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ARTIKEL/839: Symposium - Geringe Priorität für Gesundheit in der Stadt (SH Ärzteblatt)


Schleswig-Holsteinisches Ärzteblatt 4/2019

Symposium
Geringe Priorität für Gesundheit in der Stadt

von Horst Kreussler


Viertes Hamburger Symposium zur regionalen Gesundheitsversorgung. Die Auswirkungen von Verkehrslärm werden unterschätzt.


Es gibt schon vernünftige Ansätze, um ein Ballungsgebiet wie Hamburg weniger schädlich, ja "gesünder" zu machen. Aber insgesamt fehlt noch viel, um den weiteren Anstieg metropolenspezifischer Zivilisationskrankheiten einzudämmen. So könnte ein auf den Punkt gebrachtes Ergebnis des vierten Hamburger Symposiums zur regionalen Gesundheitsversorgung lauten. Das Institut für Versorgungsforschung in der Dermatologie und bei Pflegeberufen des UKE (Leiter: Prof. Matthias Augustin) hatte Wissenschaftler aus Deutschland und Schottland im Haus des kooperierenden Hamburg Center of Health Economics am Stephansplatz versammelt. Weitere Leiter des Symposiums waren der Geograf Prof. Jürgen Oßenbrügge und die Meteorologin Prof. Heinke Schlünzen, beide von der Hamburger Universität und ebenfalls maßgeblich am Forschungsprojekt UrbMod beteiligt (multisektorales Wirkungsmodell für gesundheitsfördernde Stadtentwicklung).

Zum problematischen Ist-Zustand der Hamburger Region mit Ausstrahlung nach Schleswig-Holstein berichtete Prof. Markus Quante vom HelmholtzZentrum Geesthacht und der Universität Lüneburg: "Hamburg hat derzeit noch mit hohen Stickstoffdioxidbelastungen zu kämpfen, aber auch Konzentrationen anderer die Luftqualität beeinflussender Substanzen sind nicht unbedeutend."

Eher unterschätzt werden, wie es scheint, die Auswirkungen des Verkehrslärms von Kraftfahrzeugen, Zügen und Flugzeugen. Die Lärmbelastung der Hamburger Bevölkerung liege weiterhin vielerorts oberhalb der empfohlenen Schwellenwerte, warnte Dr. Philine Gaffron (TU Hamburg). Prof. Rainer Guski (Universität Bochum) nannte aufgrund großer Studien u. a. ischämische Herzkrankheiten und Depressionen als Folge des "teilweise dramatischen Anstiegs akustischer Belastungen" und resümierte: "Als größtes Gesundheitsrisiko kann der nächtliche Straßenverkehr in urbanen Räumen angesehen werden."

Prof. Rainer Fehr (Universität Bielefeld, früher Gesundheitsbehörde Hamburg) wies auf die große Bedeutung der regionalen Zusammenarbeit bei der Gesundheitsförderung hin. Dazu gehörten neben ambulanter und stationärer grenzüberschreitender Versorgung weitere Bereiche wie Landwirtschaft oder Wohnungswirtschaft. So verstehe der 1900 in Schleswig-Holstein gegründete Verband Norddeutscher Wohnungsunternehmen seine Arbeit als Beitrag zur Gesundheitsförderung. Und in der Wissenschaft bemühe sich HAM-NET, das Hamburger Netzwerk für Versorgungsforschung, um die Schaffung neuer Forschungsstrukturen in der Metropolregion.

Einen weiteren wichtigen Faktor betonte der Glasgower Gesundheitswissenschaftler David Walsh PhD während des Hamburger Symposiums: falsche Planungsentscheidungen von Behörden und Politikern. Dazu kämen speziell in Glasgow etwa im Vergleich zu Liverpool und Manchester Entindustrialisierung und Verarmung der Bevölkerung mit der Folge einer viel höheren Sterblichkeit.

Soweit einige Aspekte des Ausgangsbefundes. Doch fragte sich mancher Teilnehmer, ob nicht die gepriesene "Integrierte Stadtentwicklung" (d. h. die Einbeziehung der Gesundheit) zumal in Hamburg alles besser mache? Antwort des erfahrenen ehemaligen Direktors des UKE-Instituts für Medizinsoziologie, Prof. Alf Trojan: Leider noch kaum ersichtlich. Trojan hat alle Programme auf Bundes- und Landesebene überprüft und in den über 100.000 Dokumenten kaum Hinweise gefunden: Speziell im Hamburger "Rahmenprogramm integrierte Stadtentwicklung" (RISE) ganze 19 Nennungen (von 1822 Dokumenten) und bei über 100 Sozialraumbeschreibungen nur drei: "Es war nicht möglich, eine offizielle Übersicht zu bekommen, ob und ggf. welche Gesundheitsförderungsaktivitäten in den Modellgebieten von RISE eine Rolle spielen."

Als Gründe nannte Trojan u. a. eine geringe Priorität von Gesundheit, knappe Personalressourcen, nicht ausreichende Qualifikation der Gesundheitsämter, zu wenig Integration. Dennoch blieb er zuversichtlich und bezeichnete Hamburg sogar teilweise als Vorbild, etwa beim Pakt für Prävention.

Ähnlich zuversichtlich zeigte sich die Leiterin der Landes- und Landschaftsplanung der Hamburger Behörde für Stadtentwicklung und Wohnen, Susanne Metz. Sie nannte für die Metropolregion, d. h. ausdrücklich in Abstimmung u. a. mit Schleswig-Holstein, diese Punkte: Ausbau der Magistralen (Aus- und Einfallstraßen) mit Wohnbebauung nach dem bewährten Fächermodell Fritz Schumachers, Einbeziehung nichtstörenden Gewerbes in Wohngebiete (wohl auch medizinische Einrichtungen), Eindämmung des Autoverkehrs bei hoher anderweitiger Mobilität (Radverkehr wie in Kopenhagen?), Einwohnerplanzahl ohne Migrationszuzug bei rund zwei Millionen.

Ähnlich klang es auch in der Schlussdiskussion des Symposiums, als z. B. Prof. Claudia Hornberg von der Universität Bielefeld die Auffassung vertrat, Hamburg sei wohl auf dem Weg zur gesunden Stadt besser aufgestellt als Nordrhein-Westfalen und Berlin, es bestehe aber besonders wegen der ungleichen Verteilung der Risikofaktoren dringender Handlungsbedarf.

Allerdings sah sie eine erhebliche Schwierigkeit darin, an die Menschen in gesundheitlich besonders betroffenen Wohngebieten heranzukommen ("Partizipation"). Das schien auch der dienstälteste Experte aus der Gesundheitsbehörde, Klaus-Peter Stender, einzuräumen, als er von Verbesserungsbedarf sprach: "Wir können die Armut nicht beseitigen, wir brauchen daher neue Formen der transparenten Auseinandersetzung." Wer ist 'wir'? "Wer macht am Ende eine Stadt zur gesunden Stadt", fragte Veranstalter Augustin abschließend sicher auch mit Blick auf die Ärzte: "Alle, die sich dafür engagieren."

Kommentierende Frage des Berichterstatters: Könnte eine Stadtregion gesünder werden nicht nur von oben durch immer mehr Planung, Regulierung und "Förderung Benachteiligter", sondern auch schlicht durch Schaffung günstiger Voraussetzungen (Freiräume, Information, gezielte Hilfestellung) für selbstverantwortliches Handeln z.B. bei Verkehrsmittelwahl, Mülltrennung oder gesundheitsbezogenem Lebensstil? Also Verhältnis- und Verhaltensprävention?


Info

Experten sprechen von einem "teilweise dramatischen Anstieg akustischer Belastungen" in Städten. Folgen können u. a. ischämische Herzkrankheiten und Depressionen sein. Nach ihrer Einschätzung werden die Auswirkungen von Verkehrslärm unterschätzt. Auch in Hamburg gibt es nach ihrer Ansicht Straßen, in denen etwa der nächtliche Straßenverkehr ein Gesundheitsrisiko darstellt.


Gesamtausgabe des Schleswig-Holsteinischen Ärzteblatts 4/2019 im Internet unter:
http://www.aeksh.de/shae/2019/201904/h19044a.htm

Zur jeweils aktuellen Ausgabe des Schleswig-Holsteinischen Ärzteblatts:
www.aerzteblatt-sh.de

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Quelle:
Schleswig-Holsteinisches Ärzteblatt
72. Jahrgang, April 2019, Seite 29
Herausgegeben von der Ärztekammer Schleswig-Holstein
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Das Schleswig-Holsteinische Ärzteblatt erscheint 12-mal im Jahr.


veröffentlicht im Schattenblick zum 10. Mai 2019

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