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HNO/209: Lästiges Pfeifen im Ohr - Neuartige Musiktherapie hilft bei Tinnitus (idw)


Arbeitsgemeinschaft der Wissenschaftlichen Medizinischen Fachgesellschaften
Medizin - Kommunikation, 14.03.2011

DGKN-Kongress - Lästiges Pfeifen im Ohr

Neuartige Musiktherapie hilft bei Tinnitus


Münster - Millionen Deutsche leiden an einem chronischen Tinnitus. Das Pfeifen, Brummen oder Rauschen im Ohr beeinträchtigt die Lebensqualität mitunter erheblich. Mit einer neuartigen Musiktherapie lernt das Gehirn, die störenden Geräusche auszublenden. Wissenschaftler stellen den Behandlungsansatz auf der 55. Jahrestagung der Deutschen Gesellschaft für Klinische Neurophysiologie und funktionelle Bildgebung (DGKN) vor. Der Kongress findet vom 16. bis zum 19. März 2011 in Münster statt.

Hirnforscher der Universität Münster vergleichen einen Tinnitus mit dem Phantomschmerz, den Menschen nach dem Verlust einer Gliedmaße empfinden. Die Geräusche entstehen, weil infolge von Hörstörungen bestimmte Tonfrequenzen "amputiert" sind. "Auf dem subjektiven Empfindungsniveau nimmt der Tinnituspatient einen 'Phantomklang' wahr. Auf dem neurophysiologischen Niveau unterliegt dieser Phantomwahrnehmung ein zentraler, hauptsächlich kortikaler Reorganisationsprozess", erklärt Professor Dr. Christo Pantev, Direktor des Instituts für Biomagnetismus und Biosignalanalyse der Universität Münster. Der Wissenschaftler geht davon aus, dass der Verlust der sogenannten lateralen Inhibition hierbei eine Rolle spielt. Es handelt sich dabei um ein Schaltprinzip im Gehirn, bei dem aktivierte Nervenzellen benachbarte Nervenzellen hemmen. "Ist dieser Prozess gestört, kommt es zur Überaktivität benachbarter Hirnregionen. Bei Hörstörungen wird dies dann als Tinnitus wahrgenommen", so Pantev im Vorfeld der DGKN-Jahrestagung.

Mit einer neuartigen Musiktherapie versuchen die Forscher, die fehlgeschalteten Nervenzellen gezielt zu beruhigen. Zunächst wählt jeder Patient aus seiner Musiksammlung 10 bis 20 CDs mit seiner Lieblingsmusik aus. "Am Computer passen wir die Musik dann individuell an: Wir filtern genau die Frequenz aus der Musik heraus, die der jeweiligen Tinnitus-Frequenz des Patienten entspricht", erklärt Pantev. Der auf diese Weise bearbeiteten Musik, die sich unverändert anhört, lauschten die Teilnehmer einer Studie jeden Tag für ein bis zwei Stunden. Zudem bildeten die Wissenschaftler zwei Kontrollgruppen. In der ersten hörten die Patienten Musik, bei der eine zufällig ausgewählte Frequenz unterdrückt wurde. Bei den Patienten der zweiten Kontrollgruppe wurde die Musik gar nicht bearbeitet.

Nach zwölf Monaten hatte sich die Tinnitus-Lautstärke bei den Patienten, die die um ihre Tinnitus-Frequenz bereinigte Musik hörten, im Durchschnitt um 25 Prozent vermindert. Die Ohrgeräusche wurden als weniger lästig eingestuft. Zudem schränkten sie die Lebensqualität in geringerem Maße ein. Mit der Magnetoenzephalographie, einer Form der Bildgebung, konnte Pantev darüber hinaus die Auswirkungen der Therapie auf die Hirnaktivität überprüfen: "Das Ergebnis stimmte mit der Wahrnehmung der Patienten überein: Die Hirnreaktion auf Töne mit der Tinnitus-Frequenz fiel nun schwächer aus", erklärt der Experte. Bei den beiden Kontrollgruppen zeigten sich keine Veränderungen.

Die Studie aus Münster ist in der Fachwelt auf große Resonanz gestoßen. "Wenn andere Zentren unsere Ergebnisse bestätigen, könnte diese spezielle Musiktherapie schon bald zu einer Standardbehandlung werden", hofft Pantev, der diesen Ansatz mit seinen Kollegen auf der 55. Jahrestagung der DGKN in Münster diskutieren wird. Das Thema ist zudem ein Schwerpunkt der Kongress-Pressekonferenz am 16. März 2011.


Literatur:
Okamoto H, Stracke H, Stoll W, Pantev C.:
Listening to tailor-made notched music reduces tinnitus loudness and tinnitus-related auditory cortex activity.
Proc Natl Acad Sci U S A. 2010 Jan 19;107(3):1207-10

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Quelle:
Informationsdienst Wissenschaft - idw - Pressemitteilung
Arbeitsgemeinschaft der Wissenschaftlichen Medizinischen Fachgesellschaften
Medizin - Kommunikation, 14.03.2011
WWW: http://idw-online.de
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veröffentlicht im Schattenblick zum 16. März 2011