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REZENSION/040: "Die Erdzerstörer" - Arte-Dokumentarfilm (SB)




Es ist schlechte Tradition in Berichten und Analysen zu den unheilvollen Perspektiven des Klimawandels, den maßgeblichen Verursacher als homogen handelnde Gesamtheit aller Menschen zu präsentieren oder gar zur "Menschheit" zu verabsolutieren. Die dabei eingenommene Vogelperspektive wird häufig mit dem 1972 von Apollo 17 aufgenommenen Foto des blauen Planeten illustriert. Viel weiter weg als in den erdnahen Weltraum entkommt man der ökologischen Misere nicht, und das auch nur unter Inanspruchnahme aller Rohstoffe und Energie, die der Erde erst entrissen werden müssen, um überhaupt soviel Distanz zwischen sich und das Problem zu bringen. So steckt der Mensch mit seinen Füßen tief im Morast bioorganischer Verbrennungsprozesse fest, und der Versuch, den Kopf freizubekommen und die Sicht des Himmels einzunehmen, führt keinen Millimeter aus der Widersprüchlichkeit materieller Fremdbestimmung und anthropogener Zerstörungspotentiale hinaus.

Zum Glück für das Fernsehpublikum ist Regisseur Jean-Robert Viallet, obschon auch er nicht an dem epochalen Foto, das die Begrenztheit der natürlichen Lebenssphäre dokumentiert, vorbeikommt, in seinem Dokumentarfilm "Die Erdzerstörer" nicht der Versuchung erlegen, Klimawandel und Naturzerstörung mit einer wolkigen Kausalität zu vernebeln, in deren Lesart irgendwie alle für die Zerstörung der natürlichen Lebensbedingungen verantwortlich zu machen sind. In der 2019 veröffentlichten und auf dem Kulturkanal Arte uraufgeführten Dokumentation begibt sich Viallet auf eine historische Spurensuche nach den maßgeblichen Faktoren, die die industrielle Entwicklung in Westeuropa und Nordamerika auf den Stand einer die ganze Welt zum Feld ökonomischer Bewirtschaftung einer kleinen Minderheit von InvestorInnen und UnternehmerInnen gebracht hat. Selbst wenn nicht auf diesen Begriff gebracht zeigt sich, daß Klassenwidersprüche im Zentrum der raumgreifenden Beschleunigung von Produktivkräften stehen, die als technologische Innovationen von höchst ambivalenter Wirkung Gestalt annehmen.

Die vergleichslose Dynamik der letzten 200 Jahre nimmt auf nachvollziehbare Weise Gestalt an, indem die Lebensdauer der Erde auf einen Tag von 24 Stunden heruntergebrochen wird. Auf dieser Zeitachse existierte der Mensch lediglich seit 5 Sekunden, und die Epoche der Industrialisierung entspräche den zwei letzten Tausendstelsekunden. Wollte man diese Zeit als geologische Epoche des Anthropozäns zusammenfassen, mit der das 11.700 Jahre währende Holozän abgelöst würde, dann wäre dieser erdgeschichtliche Augenblick dennoch von entscheidender Bedeutung für die menschliche Zukunft. Wie im Falle des im All schwebenden, vom Blau des Wassers geprägten Planeten ist mit der Kategorie des Anthropozäns nicht viel gewonnen - den Ordnungsanspruch einer solchen Begriffsbildung exakt zu fassen beschäftigt zwar zahlreiche WissenschaftlerInnen, doch wenn nicht erkannt wird, daß die Gegenwart lediglich Kulminationspunkt einer langen Geschichte von Menschen verursachter Zerstörungen ist, kann er dennoch in die Irre simplifizierender und letztlich irreführender Annahmen führen.

Dieser Ansicht sind zumindest die Wissenschaftshistoriker Christophe Bonneuil und Jean-Baptiste Fressoz. In ihrem 2016 vorgelegten Buch "The Shock of the Anthropocene. The Earth, History and Us" [1] wird die Repolitisierung des Diskurses um das Anthropozän vor dem Hintergrund einer Reflexion gesellschaftlicher Naturverhältnisse vorgeschlagen, bei der schon lange vor der modernen Diskussion etwa um "Die Grenzen des Wachstums", mit denen 1972 die Erschöpfung menschlicher Lebensvoraussetzungen durch Übernutzung auf breiter Ebene zum Thema gemacht wurde, über die destruktiven Auswirkungen der Industrialisierung nachgedacht wurde. Bonneuil und Fressoz haben mit dem Regisseur Jean-Robert Viallet bei der Produktion des Filmes zusammengearbeitet, und sie sind ihrer Absicht zumindest insofern gerecht geworden, als "Die Erdzerstörer" wesentliche Akteure des industriellen Fortschrittes beim Namen nennt und in den Kontext kapitalistischer Verwertungsstrategien stellt, mit Hilfe derer ohne Not Weichenstellungen in zentralen Bereichen wie Güterproduktion, Mobilität oder Landwirtschaft vorgenommen wurden, während anderen Entwicklungspfaden der Weg versperrt wurde.

So wird die fossile Energiequelle Kohle, die den Motor industrieller Entwicklung im 19. Jahrhundert darstellte, von Erdöl nicht nur aufgrund von Profitinteressen abgelöst, sondern auch zur Ausschaltung des Streikpotentials der ArbeiterInnenklasse. Sie konnte mit der Arbeitsniederlegung in den Bergwerken und der Unterbrechung des Schienenverkehrs den Betrieb aller großen Industrien zum Erliegen bringen und verfügte über dementsprechend große Handlungsfähigkeit. Die von weit weniger Arbeitskräften betriebene und durch ein Transportsystem aus Pipelines und Schiffen weniger angreifbare Infrastruktur der Ölförderung löste in den USA einen Boom aus fossilen Kohlenwasserstoffen hergestellter Güter lange vor dem Betrieb der ersten Automobile aus.

Auch dieser mußte gegen den Widerstand der Bevölkerung der Städte durchgesetzt werden, die sich ihr Recht, gefahrlos auf der Straße zu flanieren, nicht nehmen lassen wollte. Ein Konzernkartell setzte die Automobilisierung der urbanen Zentren planmäßig zu Lasten des in den USA damals noch gut ausgebauten, mit Straßenbahnen auf der Schiene verlaufenden Personennahverkehrs durch. In der Folge wurde der Städtebau primär durch die Automobilität geprägt, und Autobahnprojekte wie in Deutschland und den USA wurden zum Inbegriff der industriellen Moderne. Noch in den 1920er Jahren waren große Demonstrationen gegen den Tod zahlreicher Kinder im motorisierten Straßenverkehr der US-amerikanischen Städte an der Tagesordnung. Die Parallele zu den heutigen sozialökologischen Kämpfen gegen den Automobilismus [2] sind unübersehbar und nur ein Beispiel dafür, wie alle Menschen betreffende Entscheidungen in die Irre fataler Entwicklungen führen konnten.

Eine zentrale Rolle in der Analyse der technologischen Entwicklung und ihrer Bedeutung für den Klimawandel spielen die großen Kriege des 20. Jahrhunderts [3]. Sie bestätigen nicht nur die These, daß der Krieg Vater auch vieler wichtiger ziviler Entwicklungen ist, sondern leiten große Sprünge bei der Nutzung fossiler Energie bis zum heutigen Stand exzessiver Verschwendung vorhandener Ressourcen ein. Die Mobilisierung der Bevölkerung für den Staatenkrieg fand nicht nur auf dem Schlachtfeld, sondern auch in den Fabriken statt. Die Herausbildung eines auf Massenfertigung und Massenkonsum basierenden Kapitalismus stand nach Ende des Zweiten Weltkrieges unter dem Vorzeichen notwendiger Befriedung des durch den kommunistischen Systemgegner herausgeforderten Kapitalismus. Die kriegswichtige Rolle der Chemieindustrie wird anhand der Konkurrenz zwischen US-amerikanischen und deutschen Unternehmen beleuchtet. Die Verwendung von Kunststoffen aus Kohlenwasserstoffen für alles und jedes befeuert eine industrielle Produktivität des zivilen Konsums, mit der Langzeitschäden in die Welt gesetzt wurden, die nicht nur das Leben in den Meeren, sondern der Menschen selbst bedrohen.

An aktuelle Vorschläge der Kompensation durch die industrielle Produktion freigesetzter Treibhausgase denken läßt auch der ganze Regionen im Wortsinn umwälzende Einsatz von Atombomben als Mittel eines frühen Geoengineerings. 27 Atomexplosionen zur zivilen Nutzung fanden in den USA statt etwa beim Bau von Autobahnen, fast 150 Atombomben wurden in der Sowjetunion zur zivilen Nutzung bei ehrgeizigen Projekten des großdimensionierten Umbaus der Landschaft gezündet. Nach dem Zweiten Weltkrieg, als der fordistische Kapitalismus richtig abhob und eine Naturzerstörung ins Werk setzte, die auch damals schon auf vehemente Kritik stieß, gab es in den USA sogar einen Boom der solaren Energieerzeugung. Er wurde von der fossilen Industrie, die auf Kohlestrom setzte, systematisch abgewürgt, was in einem Land, das allein ein Drittel des weltweit erzeugten Bruttoinlandsproduktes hervorbrachte, 85 Prozent aller Direktinvestitionen weltweit tätigte und 60 Prozent des globalen Erdöls verbrauchte, durchaus von hegemonialer Zwecklogik war.

Dementsprechend zeigt "Die Erdzerstörer" auch die Schattenseite des konsumistischen Paradieses, das in den westlichen Industriestaaten zelebriert wurde. Kolonialismus und Imperialismus überzogen den Globalen Süden mit Ressourcenraubbau und Ausbeutung durch Arbeit in einem Ausmaß, das unmißverständlich klarstellt, wieso es grob irreführend ist, in der Diskussion um den Klimawandel von einem handelnden Akteur namens "Menschheit" zu sprechen. Von großer aktueller Bedeutung ist auch die Kritik am System der industriellen Landwirtschaft, die ausführlich geleistet und anhand der Angabe verdeutlicht wird, daß zu Beginn der Industrialisierung eine Kalorie Energieeinsatz noch 5 bis 10 Kalorien an Nahrungsmitteln hervorbrachte, während ein Input von einer Kalorie auf dem Acker heute nur noch in 0,7 Kalorien an Nahrungsmitteln resultiert. Zerstörung und Produktion arbeiten so eng zusammen, daß das eine ohne das andere kaum noch möglich erscheint - mit Agent Orange wurden ganze Wälder zerstört, mit synthetisch erzeugtem Stickstoffdünger [4] wird die Getreideproduktion unter massiver Auslaugung der Böden und Vergiftung des Wassers in die Höhe getrieben.

Schließlich erzeugt die von vielen als große Zukunftschance betrachtete Digitalisierung einen erheblichen Stoff- und Energieverbrauch, und auch die Produktion von Solarzellen ist ressourcenintensiv. "Das Heilsversprechen für den Planeten durch sogenannte grüne Technologien und die Digitalisierung erinnert immer stärker an das Versprechen zu Beginn des 19. Jahrhunderts. Damals sollten Wälder und Klima durch die Kohle gerettet werden". Der Epilog des Films macht keine falschen Hoffnungen, sondern konfrontiert das Publikum mit der Frage, wo die eigenen Anteile an dieser desaströsen Entwicklung liegen und was ganz persönlich getan werden kann, um sie noch einmal in ihrer denkbar schlimmsten Konsequenz abzuwenden.

Bei der Bildregie hat sich Viallet die Freiheit genommen, neben zahlreichen Filmdokumenten, die den technologischen Fortschritt auf der Höhe der jeweiligen Zeit propagieren und bejubeln, auch nur mittelbar mit dem gesprochenen Inhalt verknüpfte Bilder von allerdings großer Symbolwirkung einzusetzen. So nimmt "Die Erdzerstörer" fast die Form eines filmischen Essays an, der mit einer klaren Linie der Argumentation, nichts dem numinosen Zufall zu überlassen, sondern industriellen Produktivismus, staatlich geförderten Kapitalismus und die Befriedung seiner Marktsubjekte durch Konsumismus zusammenzudenken, beeindruckt. Wollte der öffentlich-rechtliche Rundfunk auf die Höhe der Zeit und den Stand zentraler gesellschaftlicher Widerspruchslagen kommen, dann gelingt dies am überzeugendsten mit eindeutig positionierten Dokumentarfilmen wie diesem.



Fußnoten:

[1] https://www.hsozkult.de/publicationreview/id/rezbuecher-25996

[2] http://www.schattenblick.de/infopool/buerger/report/brrb0123.html

[3] http://www.schattenblick.de/infopool/politik/kommen/volk1739.html

[4] http://www.schattenblick.de/infopool/politik/kommen/raub1193.html

Die Erdzerstörer
100 Minuten
Dokumentarfilm von Jean-Robert Viallet
Arte Frankreich 2019
Erstausstrahlung am 30. April 2019, Wiederholung am 7. Mai 2019 um 0.45 Uhr
Abrufbar in der Arte-Mediathek bis 28. September 2019


5. Mai 2019


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