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VORWÄRTS/1546: Imperialismus und Menschenrechte


vorwärts - die sozialistische zeitung, Nr. 41/42 vom 20. Dezember 2019

Imperialismus und Menschenrechte

von Damian Bugmann


Die humanitäre Situation der Flüchtlinge auf dem Balkan und dem Mittelmeer bleibt dank Imperialismus, globalem Kapitalismus und der Politik der EU katastrophal. Die Solidaritätsbewegung setzte sich in Bundesbern vor den Feiertagen mit Aktionen für die Entkriminalisierung der Hilfe für Flüchtlinge ein und informierte.


Unter dem Motto "Endstation Bosnien - Öffnet die Tür!" berichteten in der Französischen Kirche in Bern Vertreter*innen der Zivilgesellschaft aus Bosnien, Kroatien und Österreich über ihre Arbeit an der ehemaligen Balkanroute. "Eine humanitäre Katastrophe ist vor unserer Haustür im Gange", schrieb Solidarité sans frontières (Sosf) in der Einladung zur Informationsveranstaltung. "An der Aussengrenze Europas in Bosnien Herzegowina müssen Tausende von Flüchtlingen unter schlimmen Bedingungen dahinvegetieren, davon Hunderte auf einer ehemaligen Müllhalde in Vucjak bei Bihac. Die Flüchtlinge werden beim Versuch, über die Grenze nach Kroatien und in die Europäische Union zu gelangen, von der kroatischen Grenzpolizei systematisch geschlagen und zurückgeschoben." Nachdem die Balkanroute geschlossen worden war, sassen Tausende in Bosnien und Kroatien fest. Die EU bezahlt keine humanitäre Flüchtlingshilfe an die betroffenen Balkanländer, sondern Polizeiausrüstung bis hin zu Elektroschockgeräten, Drohnen und Überwachungskameras.

In Kroatien "kümmert" sich Grenzpolizei, Militärpolizei und Interventionspolizei um die Geflüchteten. Einzelne werden herausgegriffen, misshandelt und geschlagen, Frauen* leiden unter sexualisierter Gewalt. Die EU ermuntert und fördert diese Diskriminierungen und Menschenrechtsverstösse.


Rechtshilfe wird bestraft

Im Lager Vucjak auf einer von den bosnischen Behörden hastig mit Schutt und Erde zugedeckten Mülldeponie steigen Gase auf, zum Teil entzündliche, nachts streifen wilde Tiere aus dem umgebenden Wald herum. Und es droht die Umsiedlung in eines der geschlossenen Konzentrationslager. "Es gibt hier nicht genug Wasser, keinen Strom und nicht genug zu essen", sagte die Wienerin Spomenka Celebic, Forscherin vom GSIS-Institut, die als Flüchtlingshelferin mehrere Wochen im Freiluftlager angepackt hatte. "Viele sind krank und körperlich schwach, trotzdem lächeln sie und machen Kaffee für Gäste." Einmal sei eine Rotkreuzdelegation angekommen in teuren Anzügen und Schuhen, um sich ein Bild zu machen von der Situation. "Sie wollten aber um keinen Preis ins Lager hinein - aus Sicherheitsgründen, wie sie sagten. Ich meinte, ja hallo, ich bin täglich hier und die einzige Frau im Team!"

Die bosnische Journalistin Nidzara Ahmetasevic aus Sarajevo war während des Jugoslawienkriegs selbst Flüchtling. "Viele Leute in Bosnien verstehen die Lage der Flüchtlinge, deshalb ist es für sie selbstverständlich, zu helfen. Andere rufen die Polizei, wenn sie Geflüchtete sehen und liefern sie damit Gewalt und Willkür aus." In Kroatien werden offenbar nicht nur Flüchtende und die politische Opposition kriminalisiert. Menschenrechtsaktivist*innen werden laut Maddalena Avon, die in Zagreb für das Center for Peace Studies (CMS) arbeitet, "behindert, bedroht und kriminalisiert, auch Rechtshilfe wird bestraft."


Globaler Rassismus

Das Verhalten der Behörden folgt der Logik der EU (und ihren Zahlungen), deren Ziel es ist, Flüchtlinge von den sich besser dünkenden Ländern Nord- und Westeuropas fernzuhalten. Die Schweiz ist mitverantwortlich für die Menschenrechtsverletzungen, weil sie das Grenzregime der EU als Mitglied von Schengen und Frontex unterstützt und keine Initiative ergreift, um Bosnien zu entlasten und den Geflüchteten zu helfen. An den Fluchtgründen imperialistischer Krieg und kapitalistische Ausbeutung des USA-Europa-Nato-Komplexes kann im Moment nicht ernsthaft gerüttelt werden, wir können uns aber inzwischen dafür einsetzen, dass die geflüchteten Opfer anständig behandelt, untergebracht und versorgt werden. Spomenka Celebic: "Wir müssen uns politisch mehr engagieren!"

Ende November übergab die schweizerische Solidaritätsbewegung mit Anni Lanz, Amanda Ioset (Sosf), und Denis de la Reussille (PdA), mit Lisa Mazzone, Sibel Arslan und weiteren Nationalrät*innen der Grünen sowie vielen Solidarischen einen Protestbrief an die EU-Botschaft in Bern und einen offenen Brief an Karin Keller-Suter, Vorsteherin des Eidgenössischen Justiz- und Polizeidepartments. Sie meinte in ihrer Antwort betreffend Grenzschutzmassnahmen und Einhaltung der Grundrechte sei alles sauber. "Auf ihre wohlklingenden Stellungnahmen folgen keine Taten", so Claude Braun vom europäischen Bürger*innenforum, "aber die Schweiz könnte Gewalt und Menschenrechtsverletzungen in Frage stellen und keine Flüchtlinge mehr nach Kroatien zurückschaffen."


Achtenswerte Beweggründe

Nach den Verurteilungen von Anni Lanz und Lisa Bosia Mirra startete die politische Kampagne für die Entkriminalisierung der Hilfe für Flüchtlinge. Anfang Dezember fand die Übergabe der Unterschriften zu Handen des Parlaments in Bern statt: Solidarité sans frontières, Amnesty International Schweiz, kantonale Asyl-Netzwerke und viele Soldarische übergaben eine Petition mit 30.000 Unterschriften und die Erklärung von 200 Schweizer Anwält*innen zur "Aufhebung des Vergehens aus Solidarität" in Artikel 116 des Ausländer- und Integrationsgesetzes. Mit ihrer strengen Gesetzgebung ist die Schweiz ein Sonderfall, denn in vielen Ländern West- und Osteuropas wird Beihilfe zu illegalem Aufenthalt bei humanitären Motiven nicht bestraft oder nur dann, wenn die Hilfe profitorientiert ist wie bei den so genannten Schleppern. "In Irland ist sie gar kein Delikt und in der Schweiz war sie bis 2008 straffrei, wenn sie aus 'achtenswerten Beweggründen' erfolgte", erinnerte Reto Rufer von Amnesty bei der Übergabe der Unterschriften. Dem Anliegen verleiht die grüne Genfer Nationalrätin und Mitglied der Staatspolitischen Kommission Lisa Mazzone mit einer parlamentarischen Initiative Nachdruck.

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Quelle:
vorwärts - die sozialistische zeitung.
Nr. 41/42 - 75. Jahrgang - 20. Dezember 2019, S. 5
Herausgeberin: Verlagsgenossenschaft Vorwärts, PdAS
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Probeabo: 4 Ausgaben gratis


veröffentlicht im Schattenblick zum 17. Januar 2020

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