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Z/121: Jörg Huffschmid und die Memo-Gruppe (1975-2009)


Z. Zeitschrift Marxistische Erneuerung Nr. 81 - März 2010

Alternative Wirtschaftspolitik - Jörg Huffschmid
und die Memo-Gruppe (1975-2009)

Von Karl Georg Zinn


Die "Arbeitsgruppe Alternative Wirtschaftspolitik" wurde 1975 gegründet und legt seitdem jedes Jahr Ende April ein "Memorandum" vor; deshalb auch bekannt als "Memo-Gruppe". Die Kurzfassung des Memorandums wurde und wird im Vorfeld der Veröffentlichung Sympathisanten zur Mitunterzeichnung vorgelegt. Wer dort seine Unterschrift gab, bekannte sich öffentlich zur Kritik sowohl an der offiziellen Wirtschaftspolitik als auch an den Dogmen des ökonomischen Mainstreams. In den ersten Jahren traf das Memorandum nicht nur auf die - allzu verständliche - Ablehnung seitens der Konservativen, sondern auch die SPD und Gewerkschaften hatten mehr als bloße Berührungsängste. So war es den Beschäftigten der DGB-Gewerkschaften untersagt, bei Unterzeichnung des Memorandums ihre gewerkschaftliche Funktion anzugeben, und selbst die Beschränkung auf den Namen war alles andere als gut angesehen beim gewerkschaftlichen Arbeitgeber. Das änderte sich im Laufe der 1980er Jahre, und inzwischen nehmen die jährlichen Memoranden sowie die gelegentlich publizierten Sondermemoranden einen festen Platz in der politökonomischen Debatte des Landes ein. Das erscheint umso beachtenswerter, als die Mehrzahl der elektronischen und der Printmedien auch gegenwärtig noch an ihrer Strategie festhält, kritische Ökonomie im Allgemeinen und kritische Ökonomen im Besonderen vorwiegend zu ignorieren und allenfalls mal Einzelne von ihnen zu Wort kommen zu lassen.

Jörg Huffschmid gehörte zu den Mitbegründern der "Memo-Gruppe", und er blieb trotz seiner umfangreichen Arbeitsbelastung als Hochschullehrer, Forscher, Organisator internationaler Konferenzen, Initiator und Mitautor des Euro-Memorandums über die vielen Jahre hinweg aktiv an der Arbeit der Memo-Gruppe beteiligt. Nur selten eine Memo-Tagung, auf der er nicht anwesend war; und kaum ein Memorandum, zu dem er keinen Beitrag geschrieben hat. Es versteht sich, dass Huffschmid als Wissenschaftler und als Persönlichkeit mit seinem Profil die inhaltliche Entwicklung der Memoranden wesentlich mitgeprägt hat. In der Anfangszeit erhielt die Konzentrationsfrage, das Problem der monopolistischen Wirtschaftsmacht, stärkeres Gewicht als in den späteren Memoranden. Von den 1980er Jahren an trat die Problematik der wachsenden Divergenz zwischen schwachem realwirtschaftlichem Wachstum und explosionsartiger Ausdehnung des Finanzkapitalismus in den Vordergrund. Huffschmid, dessen einschlägige Publikationen inzwischen zur Standardlektüre für alle gehören, die sich fundiert und ohne die Verzerrungen durch die Globalisierungsapologie über den heutigen Finanzkapitalismus informieren, ihn verstehen wollen, hat wohl als erster im Rahmen der Memo-Diskussionen die historische Bedeutung der relativen Verselbständigung der finanzkapitalistischen Aktivitäten dargelegt und den Zusammenhang mit der neoliberalistischen Wirtschaftspolitik herausgestellt. Dieser argumentative Input wurde von der Gruppe aufgenommen und floss verstärkt in die folgenden Memoranden ein.

Huffschmid hat an seiner klaren marxistischen Grundhaltung niemals Abstriche gemacht. In der Anfangsphase der Memo-Gruppe ergaben sich daraus manche Kontroversen mit jenen Mitgliedern, die stärker an der Keynesschen Theorie orientiert waren. Diese theoretischen Differenzen wurden zwar nicht grundsätzlich beseitigt, aber sie traten in ihrer Bedeutung für die Memorandum-Arbeit in dem Maße zurück, als die durch den Neoliberalismus bestimmte reaktionäre Entwicklung zu einer Neueinschätzung der Situation zwang. Die Vorstellung bzw. Hoffnung, der Kapitalismus ließe sich in absehbarer Zukunft überwinden, schwand, und mehr und mehr ging es um die Verteidigung des Sozialstaates, dessen Unzulänglichkeiten in einem neuen, relativierenden Blick erschienen, als sich die herrschenden Kräfte anschickten, den Sozialstaat zu demontieren. Es kam jedoch noch eine Art Neuentdeckung der Keynesschen Theorie mit ins Spiel. Denn von einigen Mitgliedern der Memo-Gruppe wurde seit Mitte der 1980er Jahre die Keynessche Analyse der langfristigen Entwicklung des Kapitalismus in die Diskussion gebracht. Diese steht selbstverständlich in krassem Widerspruch zum ökonomischen Mainstream, aber sie geht auch weit über die sogenannte "neoklassische Synthese" und deren Keynes-Interpretation (bekannt als IS-ML-Modell) hinaus, - eine Interpretation, die wohl noch heute von der Mehrzahl derjenigen vertreten wird, die sich als "Keynesianer" verstehen. Huffschmid hat erkannt, dass mit der Keynesschen Langfristprognose auch eine Neubewertung des Verhältnis von Marxscher zu Keynesscher Theorie notwendig ist. In der Memo-Gruppe dürfte Keynes' Langfristperspektive, dass hoch entwickelte kapitalistische Volkswirtschaften Wachstumsrückgänge bis hin zur Stagnation erleben (werden), nicht nur durchgängig bekannt sein, sondern auch als zutreffende Analyse angesehen werden. Huffschmid konnte diesen Keynes in Einklang mit der Marxschen Krisenerklärung bringen. Jedenfalls findet sich in späteren Veröffentlichungen Huffschmids zweifelsfreie Zustimmung zu der Keynesschen Wachstumsskepsis. Mit dem theoretisch bestimmten Wechsel von "Marx oder Keynes" zu "Marx und Keynes" ging in der Memo-Gruppe eine pragmatische Zuspitzung einher: Welche Wirtschaftspolitik ist für die aktuellen Probleme bzw. Problemlösungen am besten geeignet. Huffschmid brachte in diesem Zusammenhang vor allem verstärkt das internationale Moment zur Geltung. Die im Zuge der Europäisierung wachsende Bedeutung übernationaler Interventionen - nicht zuletzt durch die Brüsseler Kommission und den Rat - erfordert(e) eine gewisse Relativierung der rein national ansetzenden wirtschaftspolitischen Maßnahmen zugunsten der gesamteuropäischen Perspektive. Es war Huffschmid, der hierzu die entscheidenden Blickfelderweitungen initiierte.

Huffschmid verstand sich primär als Wissenschaftler, nicht als einen in der politikwirksamen öffentlichen Präsentation aktiven Ökonomen. Das könnte mit erklären, warum er trotz seiner zentralen Funktion in der Memo-Gruppe die auch zeitaufwendigen Pressekonferenzen, auf denen jährlich das Memorandum vorgestellt wurde, mied und nicht die Rolle eines der Sprecher der Memo-Gruppe übernommen hat. Das mag zu bedauern sein, aber wer Jörg kannte, musste das nicht nur respektieren, sondern konnte es sehr gut verstehen.


Prof. Dr. Karl-Georg Zinn - Wiesbaden, Wirtschaftswissenschaftler


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Quelle:
Z. Zeitschrift Marxistische Erneuerung Nr. 81, März 2010, Seite 20-22
Herausgeber: Forum Marxistische Erneuerung e.V. und IMSF e.V.
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veröffentlicht im Schattenblick zum 30. März 2010