Schattenblick → INFOPOOL → MEDIEN → FAKTEN


INTERNATIONAL/165: Indien - Bürgerradio gibt Kleinbauern der Agrarregion Bundelkhand eine Stimme (IPS)


IPS-Inter Press Service Deutschland GmbH
IPS-Tagesdienst vom 23. Juni 2015

Indien: Bürgerradio gibt Kleinbauern der Agrarregion Bundelkhand eine Stimme

von Stella Paul


Bild: © Stella Paul/IPS

Rund 250.000 Bauern in Indien hören Radio Bundelkhand
Bild: © Stella Paul/IPS

TIKAMGARH, INDIEN (IPS) - In der Ortschaft Chitawar im Distrikt Tikamgarh im zentralindischen Bundesstaat Madhya Pradesh hat es sich die 80-jährige Chenabai Kushwaha unter einem Neembaum bequem gemacht. Kaum hat die Reporterin Ekta Kari die Starttaste ihres Aufnahmegeräts gedrückt, erhebt die Greisin ihre Stimme und trägt ein Lied über ein achtjähriges Mädchen vor, das seinen Vater bittet, es nicht zu verheiraten.

"Vielen Dank, dass Sie für Radio Bundelkhand gesungen haben", sagt Kari. Das Stück wird später in der gleichnamigen Agrarregion ausgestrahlt. Mit einer Zuhörerschaft von etwa 250.000 Menschen hat sich der Bürgersender zu einem wichtigen Kommunikationsmittel der kleinbäuerlichen Bevölkerung des zwischen Madhya Pradesh und dem Bundesstaat Uttar aufgeteilten Bundelkhand entwickelt. Das Radio verleiht den Anliegen der Menschen Gehör.

In der weiträumigen Region leben etwa 18,3 Millionen Menschen, deren Alltag entbehrungsreich ist. Laut der indischen Planungskommission hat der Klimawandel dazu geführt, dass die Böden nicht mehr so viel hergeben und die Grundwasserspiegel gesunken sind. Zudem kam es während der vergangenen zehn Jahren zu häufigen Hitzewellen. 2014 verloren die Bauern zudem mehr als die Hälfte ihrer Winterernte durch unerwartet heftigen Regen.


Starke Beeinträchtigungen durch Klimawandel

Zwei Drittel aller von IPS befragten Farmer erklärten, dass das extreme Wetter ihre ohnehin schon harte Arbeit in einen Albtraum verwandelt habe. Früher bauten sie Hirse und Hülsenfrüchte in Mischkultur an, doch inzwischen mussten sie zu Monokulturen wie Weizen wechseln. Unabhängige Organisationen weisen zudem darauf hin, dass die ungleiche Landverteilung Millionen von Bauern dazu zwingt, ihr Dasein als Subsistenzbauern mit besonders kleinen Parzellen zu fristen.

Viele Farmer sehen keinen anderen Ausweg mehr als den Freitod. In der ersten Märzhälfte begingen etwa ein Dutzend Bauern in Bundelkhand Selbstmord. Nach Angaben der nationalen Behörde für Verbrechensstatistik (NCRB) schieden zwischen 1995 und 2012 etwa 3.000 Bauern freiwillig aus dem Leben. Insgesamt ist die Zahl der Selbstmorde in den Agrarregionen des Subkontinents inzwischen auf ungefähr 300.000 gestiegen.

Außenstehende können sich wahrscheinlich kaum vorstellen, dass ein Bürgersender wie Radio Bundelkhand Veränderungen bewirken kann. Doch den Hörern geben die Radioprogramme neuen Lebensmut.

Etwa 99 Prozent der Hörer seien Bauern, sagt Naheda Yusuf, Programmmanagerin der Organisation 'Development Alternatives' in Neu-Delhi, die dem Radiosender im Jahr 2008 Starthilfe gab. "Das Programm wurde von Menschen aus Bundelkhand für die Bewohner der Region gestaltet. Gesendet wird in ihrem Dialekt Bundeli. In den Sendungen geht es um Fragen, die ihren Alltag betreffen."

Mehr als 75 Prozent der Sendungen handeln von Anbautechniken, Schädlingsbekämpfung, Marktpreisen und Wettervorhersagen. Ein Teil der Informationen stammt von den Behörden für Landwirtschaft und Meteorologie. Die meisten Inhalte werden jedoch von Reportern selbst recherchiert. Sie sprechen direkt mit den Bauern, um ihre Meinungen wiederzugeben.


Tipps zur Nutzung von Solarenergie

Jeden Tag gibt es mindestens eine Live-Sendung, an der sich die Hörer mit Fragen und Kommentaren beteiligen können. Eine der beliebtesten Sendungen heißt 'Shauv Kal', in der es um den Klimawandel und dessen Auswirkungen auf die Bauern geht. Einer der beiden Produzenten der Sendung, Gauri Sharma, erklärt, dass darin über den Zugang zu Wasser, das Problem des Waldschwundes und über Solarenergie diskutiert wird. Farmer werden aufgefordert, mit Wasserressourcen sparsam umzugehen.

Ein 18-jähriger Bauer schrieb dem Sender, er habe 22 Obstbäume um sein Gehöft herum gepflanzt. Außerdem setze er keine Agrochemikalien mehr ein und sei zum Wurmkompostieren übergegangen.


Täglich stundenlange Stromausfälle

Eine andere Hörerin gab an, der Sender habe ihr geholfen, ihre gesamte Ernte zu retten. "Die Blätter meiner Okraschoten wurden gelb", berichtete sie. "Im Radio hörte ich dann von einem Gegenmittel, das ich auf die Blätter sprühte. So habe ich die Pflanzen gerettet." Die Frau will nun ein Radio für ihre Dorfgemeinschaft kaufen und es an einen Baum binden, so dass alle Bäuerinnen aus der Nachbarschaft die Ratschläge hören können. Die Apparate, die umgerechnet etwa 15 US-Dollar kosten, sind nämlich für die meisten Menschen in dem Gebiet nicht erschwinglich.

In einer Region, in der täglich acht bis zehn Stunden lang der Strom ausfällt und viele Menschen Analphabeten sind, erreichen Radiosendungen ein größeres Publikum als Zeitungen oder das Fernsehen. Nur etwa 48 Prozent der Frauen und 70 Prozent der Männer können lesen und schreiben. Zudem kann ein batteriebetriebenes Radiogerät auch aufs Feld mitgenommen werden, um für Unterhaltung während der Arbeit zu sorgen. (Ende/IPS/ck/23.06.2015)


Link:

http://www.ipsnews.net/2015/06/farmers-find-their-voice-through-radio-in-the-badlands-of-india/

© IPS-Inter Press Service Deutschland GmbH

*

Quelle:
IPS-Tagesdienst vom 23. Juni 2015
IPS-Inter Press Service Deutschland GmbH
Marienstr. 19/20, 10117 Berlin
Telefon: 030 / 54 81 45 31, Fax: 030 / 54 82 26 25
E-Mail: contact@ipsnews.de
Internet: www.ipsnews.de


veröffentlicht im Schattenblick zum 25. Juni 2015

Zur Tagesausgabe / Zum Seitenanfang