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AUGEN/334: Lichtadjustierbare Linsen - Scharfe Sicht auf Probe (RUBIN)


RUBIN - Wissenschaftsmagazin, Frühjahr 2011
Ruhr-Universität Bochum

Scharfe Sicht auf Probe

Als eine von nur zwei Universitäts-Augenkliniken in Europa setzt die RUB-Augenklinik die lichtadjustierbare Linse ein

Von Meike Drießen


Ohne Brille lesen, am Computer arbeiten oder Autofahren - diese Wünsche kann eine neuartige Linse Patienten mit Grauem Star (Katarakt) erfüllen. Die lichtadjustierbare Linse (LAL), die die RUB-Augenklinik im Knappschaftskrankenhaus Bochum als eine von nur zwei als "Center of Excellence" ausgewählten Universitäts-Augenkliniken seit knapp drei Jahren einsetzt, macht es möglich. Ihre Brechkraft lässt sich nach dem Einsetzen mit UV-Licht einstellen. Erst wenn der Patient zufrieden ist, wird die Linseneinstellung fixiert. Studien haben gezeigt, dass die Sicht nicht nur dauerhaft gut bleibt, sondern dass sich die LAL auch für "extreme" Augen eignet.


Beim Grauen Star (Katarakt) trübt sich die Linse im Auge schleichend ein, so dass die Sicht allmählich schwindet. Irgendwann muss die Linse ersetzt werden - heute ein Routine-Eingriff, der in Deutschland über 650.000mal im Jahr durchgeführt wird. Die Hornhaut des Auges, welche die Linse bedeckt, wird nur maximal etwa 2,8 Millimeter weit geöffnet, die eigene Linse abgesaugt und eine Ersatzlinse eingesetzt. Diese kann der Augenarzt so wählen, dass bekannte Sehschwächen wie Kurz- oder Weitsichtigkeit damit korrigiert werden.

Allerdings gelingt das nicht immer sehr genau. "Beim Einheilen der Linse kann es passieren, dass sie ihre Position ein klein wenig verändert, oder dass die Hornhaut vernarbt und uneben wird. Diese Vorgänge sind vorher nicht absehbar und können daher nicht in die Wahl der Linse einkalkuliert werden", erklärt Dr. Fritz Hengerer, Leitender Oberarzt der RUB-Augenklinik im Knappschaftskrankenhaus Bochum (Direktor: Prof. Dr. Burkhard Dick). Aber auch die DIN-Norm für Intraokularlinsen erlaubt den Herstellern gewisse Toleranzen bei der Fertigung der Linsen. Je nach Brechwert können Abweichungen vom auf der Packung angegebenen Wert von +/- 0,5 bis +/- 1,0 Dioptrien zulässig sein. Abweichungen von der aufwändig berechneten angestrebten Zielrefraktion sind die Folge. Die Patienten kommen daher oft auch nach der Operation nicht ohne eine Brille aus, die die bleibenden oder neu entstandenen Sehfehler korrigiert.

Die Bochumer Augenspezialisten setzen daher auf eine neue Linse, die sich nach dem Einsetzen noch justieren lässt, und das ohne weiteren Eingriff: Die Lichtadjustierbare Linse (LAL) wurde 1999 von Dr. Daniel Schwarz und dem späteren Nobelpreisträger für Chemie Robert Grubbs entwickelt. Sie ist gefüllt mit einer Silikonmasse, die kurze Silikon-Monomere enthält. Bei Bestrahlung mit UV-Licht einer bestimmten Wellenlänge (365 Nanometer) kommt eine photochemische Reaktion in Gang, die zur Verkettung der kurzen Moleküle an der bestrahlten Stelle der Linse führt. Die entstehenden größeren Moleküle führen zu einem Ungleichgewicht in der Verteilung der kleinen Moleküle innerhalb der Linse. In den 15 Stunden nach der Bestrahlung diffundieren daher Monomere aus der Umgebung an die bestrahlte Stelle, um ein Gleichgewicht herzustellen. Die Folge ist eine Verdickung der Linse an der bestrahlten Stelle. So lässt sich die Linse innerhalb bestimmter Grenzen beliebig formen. Der Patient hat nach einer Justierung Gelegenheit, seine neu eingestellte Sicht für einige Zeit in den verschiedenen Alltagssituationen zu testen. Ist er nicht zufrieden, wird nachjustiert. Ein Computer berechnet und steuert dabei die Beleuchtung.

Die Justierung der Linse dauert nur 40 bis 150 Sekunden, während derer der Patient einen grün blinkenden Punkt fixiert. Zur Stabilisierung wird eine Kontaktlinse aufgesetzt. Der Augenarzt behält die Linse des Patienten durch ein Fadenkreuz im Blick und gleicht mit einer Art Joystick eventuelle Augenbewegungen aus.

"Üblicherweise justieren wir nur ein- bis zweimal", berichtet Dr. Hengerer. "Dann sind die meisten Patienten zufrieden, und wir können die Linse fixieren." Dazu wird die gesamte Linse dann mit einer höheren UV-Lichtdosis der gleichen Wellenlänge beleuchtet. Anschließend lässt sich ihre Form nicht mehr verändern, und die Patienten können sich auch von ihrer UV-Schutzbrille verabschieden, die vom Zeitpunkt der Operation an ständiger Begleiter ist. "Die Linsen sind vor der Fixierung empfindlich. Wenige Stunden draußen an einem sonnigen Tag ohne UV-Schutz könnten unkontrollierte Veränderungen der Brechwerte hervorrufen und die Nachjustierung erschweren", so Dr. Hengerer. Auf der Rückseite ist die Linse übrigens mit einem UVSchutz ausgestattet, der die Netzhaut des Patienten bei der Bestrahlung und besonders danach dauerhaft abschirmt.

Nach Erfahrung des Augenarztes wünschen sich die Patienten ganz Unterschiedliches von ihrer Augenlinse. Die meisten Patienten genießen die Freiheit, nach der Einstellung der Linse völlig klare Sicht in die Ferne ohne Brille zu erleben. Andere wiederum sind am zufriedensten mit einem "Sehfehler" von -1,5 Dioptrien. Diese leichte Kurzsichtigkeit erlaubt es den Patienten, ohne Brille am Computer zu arbeiten oder ihr Handydisplay abzulesen. Dass die Fernsicht nicht 100-prozentig scharf ist, stört diese Patienten weniger: Sie tragen für eine optimale Fernsicht eine Brille.

Um den Komfort durch die neue Linse noch weiter zu verbessern, ermöglicht Dr. Hengerer auf Wunsch inzwischen auch die multifokale Einstellung. Im Zentrum der Linse befindet sich dann der Nahsichtbereich. Schaut der Linsenträger in die Ferne, öffnet sich die Pupille und somit die Sicht durch die gesamte Linse, deren äußere Bereiche für die Fernsicht optimiert sind. Der zentrale Bereich stört dann nicht. Ebenfalls möglich ist es, die Linsen beider Augen unterschiedlich einzustellen, d.h. eine für die Nah- und die andere für die Fernsicht. "Ein Unterschied von bis zu zwei Dioptrien zwischen beiden Augen bereitet dem Gehirn aufgrund der geringen Bildgrößenunterschiede keine Schwierigkeiten", sagt Dr. Hengerer.

Gemeinsam mit Forschungspartnern der Universität Murcia (Spanien) arbeitet Hengerer daran, den Einsatz der Linse weiter zu optimieren. So kann man damit nicht nur die "üblichen" Sehfehler wie Kurz- und Weitsichtigkeit sowie Hornhautverkrümmung ausgleichen, sondern auch "Brechungsfehler höherer Ordnung", deren Ursache in verschiedenen Bereichen des Auges liegen. "Wir haben im Auge 30.000 Messpunkte", erklärt Dr. Hengerer die Genauigkeit der Diagnostik und Adjustierung. "Beim zusätzlichen Ausgleich dieser sogenannten Aberrationen höherer Ordnung sind mit der LAL auch Sehschärfen von weit über 100 Prozent erreichbar."

Um solches "Tuning" geht es aber nicht vorrangig, sondern um Lebensqualität. Inzwischen wurden im Knappschaftskrankenhaus seit April 2008 rund 350 Patienten mit den neuen Linsen versorgt, so viele wir nirgendwo anders in Europa. Die ersten 150 von ihnen hat Dr. Hengerer im Rahmen einer Studie über anderthalb Jahre hinweg regelmäßig nachuntersucht. Nach einem Jahr lagen alle Augen - egal ob kurz- oder weitsichtig - innerhalb von maximal einer Dioptrie um den angestrebten Zielwert herum, auch "extreme" Augen mit starken Fehlsichtigkeiten. Bei durchschnittlichen Augen lagen 99 Prozent innerhalb von 0,5 Dioptrien vom Zielwert, 95 Prozent sogar nur bis 0,25 Dioptrien davon entfernt. Bei "extremen" Augen traf dies immerhin auf zwei Drittel der Augen zu.

Rund zwei Drittel aller Patienten mit Grauem Star, schätzt Hengerer, sind für die LAL geeignet. Das Hauptkriterium ist, dass sich die Pupille mindestens sechs Millimeter weit öffnen muss, damit sich die Linse komplett beleuchten lässt. Da im Alter die Fähigkeit zur Öffnung der Pupille nachlässt, kommt die Linse nicht für jeden infrage. Ausschlusskriterien sind zudem andere Augenkrankheiten wie etwa fortgeschrittener Grüner Star oder schwere Schäden am Auge durch Diabetes.

Dass sich die Linse in Zukunft durchsetzen wird, bezweifelt Dr. Hengerer nicht. Zwar ist sie teurer als herkömmliche Linsen, aber einzelne Krankenkassen gehen inzwischen zu Zuzahlungsmodellen über. Sie übernehmen die Kosten für den Einsatz einer Standardlinse, und der Patient zahlt nur zu, was bei Sonderlinsen wie der lichtadjustierbaren Linse an zusätzlichen Kosten anfällt. Zum anderen erreichen jetzt langsam die Menschen das Alter, in dem der Graue Star häufiger wird, die sich in jungen Jahren die Fehlsichtigkeit mit Laserverfahren haben korrigieren lassen. "Wenn die Hornhaut einmal gelasert ist, kann man noch weniger zuverlässig berechnen, welche Werte die Ersatzlinsen haben müssen", erklärt der Augenarzt. "Die lichtadjustierbare Linse ist dann eine elegante Möglichkeit, den Patienten scharfes Sehen ohne Brille zu ermöglichen." Nicht zuletzt legen Patienten auch immer mehr Wert auf Lebensqualität und damit auch gute Sicht.


Den gesamten Artikel inkl. allen Bildern finden Sie im Internet im PDF-Format unter:
www.ruhr-uni-bochum.de/rubin/


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Quelle:
RUBIN - Wissenschaftsmagazin, Frühjahr 2011, S. 42-45
Herausgeber: Rektor der Ruhr-Universität Bochum in Verbindung
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Anschrift: Pressestelle der Ruhr-Universität Bochum, 44780 Bochum
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veröffentlicht im Schattenblick zum 30. Juli 2011