Arbeitsgemeinschaft der Wissenschaftlichen Medizinischen Fachgesellschaften e.V., Medizin - Kommunikation, 09.09.2019
DGE-Hormonwoche: Erkrankungen der Hirnanhangdrüse - Entzündung oder hormonproduzierender Tumor?
Die Hirnanhangdrüse (Hypophyse) steuert viele hormonelle Funktionen im Körper. Erkrankt sie, etwa aufgrund von Tumoren oder Entzündungen, so kommt es zu einer Raumforderung, die durch lokale Kompression Symptome wie Kopfschmerzen und Sehstörungen hervorrufen kann. Häufigere Folge der Erkrankung sind jedoch hormonelle Veränderungen. Wie wichtig eine Differentialdiagnose zwischen Tumor und Entzündungsreaktion ist, die beide ähnliche Symptome auslösen, erklären Experten auf der Pressekonferenz der Deutschen Gesellschaft für Endokrinologie (DGE) am 12. September 2019 in Berlin anlässlich der 4. Deutschen Hormonwoche.
Tumoren der Hirnanhangdrüse mit aggressivem Wachstumsverhalten oder Entzündungen der Hirnanhangsdrüse sind sehr selten. Deshalb müssen sich behandelnde Ärzte bei Diagnose und Therapie aufgrund der eingeschränkten Studienlage auch auf Erkenntnisse aus Fallsammlungen stützen. Patienten profitieren zudem, wenn sich Behandelnde seltener Erkrankungen untereinander zum fachlichen Austausch vernetzen.
Die Hirnanhangdrüse hat die Größe einer Kirsche und liegt auf Nasenhöhe
mitten im Kopf in einer knöchernen Aushöhlung an der Schädelbasis. Sie
besteht aus zwei Lappen, die sich von ihrer Funktion her unterscheiden.
Der Hypophysenvorderlappen ist kein Teil des Gehirns, sondern eine
typische Hormondrüse, die über die Freisetzung von Hormonen die Funktionen
von Wachstum, Keimdrüsen, Schilddrüse, Nebennieren und Brustdrüse steuert.
Der Hypophysenhinterlappen besteht aus Nervenzellfortsätzen, in denen
Hormone beispielsweise zur Regulation des Wasserhaushaltes gespeichert
werden. "Verschiedene Erkrankungen können die Hormonbildung in der
Hirnanhangdrüse stören, sodass diese zu viele Hormone und/oder zu wenige
Hormone produziert", sagt Privatdozent Dr. med. Ulf Elbelt von der
Medizinischen Klinik B, Campus Ruppiner Kliniken an der Medizinischen
Hochschule Brandenburg. Werden durch einen Tumor der Hirnanhangdrüse
umgebende Strukturen geschädigt, so kann dies zu Symptomen wie
Gesichtsfeldeinschränkungen bis hin zur Erblindung und ausgeprägten
Kopfschmerzen führen, werden die gesunden Anteile der Hirnanhangdrüse
durch den Tumor komprimiert, können diese unter Umständen nicht mehr
genügend Hormone bilden. Mit Krankheitslast verbundene Tumoren im Bereich
der Hirnanhangdrüse sind selten. Die Krankheitshäufigkeit liegt bei knapp
unter 100 pro 100.000 Einwohner. In über 80 Prozent handelt es sich bei
den Tumoren um sogenannte Hypophysenadenome. Dies sind überwiegend
hormonproduzierende Tumoren. "Problemtisch ist vor allem, dass
Hypophysenadenome unreguliert und gesteigert Hormone produzieren und
freisetzen können und gleichzeitig einen Mangel für andere Hormone
verursachen können", erklärt Elbelt. Der häufigste Hypophysentumor ist das
(gutartige) Prolaktinom, das bei Frauen zu Milchfluss und Zyklusstörungen
und bei Männern zu Libidoverlust und Erektionsstörungen führen kann.
Mit Ausnahme der Prolaktinome werden Hypophysenadenome häufig durch eine
Operation entfernt. Wenn das nicht möglich ist, kann eine medikamentöse
Behandlung oder mitunter auch eine Strahlentherapie notwendig werden. Bei
der Behandlung aggressiver Hypophysenadenome hat sich eine Behandlung mit
dem Chemotherapeutikum Temozolomid als geeignet herausgestellt.
Eine weitere Erkrankung ist die Entzündung der Hirnanhangdrüse. Sie kann ähnliche Symptome hervorrufen wie Tumoren. Deshalb rät Elbelt dazu, vor jeder Operation die Möglichkeit einer Entzündung der Hirnanhangdrüse in Betracht zu ziehen. Sie ist mit geschätzt einem Neuerkrankungsfall auf sieben Millionen Einwohner äußerst selten. Die Ursache der primären Hypophysitis ist eine Abwehrreaktion des Immunsystems (Autoimmunerkrankung). Sie kann auch infolge anderer Erkrankungen auftreten. "Auch hier haben wir es mit Raumforderungen zu tun, die Kopfschmerzen, Sehstörungen, Hormonmangelzustände und insbesondere Harnflut und damit einhergehend ein starkes Durstgefühl hervorrufen", sagt der Experte. Für die sichere Abgrenzung von Adenom und Hypophysitis kann neben bildgebenden Verfahren im Einzelfall auch eine Gewebebiopsie erforderlich sein. Die Therapie der Hypophysitis besteht im Ersatz der fehlenden Hormone. Insbesondere bei sehr starken Kopfschmerzen kann zusätzlich zum Hormonersatz die Gabe von Glukokortikoiden notwendig werden, die fast immer zu einer deutlichen Besserung der Kopfschmerzen führen.
Die größte Herausforderung liegt für die Ärzte darin, dass es insgesamt nur wenige Fälle gibt. Umso wichtiger ist es, auf nationaler Ebene im Austausch zu sein. "Fallsammlungen sind auf Initiative der Arbeitsgemeinschaft Hypophyse und Hypophysentumore der DGE erstellt worden, deren Stellenwert ist sehr hoch", sagt Elbelt. Professor Dr. med. Matthias M. Weber, Mediensprecher der DGE und Leiter der Endokrinologie der Universitätsmedizin der Johannes Gutenberg-Universität Mainz ergänzt: "Wenn Erkrankungen sehr selten sind, ist der individuelle Erfahrungsschatz eines Arztes natürlich beschränkt. Für das Behandlungsteam sind daher aus Fallsammlungen abgeleitete Erkenntnisse ausgesprochen hilfreich."
Wie Erkrankungen der Hirnanhangdrüse zu behandeln sind, ist ein Thema der Pressekonferenz der Deutschen Gesellschaft für Endokrinologie (DGE) am 12. September 2019 in Berlin. Weitere Themen sind familiäre Hypercholesterinämie, moderne Diagnostik bei Schilddrüsenknoten und Diabetesprävention durch unlösliche Ballaststoffe.
Literatur:
Honegger J, Schlaffer S, Menzel C, Droste M, Werner S, Elbelt U,
Strasburger C, et al.: Pituitary Working Group of the German Society of
Endocrinology. Diagnosis of Primary Hypophysitis in Germany. J Clin
Endocrinol Metab. 2015 Oct;100(10):3841-9.
doi: 10.1210/jc.2015-2152.
Epub 2015 Aug 11.
Honegger J, Buchfelder M, Schlaffer S, Droste M, Werner S, Strasburger C,
et al.: Pituitary Working Group of the German Society of Endocrinology.
Treatment of Primary Hypophysitis in Germany. J Clin Endocrinol Metab.
2015 Sep;100(9):3460-9.
doi: 10.1210/jc.2015-2146.
Epub 2015 Jun 19.
Raverot G, Burman P, McCormack A, Heaney A, Petersenn S, Popovic V, et
al.: European Society of Endocrinology. European Society of Endocrinology
Clinical Practice Guidelines for the management of aggressive pituitary
tumours and carcinomas. Eur J Endocrinol. 2018 Jan;178(1):G1-G24.
doi: 10.1530/EJE-17-0796.
Epub 2017 Oct 18. Review.
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Endokrinologie ist die Lehre von den Hormonen, dem Stoffwechsel und den Erkrankungen auf diesem Gebiet. Hormone werden von endokrinen Drüsen, zum Beispiel Schilddrüse oder Hirnanhangdrüse, aber auch bestimmten Zellen in Hoden und Eierstöcken, "endokrin" ausgeschüttet, das heißt nach "innen" in das Blut abgegeben. Im Unterschied dazu geben "exokrine" Drüsen, wie Speichel- oder Schweißdrüsen, ihre Sekrete nach "außen" ab.
4. Deutsche Hormonwoche vom 14. bis 21. September 2019
https://www.endokrinologie.net/hormonwoche-2019.php
Weitere Informationen finden Sie unter
https://www.endokrinologie.net/hormonwoche-2019.php
http://www.endokrinologie.net
http://www.hormongesteuert.net
Kontaktdaten zum Absender der Pressemitteilung stehen unter:
http://idw-online.de/de/institution76
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Quelle:
Informationsdienst Wissenschaft - idw - Pressemitteilung
Arbeitsgemeinschaft der Wissenschaftlichen Medizinischen Fachgesellschaften e.V.
Medizin - Kommunikation, 09.09.2019
WWW: http://idw-online.de
E-Mail: service@idw-online.de
veröffentlicht im Schattenblick zum 12. September 2019
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