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INTERNATIONAL/114: Jordanien - Maulkorb für kritischen Onlinejournalismus (IPS)


IPS-Inter Press Service Deutschland GmbH
IPS-Tagesdienst vom 9. August 2013

Jordanien: Maulkorb für kritischen Onlinejournalismus - Sperrung Hunderter Websites stößt auf Protest

von Elizabeth Whitman



Amman, 9. August (IPS) - Journalisten und Medienrechtsaktivisten in Jordanien wollen die Regierung wegen der Sperrung Hunderter lokaler Nachrichtenwebsites zur Rechenschaft ziehen. Zwei Monate nach dem Eingreifen des Staates kämpfen viele dieser Websites jetzt um ihr Überleben.

Die jordanische Behörde für Presse und Publikationen hatte in zwei Schüben Anfang Juni und Anfang Juli fast 300 Websites mit der Begründung sperren lassen, sie verletzten das Presserecht. Den Betreibern wurde vorgeworfen, sie hätten sich nicht die notwendigen Lizenzen beschafft, die seit den umstrittenen Änderungen an dem Gesetz im vergangenen September obligatorisch sind.

Die Maßnahme ist bei Journalisten sowie Medien- und Menschenrechtsaktivisten auf heftigen Protest gestoßen. Sie werfen der Regierung vor, die Pressefreiheit und das Recht auf freie Meinungsäußerung zu beschneiden.

Fünf der blockierten Websites - 'AmmanNet', 'JO24', 'Ain News', 'Khabar Jo' und 'All of Jo' - reichten daraufhin am 25. Juli Klage gegen die Regierung ein. Sie zweifeln an der Verfassungsmäßigkeit der Gesetzesreform und an der Rechtmäßigkeit des Verfahrens bei der Umsetzung des Verbots.

Artikel 49 des Gesetzes gebe der Pressebehörde nur dann das Recht, Websites ohne Lizenzen zu sperren oder zu schließen, wenn sie illegal handelten, sagte der Rechtsanwalt Mohammad Qatishat, der die geschädigten Betreiber vertritt.

Gemäß Artikel 15 der jordanischen Verfassung sind aber eine vorläufige Einstellung von Zeitungen und Informationsmedien oder die endgültige Anerkennung der Lizenz nur dann zulässig, wenn eine gerichtliche Anordnung vorliegt, die mit den Gesetzen im Einklang steht. "Artikel 49 verstößt somit gegen die Verfassung", sagte Qatishat.

Der Leiter der Pressebehörde, Fayez Shawabkeh, erklärte dagegen, die Verfassung beziehe sich "vor allem auf lizenzierte Medien" und könne daher nicht im Zusammenhang mit der Sperrung der Websites ohne Lizenzen angeführt werden.


Klagewelle gegen Regierung

Gegen die Regierung und Internetdienstleiter wurden aber auch von anderen Seiten Verfahren angestrengt. Die beliebte Website '7iber' begründete ihre Klage damit, dass es sich in ihrem Fall um einen Blog und keine Nachrichtenwebsite handele. Damit sei sie nicht von dem Verbot betroffen. Der Betreiber von JO24 fordert von mehreren Internetprovidern und der Regierung Schadenersatz.

In der Zwischenzeit überlegen sich die Website-Betreiber Auswege aus ihrer misslichen Lage. Sie entwickeln gespiegelte Seiten, geben Anleitungen zur Umgehung der Sperrung und verbreiten Informationen über soziale Netzwerke wie Facebook. Außerdem organisieren sie Protestkundgebungen und Diskussionen über das Gesetz. "Wir tun dies nicht nur für uns, sondern auch für die anderen Websites", sagt die Chefredakteurin von '7iber', Lina Ejeilat.

Alaa Fazaa, der 'Khabar Jo' herausgibt, klagt darüber, dass die Sperrung seiner Website ihm allmählich die Luft abdrücke. "Zwei Firmen haben mir kürzlich mitgeteilt, dass sie keine Anzeigen mehr schalten wollen, solange der Zugang zu der Website blockiert ist. Unsere Nachrichten können wir inzwischen nicht mehr wie früher publizieren." Fazaa kann seine Beschäftigten nicht mehr bezahlen. Zudem hat er festgestellt, dass ihm die Leser ungern auf die Spiegelseite folgen.

In den vergangenen zehn Jahren hat Jordanien einen regelrechten Boom von elektronischen Nachrichtenangeboten erlebt. Neue Plattformen für journalistische Berichterstattung und für öffentliche Diskussionen schossen wie Pilze aus dem Boden. Politische Beobachter vermuten, dass die Regierung in Amman diese Entwicklungen vor allem seit Beginn der Volksaufstände des 'Arabischen Frühlings' vor zwei Jahren mit Sorge wahrnimmt.


Offene Debatten über Korruption im Internet

Ejeilat spricht von einem "neuen politischen Klima" seit Beginn des Arabischen Frühlings. "Die Menschen äußern sich jetzt viel unverblümter über Korruption und Personen des öffentlichen Lebens", sagte sie. "Es ist klar, dass es die Regierung sehr gestört hat, dass die Websites denjenigen, die über Korruption reden wollten, ein Forum bieten. Die Online-Dienste haben wesentlich dazu beigetragen, dass die Regierung in einigen Korruptionsfällen aktiv werden musste."

Mehrere Websites hätten unabhängig und investigativ berichtet und damit der jordanischen Gesellschaft einen guten Dienst erwiesen, sagte Adam Coogle von der Menschenrechtsorganisation 'Human Rights Watch'. Die Rechtfertigung der Regierung, Menschen vor Erpressung und Rufmord zu schützen, lässt er nicht gelten. Die Webseiten zu sperren sei nicht der richtige Weg.

Laut dem Internationalen Pakt über bürgerliche und politische Rechte, den Jordanien unterzeichnet hat, sind "allgemeine staatliche Registrierungsverfahren" unvereinbar mit dem Grundsatz auf freie Meinungsäußerung. (Ende/IPS/ck/2013)


Links:

http://www.hrw.org/
http://www.ohchr.org/en/professionalinterest/pages/ccpr.aspx
http://www.ipsnews.net/2013/08/choked-media-struggles-to-speak-out-in-jordan/

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IPS-Tagesdienst vom 9. August 2013
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veröffentlicht im Schattenblick zum 13. August 2013