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BERICHT/155: Friedensfilmpreis 2009 für "The Messenger" (IPPNWforum)


IPPNWforum | 116 | 09
Mitteilungen der Internationalen Ärzte für die Verhütung des Atomkrieges, Ärzte in sozialer Verantwortung e.V.

Ein Anti-Kriegs-Film zur rechten Zeit

Friedensfilmpreis 2009 für "The Messenger"

Von Ulla Gorges


Der US-amerikanische Spielfilm "The Messenger" von Oren Moverman, vorgestellt im Wettbewerb der Berlinale, ist der Friedensfilmpreisträger 2009. Die Preisverleihungsveranstaltung fand am letzten Tag der Internationalen Berliner Filmfestspiele, am 15. Februar, im großen Saal der Akademie der Künste statt - sie war schon Stunden vor Beginn ausverkauft. In Vertretung des Regisseurs nahmen der Hauptdarsteller Ben Foster sowie Produzent Lawrence Inglee und Executive Producer Steffen Aumüller die Friedensfilmpreis-Bronzeplastik, die Urkunde sowie das Preisgeld entgegen.

In der Begründung der Jury heißt es: "Traumatisiert kehren Soldaten von den Schlachtfeldern dieser Tage, die sich hinter Begriffen wie "Enduring Freedom" verstecken, zurück: Der Krieg kommt näher und auch die Todesnachrichten mehren sich. Den "schlimmsten Job der Army" muss Will nach seiner Rückkehr aus dem Irak übernehmen. Er wird zum "Messenger", der diese Todesnachrichten überbringt: soldatisch, korrekt, präzise und distanziert. Höflichkeit statt Mitleid - so bricht diese Nachricht vom Tod an den Fronten des Krieges in die patriotische Alltagswelt voller grüner Wiesen und gewaschener Wäsche ein. Will's Geschichte, die Welt der Armeen und die Wahrheit, dass Krieg deformiert und Menschen hilflos und auf immer verletzt zurücklässt - dies erzählt der Film von Oren Moverman mit großer subversiver und erzählerischer Kraft: ein Anti-Kriegs-Film zur rechten Zeit.

Der Regisseur Oren Moverman wies in der Berlinale-Pressekonferenz darauf hin, dass es in allen kontrovers diskutierten Kriegen einen Zeitpunkt gäbe, an dem Filmemacher und andere Künstler das Augenmerk darauf richten, was sich an der "Heimatfront" tut. "In den USA", so Moverman, "haben wir uns noch nicht wirklich der Frage gestellt, was mit den jetzigen Kriegs-Veteranen geschieht, die mit ihren Verletzungen (...) noch 50 bis 60 Jahre leben werden, in denen sie auf staatliche Unterstützung angewiesen sind." Auch die deutsche Politik und Öffentlichkeit steht am Anfang der Debatte über die Situation von aus Afghanistan zurück kehrenden traumatisierten Soldaten. Und - so steht zu befürchten - auch vor der alltäglicher werdenden Frage, wie Bundeswehr, Politik und Gesellschaft mit den trauernden Hinterbliebenen umgehen sollen.

Sergeant Will Montgomery (Ben Foster), die Hauptfigur des Films, ist ein Irakkriegs-Veteran. Er ist schwer traumatisiert, aber sobald seine schweren körperlichen Verletzungen verheilt sind und er aus dem Krankenhaus entlassen wird, muss er seine letzten drei Dienstmonate im "Casualty Notification Team" ableisten. Seine Aufgabe ist, gemeinsam mit Captain Tony Stone (Woody Harrelson) den Angehörigen gefallener Soldatinnen und Soldaten die Todesnachricht zu überbringen. Wie Notfallärzte werden sie zu jeder Tages- und Nachtzeit per Pieper in Marsch gesetzt, die Botschaft muss die Eltern, Ehefrauen und -männer erreichen, bevor diese sie aus der Presse oder von anderen Armeeangehörigen erfahren. Das Militär-Handbuch gibt in starren Richtlinien den Redetext vor und verbietet jedes tröstliche Wort oder menschliche Geste gegenüber den Trauernden. Die Filmszenen zeigen, wie inhuman und mitleidlos diese Vorschrift in der Praxis ist. Und sie zeigen auch die Absurdität dieses Rituals, wenn ein Dolmetscher den herunter gerasselten Text simultan ins Mexikanische übersetzt und der in der Tür stehende Vater die zweisprachige Todesnachricht gar nicht verstehen kann.

"The Messenger" ist ein Film, dessen Handlung in vielen Elementen dem klassischen Mainstream-Kino folgt: Es gibt eine Männerfreundschaft, etwas Sex, und auch eine Liebesgeschichte, wenn auch ohne Happy End. Er zeigt Folgen des Krieges, ohne dabei eine Botschaft gegen den Krieg so klar und eindeutig herauszurufen, wie es vielleicht so manche/r Friedensfilmpreis-FreundIn erwarten würde. Es bleibt zum Beispiel offen, ob Sergeant Will nach Ablauf seiner Dienstzeit der Armee den Rücken kehren wird. Aber dennoch ist "The Messenger" anders als andere US-amerikanische Filme, die den Krieg zum Thema haben. Der Regisseur Robert Thalheim erläuterte in seiner Laudatio, wie "The Messenger" seine ästhetischen Mittel "tatsächlich auf eine äußerst geschickte und berührende Weise dazu einsetzt, uns einen anderen Blick auf die Auswirkungen des Krieges zu eröffnen. Er öffne uns, so Thalheim, einen anderen Blick auf Szenen, die so sattsam bekannt sind: das Überbringen von Todesnachrichten, das militärische Begräbnis. Anstatt sich in das Ritual von Nationalstolz und Opferbereitschaft zu fügen, lehnt der kleine Sohn eines Gefallenen die Regimentsfahne als Geschenk ab: "Ich habe schon zwei andere". Und seine Mutter, die ihm gerade einen schwarzen Anzug für die Beerdigungsfeier gekauft hatte, geht voller Wut auf Anwerber der Armee los, die in dem Einkaufszentrum zwei junge Männer zur Unterschrift überredet hatten. Thalheim: "Eine Alltagsszene, ein Blick hinter die Kulisse des später perfekt organisierten Begräbnisses. Aber wir nehmen diese Begräbnisszene anders wahr und werden vielleicht ab jetzt solche Szenen im Kino immer anders sehen.

Es sind Szenen, die wir Zuschauer aus vielen US-amerikanischen Armee- und Kriegsfilmen kennen: Operettenhafte Uniformen, zackige Gesten und abgehackte Sätze - bis ins Kleinste ausgefeilte Kulissen und Rituale, die eine Kriegsmaschinerie braucht, damit ihr Lauf nicht durch Menschliches wie Trauer, Mitleid und Angst ins Stocken gerät. Und solche Filme und all die andere Propaganda sind wirksam: Noch symbolisieren die Toten in den USA nicht nur Leid, sondern auch den Stolz auf das eigene Land und die Opferbereitschaft ihrer jungen Soldatinnen und Soldaten und deren Familien. So ist es auch nicht unbedingt ein Zeichen für eine Wende, sondern wohl nur für einen anderen Stil, dass Präsident Obama fünf Wochen nach Amtsantritt sein Wahlkampfversprechen einlöste und das Verbot aufheben ließ, die Särge gefallener Soldaten bei Ankunft in den USA zu fotografieren oder zu filmen. Präsident Bush senior hatte dieses Verbot zu Beginn des 2. Golfkrieges im Februar 1991 erlassen, wissend darum, welch große politische Wirkung Bilder von Gefallenen haben können. Wie zum Beispiel im Vietnamkrieg, als die Särge wie am Fließband aus den Transportmaschinen entladen wurden und solche Bilder die Kriegsmüdigkeit beschleunigt und die Anti-Kriegs-Bewegung gestärkt hatten. Anders ist es - noch - heute: Der Soldatentod wird in den USA nicht tabuisiert, die großen Tageszeitungen veröffentlichen alle paar Tage die aktuellen Zahlen und präsentieren monatlich die Toten mit Fotos und Angaben zur Person auf einer Doppelseite. Der Krieg im Irak hat bislang 4251 (bestätigt) bzw. 4255 (gemeldet) Gefallene auf US-amerikanischer Seite gefordert. (www.icasualties.org). Aber es tut der Popularität Obamas offenbar keinen Abbruch, dass er mit einem Abzug der US-Truppen aus dem Irak nicht den Krieg im Mittleren Osten beenden will, sondern nur den Kriegsschauplatz verlagern und die Truppen in Afghanistan aufstocken lässt.

Noch gibt es in den USA keine breite Anti-Kriegs-Bewegung wie zu Zeiten des Vietnam-Krieges. Die patriotische Stimmung nach den Attentaten vom 11. September 2001 wirkt fort und motiviert junge Menschen, sich für den Dienst in der Armee zu melden - ohne zu prüfen, ob Kriegsgründe und Kriegsziele glaubhaft sind. Auch ist ja für viele die Armee die einzige Chance auf eine Berufsausbildung oder ein anschließendes Studium - wenn sie den Einsatz überleben. Vielleicht hilft dieser Film, dass sie andere Überlegungen in ihre Entscheidung einbeziehen.

Auch für das Publikum in Deutschland, dessen Bevölkerung mehrheitlich gegen den Kriegseinsatz der Bundeswehr in Afghanistan und anderswo votiert hat, ohne dass dies bei den Regierenden und bei der Mehrzahl der ParlamentarierInnen im Bundestag zu entsprechenden Entscheidungen geführt hätte, ist dieser Film wichtig. Gerade erst ist eine Kriegsfolge, die Traumatisierung von heimkehrenden Soldaten, in die öffentliche Wahrnehmung und in die politische Diskussion gerückt - wichtiger Auslöser dafür war ein Fernsehfilm. Und jetzt hat die Bundeswehr zum ersten Mal relativ detailliert Auskunft über die Zahl ihrer Toten und Verletzten gegeben. Die veröffentlichte Statistik, so "Der Tagesspiegel" vom 14.3.2009, enthält keine Kategorie "Kampfhandlungen" und unterscheidet bei den im Einsatz durch Waffen Verletzten nicht nach Kampf, Hinterhalt oder Unfall. Ebenso sei die Zahl der Verletzten nur bedingt aussagekräftig. Aber klar ist die Aussage, dass seit 1994 bei den Auslandseinsätzen 76 Soldaten ums Leben kamen: 14 als Opfer von Anschlägen, 26 bei Unfällen, 5 "bei Unfällen mit Schusswaffen" (?), 13 starben eines "natürlichen Todes" (?) oder beim "Umgang mit Fundmunition" (?). 18 Soldaten starben durch Selbstmord.

Der Friedensfilmpreisträger 2009, "The Messenger", ist ein Anti-Kriegs-Film zur rechten Zeit.


Oren Moverman's "The Messenger" hat in Deutschland bislang noch keinen Verleih gefunden. Sobald er in die Kinos kommt, informieren wir Sie.

Weitere Informationen unter www.friedensfilm.de


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Quelle:
IPPNWforum | 116 | 09, April 2009, S. 30-31
Herausgeber:
Internationale Ärzte für die Verhütung des Atomkrieges,
Ärzte in sozialer Verantwortung e.V. (IPPNW), Sektion Deutschland
Anschrift der Redaktion:
IPPNWforum
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veröffentlicht im Schattenblick zum 1. Mai 2009