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BERICHT/198: Zum Wandel des Tageszeitungsmarktes (NG/FH)


Neue Gesellschaft/Frankfurter Hefte Nr. 6/2011

Niedergang und Transformation
Zum Wandel des Tageszeitungsmarktes

Von Rudolf Walther


Zwei ganz unterschiedliche Themen beschäftigten die Medienkritik in den letzten Wochen - die "Frankfurter Rundschau" und die "BILD-Zeitung". - Der überregionale Teil der "Frankfurter Rundschau" soll abgewickelt werden und in der "Berliner Zeitung" aufgehen. Das ist eine Zäsur in der medienpolitischen Entwicklung, aber die Reaktionen darauf sind eher leise. Eine luzide Studie interpretiert den "BILD"-Zeitungsjournalismus nicht als parteiischen Journalismus, sondern als schlichtes Geschäftsmodell der Vermarktung einer Marke.


Jüngst wurde bekannt, dass die linksliberale Tageszeitung Frankfurter Rundschau (FR) ihre Selbstständigkeit verliert. Das Blatt wird in Zukunft in Berlin und von der Berliner Zeitung gemacht, die ebenfalls zum Verlag Neven DuMont (Köln) gehört. Zum Erstaunlichsten gehört nicht, dass das geschieht - es war aus Verlagssicht absehbar. Viel erstaunlicher ist die Lautlosigkeit, mit der die Abwicklung vor sich geht. Insbesondere von der Redaktion der Berliner Zeitung hört man nichts von Protesten gegen die Entscheidung und schon gar nichts von Solidarisierung mit den gebeutelten Frankfurter Kolleginnen und Kollegen.

Die Abwicklung der Frankfurter Rundschau stellt eine Zäsur dar in der deutschen Mediengeschichte nach dem Zweiten Weltkrieg, denn die FR ist die einzige überregionale Tageszeitung mit entschieden linksliberalem Profil und einem dauerhaften Engagement für die sozialen Bewegungen von der Ostermarsch-, über die Studenten- bis zur Umweltbewegung. Die Zeitung erhielt ihre Lizenz am 1. August 1945 von der amerikanischen Besatzungsmacht. Von 1946 bis zu seinem Tod 1973 prägte der Sozialdemokrat Karl Gerold als Verleger das Blatt.

Vom Himmel gefallen ist diese Entwicklung nicht. Schon in den 80er und 90er Jahren wurde die Zeitung maßgeblich mitfinanziert über Gewinne aus der Druckerei - die hauptsächlich von Aufträgen der Axel Springer AG lebt. Seit 2000 leiden alle Tageszeitungen unter rückläufigen Anzeigenaufkommen. Bis dahin verdienten "die Zeitungsverlage mehrheitlich außerordentlich gut" - so Horst Röper, der beste Kenner der deutschen Medienlandschaft, schon 2002. Allerdings reagierten die meisten Verleger auf die krisenhafte Entwicklung des Anzeigenmarktes mit beispielloser Einfalt. Die ganze Branche verfiel einer "Interneteuphorie" und verbrannte Millionenbeträge mit Netzauftritten, die schnell "zu einer Belastung für die Bilanzen" (Röper) wurden und nicht der erhofften Rettung dienten. Auch Schüsse aus der Hüfte wie die Mittagszeitung City und "Wahnsinnsprojekte" wie das Magazin - so ein Insider - kosteten die Frankfurter Rundschau nur viel Geld.

Ab 2002 geriet die Frankfurter Rundschau in erhebliche Schwierigkeiten. Die Geschäftsführung übernahm ein Generalbevollmächtigter der Gläubigerbanken. Die Wirtschaftsprüfungsgesellschaft KPMG erstellte einen radikalen Sanierungsplan. Um die 150 vorgesehenen Stellenstreichungen durchzusetzen, ernannte man im Oktober 2002 den aus der Gewerkschaftsbewegung stammenden Wolfgang Storz zum Chefredakteur, dem ein Sozialplan vorgegeben wurde, mit dem ältere Mitarbeiter geschont, Erbhöfe und alte Zöpfe erhalten, dafür junge Leute entlassen wurden. Den verbliebenen Mitarbeitern wurden Weihnachts- und Urlaubsgeld gestrichen. Die Mitarbeiterzahl - also Redaktion, Verwaltung und Verlag - wurde zwischen 2001 und 2004 mehr als halbiert. Der Abbau konnte jedoch nicht verhindern, dass bereits im März 2003 ausgerechnet bei der konservativen Landesregierung unter Roland Koch eine Landesbürgschaft beantragt werden musste. Dem Chefredakteur Storz gelang es, das linke Profil der Zeitung zu schärfen und das faktische jährliche Auflagenminus zu stoppen, indem er die Lokal- und Regionalberichterstattung erweiterte.


Der Sparzwang regierte

Unter dem ökonomischen Druck war an eine Blattreform nicht zu denken. Im Mai 2004 stieg die der SPD gehörende "Deutsche Druck- und Verlagsgesellschaft" (DDVG) bei der Frankfurter Rundschau mit dem Kauf von 90% der Anteile aus dem Besitz der Karl-Gerold-Stiftung ein. SPD-DDVG waren klug genug, aus der FR keine Parteizeitung im strikten Sinne machen zu wollen. Klugheit und Toleranz stießen auch an Grenzen - der FR-Chefredakteur musste gehen. Für die SPD-DDVG spricht, dass sie ihr Versprechen gehalten hat und gut zwei Jahre nach dem Kauf die Hälfte der Anteile an Neven DuMont verkaufte, der seither die Mehrheit hält. Der Verleger Alfred Neven DuMont und sein neuer Chefredakteur Uwe Vorkötter stehen für drei Fehlentscheidungen: zwei brachten das Blatt ökonomisch nicht voran und eine ruinierte den Ruf der Zeitung. Ökonomisch falsch war, die Regional- und Lokalseiten im Rhein-Main-Gebiet zu reduzieren. Aus dieser Region mit - je nach Zählweise - 2 bis 4 Millionen Einwohnern stammte das größte Anzeigenaufkommen. Hier waren die Vertriebskosten am geringsten. Als ökonomisch aussichtslos hat sich auch die Umstellung auf das Tabloid-Format im Mai 2007 erwiesen. Sie kostete immerhin 15.000 zahlende Abonnenten. Ausgesprochen teuer kamen die Zeitung zwei Umzüge der Redaktion zu stehen.

Katastrophal wirkte sich die inhaltliche Neuausrichtung der Frankfurter Rundschau nach der Umstellung auf das Tabloid-Format aus. Parallel zur üppigeren Bebilderung der Seiten wurde der Umfang der Texte gekürzt. Statt das Profil der Zeitung nach links zu forcieren, setzte man auf einen Kurs zwischen einem zahnlosen Sozialliberalismus und Anleihen beim herrschenden Neoliberalismus.

Diese "Kurskorrektur" kam bei vielen Lesern nicht gut an: täglich vier Seiten Boulevardtexte, seifige Interviews mit halbwegs Prominenten, klebrige Homestorys und ein zusammengestrichenes, intellektuell abgemagertes Feuilleton vertrieben treue Leser in Scharen. Die ausgedünnten Etats für freie Mitarbeiter führten zu einer rigorosen Trivialisierung und Provinzialisierung der Kulturberichterstattung. Die festangestellten Redakteure wurden zu flinken Schreibmaschinen degradiert. Auch die buchstäblich nach allen Seiten offenen, konturlos-zahmen Kommentare sowie der als Lesernähe verkaufte Chauvinismus des Lokalteils beschleunigten den Abstieg der Zeitung.

2010 lagen die Verluste dem Vernehmen nach bei 19 Millionen Euro. Durch die nun vorgesehene Zusammenlegung der Frankfurter mit der Berliner Redaktion sollen 88 der 190 Redaktionsstellen gestrichen werden. Nach Qualitätssteigerung sieht das nicht aus - eher nach einer Verzweiflungstat.


"Öffentlichkeitsarbeiter" im Selbstauftrag

Die BILD-Zeitung bildet seit den 60er Jahren immer wieder Anlass für Untersuchungen des Boulevardjournalismus. Die geläufige Argumentation bezichtigt diesen des Kampagnenjournalismus. Damit manövrieren sich die Kritiker von Hans Magnus Enzensberger bis Günter Wallraff immer in eine Sackgasse, denn in wessen Interesse und für wessen Vorteile solche Kampagnen von den Springer-Leuten geführt werden, lässt sich notorisch nicht belegen, sondern nur spekulativ erschließen. Der Vorwurf des Kampagnenjournalismus - so sachlich nahe liegend er ist - lebt immer von Spekulation und nicht belegbaren Zusammenhängen.

Dieser Sackgasse weicht die Studie von Hans-Jürgen Arlt und Wolfgang Storz Drucksache "Bild" - Eine Marke und ihre Mägde ebenso elegant wie intelligent aus.

BILD kommt als Zeitung daher - also als journalistisches Produkt, das in erster Linie Informationen transportiert. Die Studie belegt minutiös, dass BILD mehr und anderes ist als ein journalistisches Produkt. Den Kern der Information entleiht BILD dem medialen Mainstream, wie die Autoren am Beispiel des Umgangs von BILD mit der Griechenland- und Eurokrise darlegen. Dieser Kern lautet: "Die Griechen" leben über ihre Verhältnisse, aber "wir Deutsche" baden das nicht aus. Aber die BILD-Zeitung bereitet diesen Kern nicht nach journalistischen Standards als "Geschichte" auf, sondern benützt ihn nur als "Knetmasse" für ihre blatttypischen Storys, und die basieren ausschließlich auf "positiven Selbst- und negativen Fremdbildern" (Margot Heinemann), mit denen mobilisiert und polarisiert wird - je grobianischer, desto wirksamer. BILD fiktionalisiert so die Kerninformationen und verarbeitet sie mit den Methoden der Werbebranche und des boulevardesquen Sportjournalismus: Das 1:0 für den "ehrlichen Deutschen" gegen den "Pleite-Griechen" steht vor Spielbeginn fest. Das Blatt versteht sich als "Öffentlichkeitsarbeiter" im Selbstauftrag und im eigenen Interesse. "Bild ist eine Ware, die sich selbst ins Schaufenster stellt und anpreist." Die Autoren sprechen zu Recht von einem "fetten Parasiten des Journalismus", der sich als "Volksstimme" und "Volksbibel" ausgibt.

In der Griechenland- und Eurokrise "kämpfte" BILD zwischen März und Mai 2010 mit 121 Artikeln und 48 Fotos nicht für "die Deutschen" und nicht für den Euro, sondern allein für sich, d.h. um Leser, Absatzmärkte und Meinungsführerschaft. Die Zitate, die die Geschichten authentisch machen sollen, liefern in der Regel drittklassige Prominente und parlamentarische Hinterbänkler. BILD - so das Resümee der Studie - ist ein Kampfblatt in eigener Sache und hat als Auftraggeber einzig die eigene Chefetage, auf der offensichtlich im Frühjahr letzten Jahres die Themensetzung beschlossen wurde wie eine Marketing-Kampagne für ein Produkt in einem Lebensmittelkonzern. Die BILD-Redaktion folgte diesem Hausauftrag und knetete das Thema mit ihren bewährten Methoden während Wochen zum Meinungsteig, aus dem die Produkte zur Markenpflege gebacken werden. Als die Niederlage absehbar wurde, der EU-Rettungsschirm für Griechenland war nicht zu verhindern, erlosch das Interesse. Zwischen Juni und September 2010 erschienen noch ganze acht Artikel, die vor allem der Rechtfertigung der unqualifizierten Griechenhetze in den Artikeln vom Frühjahr dienten - also der Pflege des ramponierten Ansehens. - Die glänzende Studie ist kostenlos zugänglich unter www.bild-studie.de und www.otto-brenner-stiftung.de.

Rudolf Walther (* 1944) ist Historiker und freier Publizist. Er arbeitet für Schweizer und deutsche Zeitungen und lebt in Frankfurt/M. rudolf.walther@t-online.de


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Quelle:
Neue Gesellschaft/Frankfurter Hefte Nr. 6/2011, S. 57-59
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Klaus Harpprecht, Jürgen Kocka, Thomas Meyer und Peter Struck
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veröffentlicht im Schattenblick zum 24. August 2011