Schattenblick →INFOPOOL →MEDIEN → FAKTEN

BERICHT/189: Politische feministische Kunst - mediale Anwaltschaft (frauensolidarität)


frauensolidarität - Nr. 114, 4/10

Politische feministische Kunst
Schismen und Schemen von medialer Anwaltschaft

Von Paromita Vohra


Seit wann wird politische Kunst mediale Anwaltschaft genannt? Wahrscheinlich seit der Zeit, als die feministischen Bewegungen zu Frauenbewegungen umbenannt wurden. Ab einem bestimmten Punkt haben wir begonnen, Kunst- und Medienprojekte als Ausdruck unserer politischen Ideen zu sehen, und verwendeten sie als schnelle, billige und praktische Überbringerinnen unserer Inhalte.
(1)


Medien als Werkzeug für soziale Veränderungen zu verwenden hat in Indien eine jahrzehntelange Tradition. Begonnen hat es mit dem Konzept der nationalen Identität - sowohl die Entstehung als auch die Kritik dieser - und entwickelte sich von der väterlichen Regierungsvision Doordarshan und All India Radio bis hin zu linken und liberalen FilmemacherInnen in den 1970er und 1980er Jahren, den Medienkollektiven in den 1990er Jahren und der wachsenden Vielfalt an alternativen Medieninitiativen des heutigen Indien.


Pfadrichtungen

Mediale Anwaltschaft verfolgt drei Linien: das Machen alternativer Medien, die Kritik an Mainstreammedien und das Training medialer Werkzeuge für ungeschulte Personen, damit der mediale Prozess entmystifiziert wird und um ihnen die Möglichkeit zu geben, ihre (Lebens-)Geschichte selbst zu erzählen.

Betrachtet man in Indien die feministischen Bewegungen, so wird die Relevanz medialer Anwaltschaft umso deutlicher. Frauen haben mit dem Werkzeug der Medien die Möglichkeit, kulturelle Haltungen, die das Patriarchat unterstützen und zivilgesellschaftliche Prozesse verhindern, zu entkräften. Hinzu kommt, dass Videoaufnahmen von Fraueninitiativen und -erfahrungen Hand in Hand mit dem Konzept der "oral history" geht sowie die Möglichkeit bietet, das Private öffentlich und damit politisch zu machen.


Beibehaltung gewohnter Pfade

Das oft zitierte Experiment der Videoproduktion von SEWA (Self Employed Women's Association) oder die Bildung von Mediastorm, ein Frauenmedienkollektiv aus Delhi, die sich mit Dokumentarfilmen beschäftigt, sind wichtige Entstehungen. Aber bis auf ein paar Ausnahmen blieb diese Art von Medienarbeit in ihrer Anfangsphase stecken. Es gibt eine stärkere Tendenz dazu, eine Position zu erklären, als aus ihr heraus zu sprechen. Mediale Anwaltschaft von und für Frauen kommt von einer politischen philosophischen Erzählform und ist mit den Ideen feministischer Gedanken und feministischem Aktionismus vertraut. Die Wichtigkeit von Frauenthemen wurde anerkannt, doch es ist so, als würde der feministische mediale Diskurs in einem sicheren Eck stehen und nicht die ruhige Oberfläche der politischen Korrektheit herausfordern und belästigen.


Zahmer feministischer Diskurs?

Viel der anwaltschaftlichen Arbeit kreiste um sogenannte Frauenthemen und widmete sich nicht feministischen Zugängen zu globalen Themen. Und zwar deshalb, weil eine Industrie von Förderungen und Werbung dahinter steht, die Frauencharaktere in einem Film ausreichend findet. Genauso wie Frauen, die hinter der Kamera stehen und somit als ermächtigt betrachtet werden. Die Förderung von medialer Anwaltschaft ist relativ einfach zu bekommen, wenn man einen Film zu bestimmten Themen wie zum Beispiel Frauen und Gewalt drehen möchte. Das Thema hat eine klare Linie, und das Resultat des Projekts soll ersichtlich, unmissverständlich und greifbar sein. In der politischen Sprache nennen wir das "Implementierung". Da die Industrie der Förderung expandiert, neigt die mediale anwaltschaftliche Arbeit dazu, sich von der zentralen Idee, von der sie einst entstand, wegzubewegen und wird dekontextualisiert, alltäglich, durchführend und irgendwann eine tote Metapher.


Verbannte Gegenrevolution?

Dieser Zugang geht von einer fixen und sich nicht weiter entwickelnden Darstellung von dem aus, was politisch ist und was es bedeutet, eine indische Frau zu sein. Tendenziell nimmt mediale Anwaltschaft daher nur auf Frauen und ihre Probleme Bezug und lokalisiert sie nur in ihrem sozio-ökonomischen Setting. Sie bleibt auf einer einfachen Ebene stecken, so als würden Frauen keine komplexen Kompromisse verhandeln, Theorien entwickeln und Kunst produzieren können. Es ist eine pseudo-soziale Ästhetik, in der festgelegte Gleichheit eine Metapher für Gleichberechtigung und die Welt des Ideenreichtums eine verbannte Gegenrevolution ist.

Mediale Anwaltschaft hat die reiche theoretische und politische Untermauerung feministischer Gedanken verlassen und sich mit der Mainstreamindustrie verzweigt. Sie fiel in einen behutsamen, mechanischen und konservativen Modus, der die Entstehung alternativer Kultur nicht zulässt.

Das Konzept der derzeitigen medialen Anwaltschaft entstand auch mit dem Aufkommen zahlreicher NGOs. Doch blickt man außerhalb des NGO Sektors, so gibt es auch das Beispiel des narrativen, persönlichen Films. Geboren von der Idee, dass das Persönliche politisch ist, ist es jetzt der Schatten dieser Idee; denn es ist nicht genug, von dem eigenen Leben zu reden und zu hoffen, dass Frauen im näheren Umfeld inspiriert werden und der Film so automatisch in eine politische Bedeutung übersetzt wird. Wir sind weit davon entfernt, unsere persönlichen Geschichten nach außen zu tragen und es gleich Revolution zu nennen. Die Magie des Satzes "das Persönliche ist politisch" war, dass es auch umgekehrt galt, "das Politische ist persönlich", und es ist mein Vorschlag, dass wir das Persönliche politisch wiedergeben, indem wir es auch ausdrücken.

Die beschriebene Entwicklung medialer Anwaltschaft hat auch mit der Hierarchie der Themen zu tun. Trotz aller Lippenbekenntnisse, dass feministische Themen wichtig sind, findet eine Abstufung durch das patriarchale Verständnis von thematischen Prioritäten statt. Frauenthemen haben am 8. März ihre Präsenz, doch unter dem Jahr lautet die Kategorie etwa: kommunale Themen mit der Unterkategorie Frauen.

Das ist eine Denkart von Schismen und Schemen. Betrachtet man die Trennung von Feminismus zur Welt, indem Feminismus als Frauenthema wiedergegeben wird, so versucht mediale Anwaltschaft fast verzweifelt sicherzustellen, dass Frauenthemen nicht einfach nur Frauenthemen sind. Nun frage ich mich, warum es so schwer ist, intuitive Formen der Kunst zu sehen, damit Frauenthemen eben nicht nur Frauenthemen bleiben.

Die Schismen sind zweifach. Die Trennung ist nicht nur zwischen Frauen und dem Rest der Welt oder Feminismus und Frauenthemen, sondern stärker und sichtbarer zwischen dem, was als kulturell/künstlerisch, theoretisch und politisch gesehen wird. Dieser Ansatz sieht Kunst und Kultur als fragmentierten Weg, als eine reine Ergänzung zur tatsächlichen Arbeit der Gesellschaft sowie als eine Illustration sozialer und historischer Momente. Alle Medien können klar durch ein Schema identifiziert bzw. definiert werden, in dem Kunst oder mediale Arbeit Kommerz ist, wenn sie unterhält, persönlich, wenn es ausgedrückt wird, und politisch, wenn es unmissverständlich ist. Dieser Argwohn von Kunst ist der gleiche Argwohn von Feminismus. Beide sind Ansätze, in denen objektive Tendenzen untergraben werden, und sind in unerbittlicher Art und Weise subversiv. Das Bemühen, sie von einander, vom Mainstream des Alternativen zu trennen, ist stur und unflexibel.

Anmerkung:
(1) Die ungekürzte englische Version des Beitrages finden Sie auf www.frauensolidaritaet.org.


Zur Autorin:
Paromita Vohra ist Filmemacherin und Autorin. Sie arbeitet selbstständig sowie in Zusammenarbeit mit Organisationen. Ihre Filme (z. B.: Unlimited Girls 2002) fokussieren Gender- und Feminismusdiskurse. Sie lebt und arbeitet in Mumbai, Indien.

Übersetzung aus dem Englischen: Julia Günther


*


Quelle:
Frauensolidarität Nr. 114, 4/2010, S. 6-7
Herausgeberin:
Frauensolidarität - Entwicklungspolitische Initiative für Frauen
Sensengasse 3, 1090 Wien
Telefon: 0043-(0)1/317 40 20-0, Telefax: 0043-(0)1/317 40 20-406
E-Mail: redaktion@frauensolidaritaet.org
Internet: http://www.frauensolidaritaet.org

Die Frauensolidarität erscheint viermal im Jahr.
Einzelpreis: 5,- Euro;
Jahresabo: Österreich und Deutschland 20,- Euro;
andere Länder 25,- Euro.


veröffentlicht im Schattenblick zum 6. Januar 2011