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BERICHT/164: Immer an die Leser denken (Agora - Uni Eichstätt-Ingolstadt)


Agora - Magazin der Katholischen Universität Eichstätt-Ingolstadt, Ausgabe 2 - 2009

Immer an die Leser denken

Von Klaus Arnold


Zeitungen haben sich zum Krisenmedium entwickelt: Die Anzeigeneinnahmen gehen zurück und die Leserschaft schrumpft seit Jahren. Eine repräsentative Studie untersuchte, was Leser von ihren Zeitungen erwarten. Ein Ergebnis: Es gibt Nachholbedarf bei der "Jugendarbeit".


Im Mai dieses Jahres betitelte das Magazin der Süddeutschen Zeitung mit "Wozu Zeitung?" ein Themenheft zur Krise des traditionsreichen Mediums. Eine Antwort auf diese Frage könnte sein, weil die Zeitung hochwertigen Journalismus bietet oder zumindest bieten könnte. Denn um die journalistische Qualität der Zeitung ist es im Moment nicht allzu gut bestellt. So sparten viele Verlage in den letzten Jahren Stellen ein oder machten Redaktionen dicht - Maßnahmen, die kaum dazu beitragen dürfen, die Qualität zu verbessern. Aber die Zeitung kann nicht überleben, wenn den Verlagen nur daran gelegen ist, mit wenig Mitteln ein gefälliges redaktionelles Umfeld für Werbeanzeigen zu schaffen. Die Zeitung muss mehr leisten. Wenn ihr das nicht gelingt, so der Chefredakteur der Süddeutschen Zeitung, Hans-Werner Kilz, im Themenheft des SZ-Magazins, "macht sie sich auf Dauer entbehrlich."

Aber wie wurde die Zeitung zum Krisenmedium? Bereits zu Beginn dieses Jahrzehnts hatten die Zeitungen in der damaligen Wirtschaftkrise beträchtliche Rückgänge bei den Anzeigen zu verkraften. Zwar konnten sich die meisten Blätter in den folgenden Jahren etwas erholen, aber seit letztem Jahr setzt ihnen erneut eine Wirtschaftskrise zu. Die Verluste bei den Anzeigen sind indes nicht nur auf konjunkturelle Ursachen zurückzuführen, eine wichtige Rolle spielt auch die Konkurrenz durch das Internet, in das Teile des Kleinanzeigenmarkts abgewandert sind. Die Zeitungen haben aber noch ein weiteres Problem: Seit Anfang der 1980er Jahre gehen die Reichweiten kontinuierlich nach unten, was vor allem daran liegt, dass immer weniger junge Menschen dieses Medium nutzen. In den guten Jahren konnte das den Zeitungen relativ egal sein, denn die Werbeeinnahmen sprudelten und die Gewinne waren hoch. Aber angesichts der Einbrüche bei der Werbung kommt es nun auf die Leser an: Die Verlage müssen die Reichweitenverluste bei der gedruckten Zeitung aufhalten und Leser für ihre Internetausgaben gewinnen.


Dies kann den Zeitungen aber nur gelingen, wenn sie sich unentbehrlich machen und Qualität liefern. Doch was ist unter Qualität bei der Zeitung und allgemeiner im Journalismus zu verstehen? Die Herausbildung von Journalismus als einem eigenen Handlungssystem hängt eng mit der Entstehung der modernen Gesellschaft zusammen. In einer Phase, in der Politik und Wirtschaft zunehmend komplexer wurden, sich räumliche Horizonte öffneten und ein Bewusstsein dafür entstand, dass die Zukunft offen und gestaltbar ist, wurde es für immer mehr Menschen wichtig, über aktuelle Entwicklungen Bescheid zu wissen, um ihren Interessen gemäß handeln zu können. Genau solche Informationen stellt Journalismus zur Verfügung. Damit Journalismus in der Gesellschaft eine Thematisierungs- und gegenüber dem Einzelnen eine Orientierungsfunktion wahrnehmen kann, muss er Relevantes aufgreifen, aktuell, vielfältig und glaubwürdig sein. Glaubwürdigkeit kann Journalismus nur erreichen, wenn er seine Kommunikationsangebote über Recherche absichert und - zumindest nicht primär - bestimmte wirtschaftliche oder politische Interessen verfolgt, also unabhängig ist. Als unabhängiges Handlungssystem ist er zudem gut geeignet, Vorgänge in anderen gesellschaftlichen Systemen wie Politik oder Wirtschaft zu kritisieren. Um ein breites Publikum zu erreichen, muss Journalismus zudem leicht zugänglich sein, also z.B. sich in einer angenehmen Sprache ausdrücken oder seine Produkte übersichtlich gestalten. Dazu kommen spezielle Stärken der verschiedenen Medien, bei der Zeitung sind dies der regionale/ lokale Bezug sowie die analysierende Hintergrundberichterstattung.


Insbesondere im Verhältnis zur Politik ist es angesichts einer durch Mono- und Oligopole geprägten Medienlandschaft zudem von Bedeutung, dem "mündigen Bürger" eine neutrale Informationsgrundlage bereit zu stellen, auf deren Basis er sich eine eigene Meinung bilden kann. Deshalb wird in einer Reihe von Mediengesetzen die Unparteilichkeit im Journalismus betont, also die Trennung von Nachricht und Meinung sowie die Ausgewogenheit. In den Mediengesetzen wird auch immer wieder der Schutz der Persönlichkeit hervorgehoben - ein Prinzip, dass auf der Achtung der Menschwürde beruht und ohne das gesellschaftliches Zusammenleben kaum möglich ist. Gerade für die Regional/Lokalzeitungen, die in Deutschland das größte Marktsegment darstellen, ist es außerdem wichtig, die Lebenswelt der Menschen zu berücksichtigen: Sie müssen die Probleme der Menschen aufgreifen und in einen größeren Zusammenhang stellen oder - umgedreht - allgemeine Probleme auf die Lebenswelt beziehen. Weiter sollte sich das Publikum in der Berichterstattung wieder finden - es muss also zumindest rudimentär miteinbezogen werden. Schließlich ist es für den Journalismus essenziell, einen Kommunikationsmodus zu pflegen, der den Menschen entgegen kommt: Journalismus muss bis zu einem gewissen Grad unterhaltsam sein, z.B. durch die Wahl der Darstellungsform oder durch ein attraktives Layout.


Aber welche dieser Kriterien sind für das Zeitungspublikum besonders wichtig, welche spielen eine nicht ganz so große Rolle? Wo gibt es Defizite? Um diese und weitere Fragen zu beantworten, wurde im Rahmen eines von der Deutschen Forschungsgemeinschaft geförderten Projekts eine bevölkerungsrepräsentative Umfrage im Eichstätter Telefonlabor durchgeführt. Befragt wurden im Jahr 2005 insgesamt 1.168 Personen über 14 Jahre. Kern des Fragebogens waren 27 Statements zur Qualität von Zeitungen, mit denen die oben geschilderten Qualitätskriterien operationalisiert wurden.

Im Ergebnis zeigte sich, dass es für die Befragten besonders wichtig ist, dass eine Zeitung mit einer übersichtlichen und angenehm zu lesenden Mischung aus kurzen Berichten und Hintergrundanalysen eine unabhängige und aktuelle Orientierungsleistung erbringt. Darüber hinaus wird erwartet, dass eine Zeitung auch heiße Eisen anpackt und mit den Menschen respektvoll umgeht. Unterhaltsamkeit oder ein schickes Layout rangieren hingegen ganz unten auf der Wunschliste. Aspekte, die mit der Unparteilichkeit oder mit dem Bezug zur Lebenswelt zusammenhängen, landeten im Mittelfeld. Die Zeitung hat also ein eindeutig informationsorientiertes Qualitätsprofil. Leider liegen auch ihre Defizite in diesem Bereich: Viele Leser meinen, ihre Zeitung sei nicht unabhängig oder packe zu selten heiße Eisen an. Auch die Trennung von Nachricht und Meinung oder der Bezug zur Lebenswelt werden angemahnt: So versäumen es viele Zeitungen, ihren Lesern zu erklären, inwieweit sie von wichtigen Ereignissen selbst betroffen sind.


Schaut man sich die verschiedenen Zeitungsarten an, so hat die jeweilige Leserschaft typische Vorlieben. Die Leser der Boulevardblätter legen Wert auf Unterhaltung und angenehme Lesbarkeit, Regionalzeitungsleser schätzen den lebensweltlichen Bezug und Leser überregionaler Blätter erwarten eine mutige und kritische Zeitung. Besonders die Leser von Boulevardzeitungen machen zahlreiche Mängel aus; dies betrifft so basale journalistische Kriterien wie Glaubwürdigkeit oder Unparteilichkeit, aber auch den respektvollen Umgang mit den Menschen in der Berichterstattung. Regionalzeitungsleser wünschen sich eine unterhaltsamere sowie mutigere Zeitung und die Leser überregionaler Blätter erwarten mehr kurze Berichte und eine deutlichere Trennung von Nachricht und Meinung.

Für die Verlage sind insbesondere die jungen Menschen ein großes Problem, denn sie lesen immer weniger Zeitung. Haben junge Menschen andere Erwartungen an dieses Medium? Die Studie zeigt, dass sie mehr Wert auf das Layout sowie die Unterhaltsamkeit legen. Zudem scheinen die Zeitungen zu wenig jugendrelevante Themen zu behandeln und es zu versäumen, Bezüge zum Alltag der jungen Menschen herzustellen. Da die jüngeren Altersgruppen (14 bis 29 Jahre) aber insgesamt ein geringeres Bewusstsein für die Qualitäten der Zeitung haben, reicht es nicht aus, sie mit einer Jugendseite oder speziellen Angeboten im Internet anzusprechen. Wichtig ist es auch, ihr Interesse für hochwertigen Journalismus zu wecken, also die medienpädagogischen Anstrengungen zu verstärken.


Wollen die Zeitungen überleben, müssen sie also in vielen Punkte ihre Qualität verbessern und sich verstärkt um die Jugendlichen und besser schon die Kinder kümmern. Dies betrifft sowohl die Printausgaben als auch die Online-Angebote der Zeitungen. Vor allem in Hinsicht auf die jüngeren Zielgruppen, die kaum mehr zur gedruckten Zeitung greifen, dafür aber ständig im Netz unterwegs sind, ist es entscheidend, auch im Internet modernen Qualitätsjournalismus zu liefern, denn nur so können die Zeitungen neben den vielen anderen Informationsangeboten bestehen. Sicherlich - Qualität kostet Geld. Aber gerade in der Krise kann es sinnvoll sein, klug zu investieren, um als ein Gewinner aus ihr hervorzugehen. Und angesichts der gesellschaftlichen Bedeutung des Zeitungsjournalismus - Heribert Prantl von der Süddeutschen Zeitung nannte ihn in einer Rede "systemrelevant" für unsere Demokratie - muss auch darüber nachgedacht werden, inwieweit hochwertiger Journalismus von der Allgemeinheit gefördert werden könnte. Möglich wäre zum Beispiel eine mit öffentlichen Geldern ausgestattete Stiftung, die gezielt Anschubfinanzierungen für einzelne Projekte vergibt, zum Beispiel für eine umfangreiche Recherche oder zur Einrichtung einer täglichen Kinderseite.


PD Dr. Klaus Arnold ist an der KU Akademischer Oberrat am Lehrstuhl für Journalistik II. Seine Forschungsschwerpunkte sind unter anderem Medien- und Kommunikationsgeschichte, Publikumsforschung sowie Qualität und Ethik im Journalismus.


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Quelle:
Agora - Magazin der Katholischen Universität Eichstätt-Ingolstadt
Ausgabe 2/2009, Seite 30-31
Herausgeber: Der Präsident der Katholischen Universität,
Prof. Dr. Andreas Lob-Hüdepohl
Redaktion: Presse- und Öffentlichkeitsreferat der KU,
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veröffentlicht im Schattenblick zum 10. November 2009