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INTERNATIONAL/135: Im Süden nichts Neues? Kommunikation und Medien in Sub-Sahara Afrika (NG/FH)


Neue Gesellschaft/Frankfurter Hefte Nr. 12/2013

Im Süden nichts Neues?
Kommunikation und Medien in Sub-Sahara Afrika

Von Mareike Le Pelley



Bürgerkrieg und Hungerkatastrophen, Diktatoren und Korruption, das deutsche Medienpublikum kennt diese Schlagworte über Sub-Sahara Afrika seit Jahrzehnten. In den letzten Jahren schleichen sich aber zunehmend positive Töne in die Berichterstattung ein: rasantes Wirtschaftswachstum, vielversprechendes Investitionsziel, hohes Wachstum in den Informations- und Kommunikationstechnologien (IKT).

Ist Afrika der Entwicklungsschritt von Festnetz und PC zu Handy und mobilem Internet geglückt und wenn ja, warum und mit welchen Folgen? Die Daten sind in der Tat beeindruckend. Der Handy-Markt Afrikas verzeichnet global die höchsten Wachstumsraten und ist inzwischen nach Asien in absoluten Zahlen der zweitgrößte Markt mobiler Telefonanschlüsse weltweit. Kontinentweit kommen 80 Anschlüsse auf 100 Menschen.

Das Festnetz ist demgegenüber weiterhin stark unterentwickelt. Während in Europa und den USA auf zwei Personen mindestens ein Festnetzanschluss kommt, sind es in den meisten afrikanischen Staaten zwischen 0 und 5 Anschlüsse auf 100 Personen. Auch der Internet-Zugang, besonders über mobile Plattformen, ist in Afrika in den letzten Jahren rasant gestiegen und viele innovative Handy- und Internetanwendungen stammen aus Afrika. In Nigeria, Kenia und Südafrika hat mittlerweile etwa ein Drittel der Bevölkerung Zugang zum (mobilen) Internet; damit sind sie führend auf dem Kontinent. In den meisten afrikanischen Ländern erfolgte das Wachstum von einer niedrigen Basis und die Zahl der Anschlüsse/Zugänge pro 100 Einwohner liegt in Sub-Sahara Afrika zumeist bei unter 10, oft bei unter 5 im Vergleich zu 85 in Deutschland. Auch die Zahl der Handy-Anschlüsse je 100 Einwohner ist in Sub-Sahara Afrika je nach Land sehr unterschiedlich und liegt zwischen 25 und über 100.

Die rasante Entwicklung von (vor allem mobilen) IKT und IKT-Diensten kann jedoch nicht per se als Entwicklungserfolg afrikanischer Regierungen gesehen werden, sondern ist vielmehr eine Folge von Staatsversagen: Versagen bei der Bereitstellung von Infrastruktur und öffentlichen Dienstleistungen, bei der Herstellung von Wettbewerb im Festnetzsektor sowie Versagen beim Schutz grundlegender sozialer und politischer Rechte. Mobile IK-Dienste sind damit der innovative Ansatz von Firmen, Zivilgesellschaft und Individuen, für dieses Versagen alternative Lösungen zu finden. Gleichwohl gehen mehrere Studien davon aus, dass ein 10 %iger Anstieg des Handy-Zugangs mit einem 0,6 - 1,2 %igen Anstieg des BIPs einhergeht. Und während vom hohen, von Rohstoffexporten erzeugten Wachstum bislang nur einer kleine Elite profitiert, kommt Wachstum durch IKT tendenziell breiteren Bevölkerungsschichten zugute.

Der führende kenianische Telekommunikationskonzern, Safaricom, brachte im Jahr 2007 mit M-Pesa die weltweit erste mobile Finanzplattform auf den Markt. M-Pesa ermöglichte erstmals der großen Gruppe von Niedrigverdienern, die vom herkömmlichen Bankensektor ausgeschlossen war, Kleinstbeträge kostengünstig und per Handy zu überweisen. Andere Unternehmen inner- und außerhalb Afrikas zogen nach. Weitere mobile finanzielle Dienstleistungen wie etwa die Vergabe von Kleinkrediten, Versicherungen und die Bereitstellung von Sparkonten sowie Kontoinformationen kamen hinzu. Inzwischen gibt es über 100 mobile Finanz- bzw. Bankendienste weltweit, mehr als die Hälfte davon in Afrika.

In der Landwirtschaft informieren Handy-gestützte Dienste Landwirte über aktuelle Marktpreise oder Wetterbedingungen, ermöglichen den kollektiven Transport und die kollektive Vermarktung ihrer Ernte sowie den gemeinsamen Kauf von landwirtschaftlichen Produktionsmitteln. Weitere Dienste bieten landwirtschaftliche Versicherungen gegen Ernte- und Einkommensverluste an oder geben Züchtern wertvolle Tipps per SMS, informieren über Ausbrüche von Krankheiten und Impfmöglichkeiten. Erste Studien in ausgewählten Ländern konstatieren einen Anstieg der landwirtschaftlichen Einkommen um 10 - 36 %.

Da in Sub-Sahara Afrika die Grundbedürfnisse großer Bevölkerungsteile nicht erfüllt werden und noch immer zwischen 50 und 80 % der Arbeitskräfte in der Landwirtschaft beschäftigt sind, empfiehlt es sich, dass Regierungen und andere Akteure die Potenziale von IK-Diensten in Landwirtschaft, Finanz- und Gesundheitswesen, Bildung und Versorgungsinfrastruktur weiter entwickeln, umsetzen und die notwendigen förderlichen Rahmenbedingungen dafür schaffen.

Auch im Bereich der politischen Landschaft gibt es Hinweise, dass staatliche Defizite, Restriktionen und Repressionen den Erfindungsgeist von Individuen, politischen und zivilgesellschaftlichen Organisationen im Hinblick auf IKT beflügeln.

Zivilgesellschaftliche Organisationen benutzen IKT, um Informationen, die von Regierungen unterdrückt werden, in die Öffentlichkeit zu tragen und größere Transparenz im Regierungshandeln herzustellen. Einige Handy-gestützte Projekte haben die Überwachung öffentlicher Ausgaben und (Nicht-)Bereitstellung öffentlicher Dienstleistungen zum Ziel. Interaktive online-Karten, die mit Hilfe von crowdsourcing erstellt wurden, informierten Kenias Bevölkerung über gewalttätige Ausschreitungen nach den Wahlen 2007 und Simbabwes Bevölkerung über Unregelmäßigkeiten bei den Wahlen von 2008 und 2013. Weitere crowdmapping- und/oder crowdsourcing-Projekte informieren über Korruption auf Kenias Straßen. Zahlreiche Blogger und Bürgerjournalisten sowie die Webseiten und Newsletter von Menschenrechtsorganisationen sind Quellen alternativer, häufig regierungskritischer Informationen in Afrika.

Politiker und politische Parteien versuchen zunehmend über soziale Netzwerke und SMS-Nachrichten ihre Wähler zu informieren, zu mobilisieren und mit ihnen ins Gespräch zu kommen. IKT sind besonders für Oppositionsparteien eine Chance, Gehör zu finden, da sie in vielen Ländern wenig Zugang zu traditionellen Medien haben. Auch außerhalb politischer Parteien werden SMS zur Mobilisierung und für Kampagnen und soziale Aktionen eingesetzt. Dort, wo in Wahllokalen nach Auszählung der Stimmen die Ergebnisse sofort öffentlich aushängen, sind Bürgergruppen oder Oppositionsparteien in der Lage, diese per Handy zu fotografieren, sofort weiterzuleiten und an zentraler Stelle zu einem Gesamtergebnis zusammenstellen zu lassen (parallel vote tabulation), das dem offiziellen Wahlergebnis später gegenübergestellt werden und dazu beitragen kann, Wahlfälschung einzudämmen.

Obwohl sich punktuell demokratisch-emanzipatorische Auswirkungen von der Anwendung von IKT belegen lassen, haben sie in Sub-Sahara Afrika bislang zu keinen wesentlichen politischen Umwälzungen geführt. Vielmehr werden soziale Netzwerke, Internet-Plattformen, online- und mobile Medien zunehmend von politischen und zivilgesellschaftlichen Aktivisten in ihre Kampagnenarbeit integriert. IKT sind ein weiteres Instrument in einem breit gefächerten Werkzeugkoffer, um Menschen zu mobilisieren und politische und soziale Veränderungen zu bewirken. Auch konzentriert sich die Entwicklung innovativer Handy-Dienste bislang auf eine Handvoll afrikanischer Länder. Wir stehen somit erst am Anfang der Veränderungs- und Entwicklungsmöglichkeiten mit Hilfe von IKT. Die kurze Lebensdauer so mancher (zu Beginn bejubelten) IKT-basierten Initiative deutet allerdings darauf hin, dass die hohen Erwartungen an IKT nicht nur bezüglich Demokratisierung, sondern auch hinsichtlich der ökonomischen und sozialen Effekte nach unten korrigiert werden sollten.

Dennoch, das demokratisierende Potenzial von mobilen IKT durch politische Aktivisten wird Von afrikanischen Regierungen - insbesondere vor dem Hintergrund der Ereignisse des Arabischen Frühlings - durchaus erkannt und zumeist als Bedrohung gesehen. Bis dato gibt es dennoch nur sehr wenige Länder in Sub-Sahara Afrika, in denen Internet und mobile Kommunikation systematisch eingeschränkt werden. Einige Regierungen haben in den vergangenen Jahren SMS-Dienste oder soziale Netzwerke ad hoc abgeschaltet, um Proteste zu blockieren. Die technische Fähigkeit, das Internet und die mobile Kommunikation zu kontrollieren, hat in jüngster Vergangenheit in so manchen Ländern zugenommen. Auch der politische Wille, das Internet und soziale Netzwerke unter staatliche Kontrolle zu bringen, scheint größer zu werden, da Rufe aus Regierungskreisen, Online-Inhalte stärker zu kontrollieren und Online-Gesetze zu verabschieden, deutlich steigen. Sicherlich gibt es legitime Gründe für IKT-Gesetze und Richtlinien: Datenschutz, Cybercrime, Kinder- und Jugendschutz, die Sicherheit von Finanztransaktionen, e-Handel und eben die o.g. Herstellung förderlicher Rahmenbedingungen. Ob diese für die meisten Regierungen die einzige Motivation sind, ist vielerorts noch unklar.

Der Stand der Meinungs- und Informationsfreiheit in Sub-Sahara Afrika ist jedoch ein Indikator dafür, dass sich viele afrikanischen Regierungen schwer tun, offene und kritische Dialoge zuzulassen und den Zugang zu Informationen zu ermöglichen, die zu transparenteren politischen und wirtschaftlichen Prozessen und Entscheidungen sowie verbesserter Regierungsführung verhelfen könnten.

Obwohl die Meinungsfreiheit in den Verfassungen afrikanischer Staaten geschützt wird, sehen sich traditionelle Medien dort in unterschiedlichem Maße zahlreichen politischen und wirtschaftlichen Zwängen ausgesetzt:

• Der staatliche Rundfunk agiert abhängig von der jeweiligen Regierung. Weder die redaktionelle noch die finanzielle Unabhängigkeit sind gesichert. Zensur und Selbstzensur sind entsprechend an der Tagesordnung.

• Der private Rundfunk verhält sich häufig entweder weitestgehend unpolitisch, um nicht Sanktionen durch die Regierung zu erfahren, oder wird von politischen Parteien oder Individuen dominiert und missbraucht.

• Printmedien sind aufgrund von Analphabetismus, der in Afrika je nach Land noch zwischen 10 und 78 % liegt, infrastrukturbedingten Vertriebsproblemen sowie hohen Preisen noch immer primär ein Medium für eine urbane Elite.

• In Printmedien und Rundfunk sind Korruption und Selbstzensur aufgrund politischen und wirtschaftlichen Drucks (Anzeigenvergabe) allgemein üblich.

• Eine weit verbreitete Kultur der Geheimhaltung verhindert, dass von öffentlichen Institutionen gehaltene Informationen in die öffentliche Debatte gelangen und dadurch Transparenz und Rechenschaftspflicht in Politik und Verwaltung fördern.

• Einige Regierungen sorgen durch direkten oder indirekten Aufkauf von Medienhäusern für die Gleichschaltung, andere vergeben erst gar kein Lizenzen für unabhängige, private Rundfunkstationen, wieder andere lassen unbequeme Zeitungen oder Radiostationen einfach schließen.

• Blogger sowie online- und offline-Journalisten riskieren in einigen Ländern verhaftet und/oder Opfer von physischer Gewalt zu werden.

Diese Verhältnisse fördern weder Meinungs- und Informationsvielfalt noch eine professionelle Ethik. Medien in Afrika sind dadurch nur selten fähig, als vierte Gewalt die Regierung demokratisch zu kontrollieren und zur Rechenschaft zu ziehen.

Online-Medien und solche auf mobilen Plattformen können alternative Informationen bieten und, insbesondere mit Hilfe von Sprachdiensten in afrikanischen Sprachen, potenziell weitaus größere Bevölkerungsteile erreichen als Printmedien. In Südafrika ist bereits jetzt der Anteil der Bevölkerung mit (mobilem) Internet-Zugang höher als der, der eine Tageszeitung liest. Weiter fallende Preise für Datenbündel und Endgeräte würden diesen Trend verstärken. Darüber hinaus sind führende Medienhäuser Afrikas online präsent (convergence media), betreiben interaktive Foren sowie handygestützte Nachrichtendienste und entwickeln Modelle, um das Material von Bürgerjournalisten effektiv in ihre Berichterstattung auf multiplen Plattformen zu integrieren.

Afrikas Regierungen stehen vor der Wahl: Mit dem Ausbau ihrer IK-Infrastruktur können sie Einschränkungen von Online-Plattformen einführen und Repressionen gegen Online-Aktivisten und -Journalisten ausweiten. Oder sie können die sozialen, ökonomischen - und politischen - Potenziale von IKT willkommen heißen. Ihnen muss dabei bewusst sein, dass ein offener Diskurs sowie der Zugang zu vielfältigen Informationen nicht nur unabdinglich für demokratische und soziale Teilhabe ist, sondern auch das beste Klima für wirtschaftliche Innovationen darstellt.


Marelke Le Pelley ist seit 2010 Projektleiterin des afrikanischen Medienprojektes der FES, fesmedia Africa, mit Sitz in Windhoek, Namibia.
mareike@fesmedia.org

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Quelle:
Neue Gesellschaft/Frankfurter Hefte Nr. 12/2013, S. 43 - 47
herausgegeben für die Friedrich-Ebert-Stiftung von Siegmar Gabriel,
Klaus Harpprecht, Jürgen Kocka, Thomas Meyer, Bascha Mika und Peter Struck (†)
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veröffentlicht im Schattenblick zum 3. Januar 2014