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ONKOLOGIE/1723: Forschung - Neue Angriffspunkte für die Behandlung der Leukämie (idw)


Wilhelm Sander-Stiftung - 04.03.2016

Neue Angriffspunkte für die Behandlung der Leukämie


Die akute myeloische Leukämie (AML) ist eine besonders aggressive Form von Blutkrebs mit sehr ernster Prognose. Sie entsteht im Knochenmark, wo Leukämie-auslösende Zellen in besonderen Bereichen leben. Diese Bereiche werden Nischen genannt und zeichnen sich neben der Anwesenheit spezialisierter Knochenmarkszellen auch durch einen verminderten Sauerstoffgehalt aus. In diesen Nischen werden Leukämiezellen vor Chemotherapie beschützt und somit die Heilung verhindert. Die Arbeitsgruppe um Dr. M. Fiegl, Klinikum der Univ. München legt nun Hinweise vor, dass sich die leukämischen Zellen diese Nischen, z. B. durch Ausschüttung von Botenstoffen, ihren eigenen Bedürfnissen entsprechend umgestalten.

Leukämiezellen haben ihren natürlichen Lebensraum im Knochenmark, in dem auch die normale Blutbildung stattfindet. Das Knochenmark ist ein vielschichtiges Gewebe, in dem neben den blutbildenden Zellen auch zahlreiche andere Zellarten vorliegen. Für die normale Blutbildung sind von letzteren besonders die sogenannten Stromazellen bedeutsam, da sie innerhalb des Knochenmarks Nischen bilden. In diesen beschützen sie gesunde Blutstammzellen, damit diese ihrer normalen Aufgabe, der Blutbildung, nachkommen können. Bei Patienten mit AML beschützen diese Stromazellen versehentlich aber auch die Leukämiezellen (die sie vermutlich nicht von gesunden Blutstammzellen unterscheiden können) vor Chemotherapie oder anderweitigem Stress und vermindern damit die Heilungschancen der Patienten. Ein weiteres Merkmal der Knochenmarksnischen ist, dass in diesen der Sauerstoffgehalt im Vergleich zu anderen Bereichen im menschlichen Körper erniedrigt ist.

Dieser sehr niedrige Sauerstoffgehalt ist offensichtlich für die normale Blutbildung wichtig, aber er hat auch Folgen für Leukämiezellen. Um diese Folgen genauer zu untersuchen, müssen Versuche im Labor unter aufwendigen Bedingungen in einer besonderen Arbeitsstation durchgeführt werden, die solche niedrigen Sauerstoffkonzentrationen nachbilden kann, da in der normalen Luft der Sauerstoffgehalt viel höher liegt: in der normalen Luft beträgt er 21%, in den Nischen stattdessen nur 1%.

Die Gruppe um Dr. Fiegl konnte nun zeigen, dass Leukämiezellen sehr unterschiedlich reagieren, je nachdem ob man sie unter Standardlaborbedingen untersucht oder unter einer verminderten Sauerstoffkonzentration (was ihrem natürlichen Umfeld viel besser entspricht). So wiesen die Leukämiezellen eine verminderte Empfindlichkeit gegenüber Chemotherapie sowie ein vermindertes Wachstum auf, wenn der Sauerstoffgehalt vermindert war. Interessanterweise änderte sich auch der Gehalt an speziellen Eiweißen (sogenanntes FLT3, welches eine wichtige Rolle in der akuten myeloischen Leukämie spielt), die von Leukämiezellen auf ihrer Oberfläche präsentiert werden (um damit z. B. Signale aus ihrer Umwelt zu erkennen) und deren Stoffwechsel, sobald der Sauerstoffgehalt reduziert wurde. Am überraschendsten aber war, dass die Leukämiezellen im Gegensatz zu normalen Blutstammzellen (die ihnen sonst in vielen Eigenschaften sehr ähnlich sind), vermehrt den Botenstoff IL-8 ausschütten; diese Ausschüttung steigerte sich noch, wenn die Leukämiezellen einem verminderten Sauerstoffgehalt wie in der Knochenmarksnische ausgesetzt wurden. Dieser Botenstoff wird normalerweise bei Entzündungen ausgeschüttet und führt dazu, dass andere Entzündungszellen in das betroffene Gewebe einwandern. Leukämiezellen scheinen aber unempfindlich für diesen Botenstoff zu sein und es wurde keinerlei Wirkung dieses Botenstoffes auf die Leukämiezellen selbst beobachtet. Interessanterweise weisen jedoch Stromazellen Empfänger für diesen Botenstoff auf, und tatsächlich wurden Stromazellen von diesem Botenstoff angezogen. Dies könnte bedeuten, dass Leukämiezellen die für sie wichtigen Stromazellen (angeregt durch die erniedrigte Sauerstoffkonzentration in der Knochenmarksnische) sozusagen "betrügen" und damit anlocken können. Tatsächlich fand die Arbeitsgruppe um Dr. Fiegl in Kooperation mit dem Institut für Pathologie der LMU München in Gewebeschnitten des Knochenmarks eine höhere Anzahl an Stromazellen bei Leukämiepatienten, verglichen mit Gesunden (Abbildung 1). Dazu passend wurde herausgefunden, dass, je mehr IL-8 in Leukämiezellen von Patienten mit bestimmten Formen von AML gefunden wurde, deren Prognose umso schlechter war.

Zusammengefasst belegen diese neuen Erkenntnisse des von der Wilhelm Sander-Stiftung geförderten Projektes die Bedeutung des Knochenmarkumfelds und der Nische für die Krankheitsentstehung und das Fortschreiten der akuten myeloischen Leukämie. Weiterhin zeigen sie neue Wege auf, (I) wie die Erkrankung theoretisch bekämpft werden könnte, indem nicht nur die Leukämiezelle selbst, sondern ihr Umfeld angegriffen wird, und (II) wie Leukämiezllen sinnvoll im Labor untersucht werden können, indem das normale Umfeld (z. B. wie im Knochenmark) besser nachgebildet wird.


Literaturhinweise:

Drolle H et al. Hypoxia regulates proliferation of acute myeloid leukemia and sensitivity against chemotherapy. Leuk Res 2015;39(7):779-85.

Sironi S et al. Microenvironmental hypoxia regulates FLT3 expression and biology in AML. Sci Rep 2015, Nov 30;5:17550. doi: 10.1038/srep17550.

Kuett A et al. IL-8 as a mediator in the microenvironment-leukaemia network in acute myeloid leukemia. Sci Rep 2015, Dec 17;5:18411. doi: 10.1038/ srep18411.

Ansprechpartner:
PD Dr. med. Michael Fiegl
Medizinische Klinik und Poliklinik III
Klinikum der Universität München - Campus Großhadern
Email: Michael.Fiegl@med.uni-muenchen.de

• Die Wilhelm Sander-Stiftung hat dieses Forschungsprojekt mit rund 174.000 Euro unterstützt. Stiftungszweck ist die Förderung der medizinischen Forschung, insbesondere von Projekten im Rahmen der Krebsbekämpfung. Seit Gründung der Stiftung wurden insgesamt über 220 Millionen Euro für die Forschungsförderung in Deutschland und der Schweiz bewilligt. Die Stiftung geht aus dem Nachlass des gleichnamigen Unternehmers hervor, der 1973 verstorben ist.


Weitere Informationen zur Stiftung:
http://www.wilhelm sander-stiftung.de

Kontaktdaten zum Absender der Pressemitteilung stehen unter:
http://idw-online.de/de/institution890

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Quelle:
Informationsdienst Wissenschaft - idw - Pressemitteilung
Wilhelm Sander-Stiftung, Bernhard Knappe, 04.03.2016
WWW: http://idw-online.de
E-Mail: service@idw-online.de


veröffentlicht im Schattenblick zum 10. März 2016

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