Schattenblick →INFOPOOL →MEDIEN → REDAKTION

REZENSION/027: "Schattenkampf - Europas Résistance gegen die Nazis" (ARTE) (SB)



Die sechsteilige Dokumentation "Schattenkampf" ist dem Kampf der europäischen Bevölkerungen gegen die Besatzungspolitik des NS-Regimes gewidmet. In jeweils 52 Minuten währenden Folgen wird das ganze Panorama vom Beginn des organisierten Widerstands zu Anfang des Zweiten Weltkriegs über den Partisanenkrieg in Jugoslawien und der Sowjetunion und dem verzweifelten Kampf jüdischer Gruppen gegen die NS-Vernichtungspolitik bis zur französischen Résistance entfaltet. Anhand verbliebener Zeitzeugen wird eine Ära der Unterdrückung lebendig, die viele Menschen vor existenzielle Entscheidungen stellte, die nicht immer zugunsten der Solidarität mit den Gefolterten und Ermordeten ausgingen. Kollaboration und Verrat gehören ebenso zur Geschichte des zivilen Widerstands im Zweiten Weltkrieg wie die Grausamkeit einer Aufstandsbekämpfung seitens Wehrmacht und SS, die einzelne Akte des militanten Widerstands mit Massenerschießungen und Kollektivstrafen ahndeten.

Leider hat Regisseur Bernard George nicht darauf verzichtet, die historischen Aufnahmen und Interviews mit Zeitzeugen nach dem Vorbild Guido Knoppschen Historytainments durch Spielszenen zu verwässern. Dem vermeintlich mangelnden Vorstellungsvermögen eines Publikums auf die Sprünge zu helfen, indem man das gesprochene Wort durch die cineastische Inszenierung des Geschehens ergänzt, trivialisiert die Ergebnisse zeitgeschichtlicher Forschung ohne Not. Gerade weil das Differenzierungsvermögen zwischen dem Erleben virtueller Welten und der realen Existenz zu schwinden scheint, wäre ein Exkurs in die Methodik geschichtswissenschaftlicher Forschung etwa anhand in ihrem Verlauf umstrittener Ereignisse weit fruchtbarer für die historische Bildung des Publikums als eine hybride Produktionsweise, die eigentlich als Dokufiction zu bezeichnen wäre.

Auch würde man der Komplexität dieser weltgeschichtlichen Zäsur eher gerecht, wenn personalisierende Simplifizierungen wie "Hitlers Krieg" bei der Erläuterung der Geschichte des antifaschistischen Widerstands unterblieben. "Die Nazis" repräsentierten einen Gutteil der deutschen Bevölkerung, die durchaus zu jubeln wußte, solange Siege eingefahren wurden. Der im ersten Teil der Serie über "Die schwierigen Anfänge des Widerstands" fast vollständig unterbleibende Verweis auf die Rolle kommunistischer Oppositioneller in Deutschland, die lange vor dem Krieg versuchten, den Widerstand gegen das NS-Regime zu organisieren, und dafür zu Tausenden in die KZs wanderten, mag der spezifischen Sicht dieser in Frankreich entstandenen Produktion geschuldet sein. Dennoch ist es ein Versäumnis, besagte Anfänge ausschließlich außerhalb Deutschlands zu verorten, richtet sich diese Sicht doch auch gegen das internationalistische Verständnis grenzüberschreitender Klassensolidarität.

Von Interesse ist das Thema allemal, so daß die Dokumentationsreihe durchaus zu empfehlen ist. Schließlich bleibt es dem Zuschauer überlassen, sich kritisch mit dem Dargebotenen auseinanderzusetzen und sich aufdrängenden Überlegungen nicht zu entziehen. So könnte die Würdigung ihr Leben für die Freiheit opfernder Widerstandskämpfer auch in die Frage münden, wie es sein kann, daß die NATO unter Beteiligung Deutschlands einen völkerrechtswidrigen Überfall auf Jugoslawien durchführte und dabei eine im Zweiten Weltkrieg durch den Terror deutscher Hinrichtungskommandos leidgeprüfte Bevölkerung ein weiteres Mal mit Krieg überzog. Der Historiker Martin Seckendorf erinnerte kürzlich [1] anläßlich des 60. Jahrestags der organisierten Massakrierung der jugoslawischen Bevölkerung durch die deutschen Besatzer daran, daß in der Stadt Kragujevac und ihrer Umgebung zwischen dem 18. und 21. Oktober 1941 fast 7000 Menschen umgebracht wurden. Die von höchster Stelle befohlene Vergeltung für Partisanenangriffe hatte etwa zur Folge, daß dort am 21. Oktober 1941 etwa 300 Gymnasiasten zusammen mit 18 Lehrern erschossen wurden. Die Einwohnerschaften ganzer Dörfer in der Umgebung Kragujevacs wurden ausgelöscht, um den Partisanen den Rückhalt in der Bevölkerung zu nehmen.

Nachdem die erfolgreiche Automobilproduktion, die Kragujevac nach dem Krieg Wohlstand bescherte, durch die wirtschaftliche Sanktionierung Jugoslawiens bereits schwer geschädigt worden war, wurde die Stadt am 9. April 1999 mit Bomben und und Marschflugkörpern angegriffen. Die NATO begnügte sich nicht damit, die Zivilbevölkerung in Mitleidenschaft zu ziehen und die dem jugoslawischen Widerstand gewidmete Gedenkstätte Sumarice zu beschädigen. Ihre Angriffe gipfelten in der Zerstörung der Automobilfabrik Zastava, bei der ebenfalls Arbeiter verletzt wurden. So löschte die NATO die Lebensgrundlage einer Bevölkerung aus, deren ältere Bürgerinnen und Bürger darin nichts anderes erkennen konnten als eine Wiederholung der vor einem halben Jahrhundert erlittenen kriegerischen Aggression.

In einem Europa, in dem sich deutsche Journalisten darin gefallen, die ebenfalls schwer durch die deutsche Besatzung geprüfte griechische Bevölkerung als faule Nutznießer deutschen Fleißes vorzuführen, gehören Sozialchauvinismus und nationalistische Suprematie längst wieder zu akzeptierten politischen Einstellungen. Auch ist die Forderung nach der gelegentlichen Anwendung der Folter wieder salonfähig. Die neue Menschenverachtung und die Bereitwilligkeit, mit der wieder imperialistische Kriege vom Zaun gebrochen werden, sollten bei der Würdigung des Mutes der Widerstandskämpferinnen und -kämpfer des Zweiten Weltkriegs und der Torturen, mit denen sie, ihre Unterstützerinnen und Unterstützer wie auch völlig unbeteiligte Bürgerinnen und Bürger gebrochen werden sollten, nicht vergessen werden.

Die Dokumentationsreihe "Schattenkampf" wird am Mittwoch, den 12., 19. und 26. Oktober 2011, jeweils in zwei Folgen auf ARTE gesendet.

Fußnote:

[1] http://www.jungewelt.de/2011/09-16/029.php?sstr=Martin%7CSeckendorf

11. Oktober 2011