug Geld auf dem Konto den Traum vom eigenen Restaurant verwirklichen. So stieg die Anzahl Betriebe rasch und damit die Konkurrenz. Auch steigende Mieten oder zusätzliche Auflagen von Seiten der Stadt übten Druck aus. Strategie war hier: Die Preise für Mahlzeiten und Getränke müssen sinken und vor allem Einsparungen bei den Lohnabhängigen gemacht werden. Resultat sind schlechte Arbeitsbedingungen, bei denen Angestellte schneller, flexibler und länger für den gleichen Lohn oder sogar weniger Geld arbeiten müssen - auch damit der Anstellungsbetrieb überhaupt existieren kann.


Nicht damit abfinden!

Angestellte der Gastronomie organisieren, um sich gemeinsam den miesen Chef*innen, Grossbetrieben und Wirtschafts- und Arbeitgeberverbänden entgegenzusetzen, ist das Ziel. Forderungen wie "mehr Lohn, unabhängig von Trinkgeld", "Rückendeckung der Chef*innen bei Rassismus und Sexismus" oder "keine Anstellungen im Stundenlohn, sondern nur prozentuale Festanstellungen" wurden beim Frauen*streik gemacht. "Wir organisierten einen Gastra-Demoblock, mit dem wir gastrospezifische Parolen skandierten und selbergeschriebene Flyer verteilten. Ausserdem organisierten wir in Zusammenarbeit mit anderen Gruppen eine Aktion in der Bahnhofshalle im Hauptbahnhof in Zürich, um auf die miesen Arbeitsbedingungen der Angestellten der Candrian Catering AG, welche im HB operiert, aufmerksam zu machen", erzählen die Aktivist*innen vom 14. Juni 2019. "Wir FTIQ* der Gastronomie Zürich und Luzern zeigten unsere Zähne und schickten auch einen Brief an den CEO und die HR von ZFV. Und wir schrieben einen Aufruf zum feministischen Frauen*streik 2019".


Vorbereiten auf den Streik 2020

Neben Erfolgen bei Gesprächen mit Teams und Chefs oder bei den Aktionen gibt es auch Schwierigkeiten. Die Aktivist*innen beschreiben: "Die sehr unterschiedlichen Arbeitszeiten und Lebens- und Arbeitsrealitäten innerhalb der Gruppe waren schwierig. Trotzdem konnten wir vor allem Menschen zum mitmachen bewegen, die mehr oder weniger der Mehrheitsgesellschaft entsprechen und relativ gesehen gute Anstellungsbedingungen haben." Sie fügen hinzu: "In grossen Betrieben waren die Angestellten schwer zu erreichen oder hatten kein Interesse an der Mobilisierung - wahrscheinlich aufgrund prekärer Anstellungsbedingungen. Wir bemerkten, dass wir Unwissen in Bezug auf Arbeitsrecht oder Gewerkschaften haben."

Doch das ist nicht das Ende der Geschichte, denn das Kollektiv trifft sich auch nach dem Streik weiter mit dem Ziel als Gruppe zu wachsen und diverser zu werden. Das Kollektiv ist beispielsweise solidarisch mit dem Reinigungspersonal des Viersternhotels Sheraton an der Pfingstweidstrasse in Zürich-West. Hier gab es im August einen Warnstreik wegen schlechter Arbeitsbedingungen. Frauen* des Gastra-Kollektivs wollen mit mehr Angestellten grosser Gastrobetriebe in Kontakt kommen und dann ein "Awareness-Konzept für die Gastronomie" ausarbeiten (Anm. d. Red.: to be aware heisst auf Deutsch sich bewusst sein, sich informieren, für gewisse Problematiken sensibilisiert sein). Auch sich fortzubilden zu Themen wie Arbeitsrecht und dieses Wissen in Workshops mit anderen Angestellten teilen, ist ein Plan. Sicher ist: Das Gastra-Kollektiv wird beim feministischen Streik 2020 an vorderster Front dabei sein.

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Quelle:
vorwärts - die sozialistische zeitung.
Nr. 31/32 - 75. Jahrgang - 4. Oktober 2019, S. 7
Herausgeberin: Verlagsgenossenschaft Vorwärts, PdAS
und ihre Deutschschweizer Sektionen
Redaktion: vorwärts, Postfach 2469, 8026 Zürich
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veröffentlicht im Schattenblick zum 22. Oktober 2019

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