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TV/005: "Sex. The Revolution" (Phoenix) (SB)


Besprechung

Sex. The Revolution

Ausstrahlung: 1. Mai 2010, ab 23.15, Phoenix


Ich mache gerne bei astralen Perversionen mit. Und ich steh besonders drauf, wenn mir Flughunde mit Ringelschwanz einen blasen, während ich oral mit homosexuellen Erdferkeln in Badewannen verkehre, die mit lauwarmem Wackelpudding gefüllt sind, spätnachts in einem Motel, in einer Runde, die sich an Exkrementen und Wackelpuddingorgien sexuell erregt. (Ed Sanders, Beatnik, Gründer von "The Fugs" und Herausgeber der Zeitung "Fuck You. A Magazine of the Arts")


Mit der vierteiligen US-Fernsehdokumentation "Sex. The Revolution", die am Samstag, den 1. Mai 2010 um 23.15 Uhr ausgestrahlt wird, zeigt Phoenix ein mehr als vier Jahrzehnte umfassendes, höchst aufschlussreiches und aus freizügigen und schillernden Bildmontagen weitestgehend unbekannter historischer Film- und Fotoaufnahmen bestehendes Sittengemälde der Vereinigten Staaten von Amerika. - Der Bruch mit dem Tabu des radikalen US-Puritanismus der 50er Jahre, der bei aller Bravheit skandalträchtige Kinsey-Report und die korrespondierende Gründung des "Playboys" durch Hugh Hefner bilden in der um historische Stringenz bemühten Serie den Anfang der sogenannten "sexuellen Revolution", die hochpolitischen Befreiungsbewegungen der 60er und 70er Jahre erscheinen als ihr Höhepunkt und die alles verändernde Immunschwäche AIDS versetzt dem bunten Treiben der glamourösen Discobewegung zu Beginn der 80er Jahre nur vermeintlich sein jähes Ende. Regisseur Richard Lowe und Produzent Hart Perry geben in den vier insgesamt ca. 180 Minuten dauernden Folgen berühmten Schauspielern, Musikern und Filmemachern das Wort und lassen homosexuelle und feministische Aktivist/Innen in oft selbstironischen Betrachtungen von ihrem Kampf erzählen. Als wäre es das erste Mal, wird in dieser Dokumentation eine Verbindung zwischen ernstzunehmenden kulturpolitischen Phänomenen und menschlichem Paarungsgebaren hergestellt, die endlich aufzudecken scheint, welche Dynamiken im Kräftekonglomerat der Freiheitsideologien sich plötzlich lösten, wie sich die Generationen und Bewegungen in ihrer massenhaften (Des-)Orientierung gegenseitig bedingten und behinderten und dass die Tatsache einer heute selbstverständlich zum Allgemeinwissen gehörenden "sexuellen Revolution" grundsätzlich in Frage gestellt werden kann.

"Sex. The Revolution" möchte nicht objektiv sein - und ist es auch nicht. Die Aktivisten und Szenegänger von damals sprechen sich zwar einstimmig gegen die konservative Durchsetzung puritanischer Werte der rechtsgerichteten US-Politik aus, lagen sich jedoch in den Haaren, weil sie auf sehr unterschiedliche Weisen für Formen eines "freien Umgangs" mit Sexualität eintraten, die wohl meist durch ihr eigenes Geschlecht oder ihre sexuelle Ausrichtung bestimmt waren. Und das ist bis heute so. Denn die pornographische Revolution, die die frauenverachtenden Ausschweifungen der boomenden Erotikindustrie erst möglich werden ließ, sei zu unterscheiden von einer noch ausstehenden nicht nur sexuellen Befreiung des weiblichen Geschlechts, erklärt die Feministin Ariel Levy, die in ihrem Buch "Female Chauvinist Pigs" (2005) auf die Kumpanei von weiblichen Pin-Ups mit eben dieser Industrie aufmerksam macht. Obwohl der Eindruck entsteht, dass in "Sex. The Revolution" die meisten Erkenntnisse über die auf Herz und Nieren geprüfte Legende von der körperlichen Befreiung zutreffen und fast alle der angesprochenen Ereignisse und Wendepunkte im breiten Strom dieser Bewegung historisch stimmig sind - viele Zusammenhänge und Hintergründe werden durch filmisch dokumentiertes, also "belegtes", Material verdeutlicht - fällt doch auf, dass mitunter auch medial gesetzte Halbwahrheiten kolportiert werden. In der Schilderung des Prozesses gegen den homophoben Mörder Dan White, der 1978 den homosexuellen Politiker Harvey Milk und seinen engen Kollegen George Moscone, Bürgermeister von San Francisco, kaltblütig umbrachte, erzählt die Kulturwissenschaftlerin Susan Stryker, die sich in ihrem Buch "Gay by the Bay" mit der Geschichte der Homosexuellenbewegung San Franciscos auseinandersetzte und Gender Studies lehrt, der Angeklagte Dan White habe zu seiner Verteidigung gesagt, er hätte vor den Morden zu viel "junk food" gegessen und sei deshalb nicht ganz bei Bewusstsein gewesen. Dieses Argument ist als "twinky defense" (Twinky = kleine süße Kuchen) in die traurige Geschichte des bald äußerst gewalttätigen San Franciscoer Krieges zwischen Homosexuellen und polizeilichen Staatsorganen eingegangen und bekam seinen Namen vermutlich vom ebenfalls zu Wort kommenden Produzenten Paul Krassner. Dass Dan White, der sich zwar immer sehr gesund ernährt haben soll, je "junk food" als Auslöser für seine angebliche geistige Umnachtung während der Morde angegeben hat, ist möglicherweise stark anzuzweifeln, obwohl seine Verteidiger auf temporäre Unzurechnungsfähigkeit plädierten und als Begründung ihrer Annahme, White leide unter Depressionen, angaben, Whites Lebenswandel habe vor der Tat einige mehr oder weniger deutliche Veränderungen aufgewiesen, die auch seine Nahrung betrafen... Kein Zweifel, der Doppelmord an Harvey Milk und George Moscone kam der politischen Rechten im Amerika der 70er Jahre äußerst gelegen und das Strafmaß von 8 Jahren und 7 Monaten für einen zweifachen Mord kann definitiv als justiziärer Ausdruck dieser Gesinnung betrachtet werden. - Auch wenn es zwischendurch zu verzeihlichen und im Falle von Susan Stryker vielleicht der aufrichtigen Empörung geschuldeten Ungenauigkeiten und Irrationalitäten kommt, auch wenn die eindeutig gegen die US-Präsidenten Ronald Reagan und George Bush und ihre Anstandslobby Stellung beziehende Argumentation in "Sex. The Revolution" so erscheinen mag, als seien die Beweggründe der gegen die freiheitlichen Anliegen der "sexuelle Revolution" agierenden Menschen Amerikas nicht vollständig gehört und verstanden worden - die vielschichtige Darstellung der unterschiedlichsten Gruppen und Strömungen in der Dokumentation legt glaubhaft nahe, dass die sich so anständig gebenden Sittenwächter Amerikas und der Welt bis heute keine anderen Argumente haben als ihre feststehenden meist "christ-demokratischen" Werte, die nach Belieben als variabel-faschistoide Letztbegründungen missbraucht werden können, weil sie keiner Erklärung bedürfen. Das lästige Lautwerden unterdrückter Ahnungen hinsichtlich der eigenen Beteiligung erfasst einen jedoch, wenn überhaupt, dann erst, wenn man das Fazit der Dokumentation am Ende auf seinen revolutionären Gehalt prüft und sich dabei auf die Unzulänglichkeit der eigenen Identifikation mit linken, freiheitlichen und vermeintlich revolutionären Idealen zurückgeworfen sieht: es wird deutlich, dass die Menschen heute zwar anders und freier mit ihrer Sexualität umgehen dürfen, aber auch, dass das politische, ernsthafte Anliegen einer Masse, grundlegend die Welt zu verändern, und nicht nur in Hinsicht auf Sex, wahrscheinlich für immer gescheitert ist. Das unmerklich immer enger eingefasste gesellschaftliche Hin und Her zwischen Konservatismus und "Revolte", wird in "Sex. The Revolution" hilflos als Zeichen dafür gedeutet, dass die Revolution immer noch stattfindet. Dabei wurde diese Revolte weniger zum Zeichen für eine emanzipierte Gesellschaft, sondern eher das Symbol für deren neuerliche Gefangenschaft in den chauvinistisch bürgerlichen Regularien einer scheinfortschrittlich gehäuteten Gesellschaft.

30. April 2010