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BILDUNG/723: "Spiritual Care" - Gespräch mit dem Mediziner Eckhard Frick SJ (Herder Korrespondenz)


Herder Korrespondenz
Monatshefte für Gesellschaft und Religion - 3/2011

"Keine Transfusion aus der Sinn-Konserve"
Ein Gespräch über "Spiritual Care" mit dem Mediziner Eckhard Frick SJ

Von Alexander Foitzik


Seit Sommer des letzten Jahres gibt es an der Medizinischen Fakultät der Universität München eine Professur für "Spiritual Care". Über den Stellenwert der spirituellen Dimension für die Bewältigung von Krankheit und Leid und das Verhältnis zwischen "Spiritual Care" und Seelsorge sprachen wir mit dem Jesuiten und habilitierten Facharzt für Psychosomatische Medizin, Eckhard Frick. Die Fragen stellte Alexander Foitzik.


HK: Pater Frick, was lernen ein angehender Arzt, eine Ärztin von einem Professor für "Spiritual Care"?

FRICK: Die Studierenden lernen Sensibilität für Spiritualität in einem weiten Sinne, das heißt für alle Fragen, die mit der Sinndeutung von Krankheit zusammenhängen, mit der Auseinandersetzung im Leiden, mit existenziellen Belangen.

HK: Und um was geht es gerade nicht bei der im Sommer letzten Jahres eingerichteten Professur für "Spiritual Care" an der Medizinischen Fakultät der Universität München?

FRICK: Es geht nicht um spezifische, an eine bestimmte Religion gebundene Interventionen, weil es personenbezogen individuelle Zugänge zu Krankheit und Leid braucht. Leider haben wir auch nicht die Zeit, die Studierenden umfassend über die verschiedenen Perspektiven in den verschiedenen Religionen zu unterrichten, um die Vielfalt an Zugangsmöglichkeiten zu vertiefen.

HK: Woran fehlte es demnach bislang ohne "Spiritual Care" in der Ausbildung und dem medizinischen Betrieb im Ganzen?

FRICK: Bisher kommt der spirituelle Bereich höchstens indirekt in den soziodemographischen Angaben vor, die jemand macht, wenn er ins Krankenhaus aufgenommen wird. Ansonsten ist das ein Bereich, der nicht thematisiert wird oder nur zufällig auf zwischenmenschlicher Ebene - vor allem dann, wenn Arzt und Patient hier eine ähnliche Orientierung haben. Häufig bleibt es aber den Ärzten unbekannt, welche spirituelle Orientierung ihre Patienten haben, und sie trauen sich auch nicht danach zu fragen wegen ihrer Verpflichtung auf weltanschauliche Neutralität. Die meisten fühlen sich hier auch nicht kompetent. Das Aufgreifen spiritueller Bedürfnisse ist deshalb weniger ein fester Bestandteil in der medizinischen Behandlung als vielmehr ein zufälliges Ereignis.

HK: Was kommt umgekehrt zum ärztlichen Handeln hinzu, wenn eine neue Sensibilität für die spirituelle Dimension entsteht?

FRICK: Eine potenzielle Ressource in der Krankheitsverarbeitung. "Potenzielle" Ressource deshalb, weil nicht jede Sinndeutung und jede spirituelle Orientierung hilfreich sind. Diese können auch sehr konflikthaft sein. Aber beim heutigen Forschungsstand lässt sich gut begründet sagen, dass die spirituelle Dimension eine potenzielle Ressource für Lebensqualität und Krankheitsverarbeitung darstellt.

HK: Ist den heutigen Ärzten und Ärztinnen das Gespür für diese potenzielle Ressource verloren gegangen, dass es heute - eine Premiere in Deutschland - einer eigenen Professur "Spiritual Care" an einer Medizinischen Fakultät bedarf?

FRICK: Sehr schematisch gesprochen besteht seit der klassischen Epoche Griechenlands die so genannte hippokratische Trennung zwischen Religion und Medizin. Damals bestand die traditionelle Priestermedizin zwar weiter. Daneben entstand aber auch die empirische, wissenschaftliche, eben hippokratische Medizin, welche die Götter in der Präambel beibehält, ansonsten aber erstaunlich modern, säkularisiert ist. Diese hippokratische Trennung aus dem 4. vorchristlichen Jahrhundert bleibt bestehen auch in der abendländischen, jüdisch-christlich geprägten Tradition. Kirchliche Institutionen werden zwar zu Trägern beispielsweise des Hospitalwesens im Mittelalter, aber die Medizin als solche bleibt strikt von der Religion getrennt. Im Bereich der Ethik gibt es bleibende Berührungspunkte zwischen beiden. Aber auch hier kommt erst im 20. Jahrhundert im Rahmen der Bioethik die Frage nach dem Spirituellen als Ressource in den Blick, entsteht ein neues bio-psycho-sozio-spirituelles Medizinmodell.

HK: Arzt und Ärztin sind doch aber auch Menschen, die wohl meistens über irgendeine spirituelle Orientierung verfügen ...

FRICK: Wenn ein Mensch mit seiner eigenen Orientierung auf einen anderen hilfsbedürftigen Mitmenschen trifft, ist in einer mehr oder minder unausgesprochenen Weise immer der Bereich von Glaube, Religion, Spiritualität präsent. Aber er wird selten thematisiert und in Beziehung gebracht zur beruflichen Rolle des Arztes - höchstens als Gefahr einer pathologischen Religiosität zum Beispiel in der psychoanalytischen Tradition.

HK: Als was lässt sich im Kontext des herkömmlichen medizinischen Betriebs "Spiritual Care" beschreiben, als Behandlungsmethode, eine bestimmte ärztliche Haltung? Und wessen Aufgabe ist "Spiritual Care" überhaupt?

FRICK: Die Professur, die ich mir mit dem evangelischen Theologen Traugott Roser teile, hat den Auftrag zu Lehre und Forschung, ist also keine Professur für Krankenversorgung. Zu der Frage der "Leistungserbringer" für "Spiritual Care" gibt es bereits wissenschaftliche Studien. Demnach gehören dazu die Familie und die Angehörigen des Kranken ebenso wie Pflege, Medizin, Psychotherapie und die Klinikseelsorge, wobei letztere dabei nicht an erster Stelle steht. In einer Studie ist sogar von Gott selbst die Rede. Das wirkt auf den ersten Blick befremdlich und irritiert die Forscher selbst, weil sie keine Angaben über das Alter des ewigjungen uralten Gottes machen können. Grundsätzlich aber ist bemerkenswert, dass in medizinisch-naturwissenschaftlichen Studien wieder von Gott die Rede ist. Bisherige Forschungen bestätigen, dass die Integration der spirituellen Dimension in das Behandlungskonzept sinnvoll und Spiritualität im herkömmlichen medizinischen Betrieb von Bedeutung ist.

HK: Ihre Professur ist am Lehrstuhl für Palliativ-Medizin angesiedelt. Zunächst aber würde man "Spiritual Care" eher an einer der beiden theologischen Fakultäten der Münchner Universität vermuten. Gibt es keine Vorbehalte im restlichen Umfeld einer medizinischen Fakultät gegen diese vielleicht auch etwas esoterisch klingende Professur? Oder ist die Skepsis auf Seiten der Theologen noch größer?

FRICK: Es gab in der Tat im Vorfeld eine Diskussion über Namen und Profil der neuen Professur. Diese Professur ist jedoch nicht gegen jemanden eingerichtet worden und auch nicht ohne die Theologen. Es war ein kreatives Zusammenwirken zwischen der medizinischen und den beiden theologischen Fakultäten unserer Universität, und dieses Zusammenwirken ist auch charakteristisch für das Profil der Professur: Sie will eine interdisziplinäre Professur für Forschung und Entwicklung sein, es sollen hier Pflege, Medizin, Psychotherapie, Theologie sowie auch Philosophie, Soziologie und Soziale Arbeit zusammenwirken. Das Modell stammt dabei aus der Palliativ-Medizin oder besser der "Palliative Care". Diese versteht sich auch nicht nur medizinisch, sondern als Zusammenwirken verschiedener Berufsgruppen, die gemeinsame Aufgaben haben, ihre gemeinsamen Grundkompetenzen, aber auch Spezialkompetenzen. Genauso ist es bei "Spiritual Care": Es gibt eine Grundkompetenz, die alle Gesundheitsberufe im weitesten Sinn teilen, und Spezialkompetenzen: zum Beispiel die der Theologen, die die Sendung ihrer Religionsgemeinschaft in diese Aufgabe einbringen.

HK: Was heißt es nun für die Patienten selbst, wenn man ihnen beispielsweise im Klinikbetrieb mit größerer Sensibilität für die spirituelle Dimension entgegentritt?

FRICK: Dem Patienten werden ganz neue Fragen gestellt: Sind Sie im weitesten Sinn ein gläubiger, spiritueller, ein religiöser Mensch? Welchen Platz hat diese Dimension in Ihrem Leben? Sind Sie integriert in eine religiöse Gemeinschaft? Welche Rolle geben Sie mir als Arzt in diesen Fragen? Diese vier Grundfragen sind die Pfeiler einer spirituellen Anamnese, die überraschend ist für den Patienten. Er oder sie wird sich vielleicht fragen: "Warum kümmert sich der Arzt nicht nur um meine Zuckerkrankheit, meinen Knochenbruch, meinen Herzinfarkt, sondern auch um meine spirituelle oder religiöse Orientierung?". Wichtig bei dieser spirituellen Anamnese ist das Taktgefühl. Der Patient ist eingeladen, Grenzen selbst zu definieren. Er kann also auch sagen, worüber er nicht reden will. Wie auch immer er sich dabei entscheidet, dieses Vorgehen stellt schon einen Gewinn für den Patienten dar, für seine Autonomie. Im Übrigen steckt hier auch ein großer Zeitgewinn, wenn um einen wichtigen Lebensbereich und eine Grunddimension menschlichen Lebens nicht ständig herumgeredet wird, diese vielmehr in einer kurzen praxisnahen Weise angesprochen werden.

HK: Dieser Zeitgewinn wird dem einzelnen Patienten nicht genügen, wenn er sich wundert, warum er über diese Fragen überhaupt reden soll ...

FRICK: Es hat sich in Studien sehr deutlich gezeigt, dass spirituelle Fragen und Überzeugungen zur Krankheitsbewältigung beitragen können. Was sich nicht so einfach interpretieren lässt, sindForschungsergebnisse wie: Gläubige leben länger oder haben einen niedrigeren Blutdruck. Ein Kurzschluss von solchen Befunden auf die ärztliche "Verordnung" einer religiösen Praxis wäre eine unzulässige Instrumentalisierung des Spirituellen.

HK: Ist Letzteres aber nicht ein Verdacht, dem Sie als Professor für "Spiritual Care" häufig begegnen werden?

FRICK: Doch, und es gibt gerade in den USA einerseits diese unheilige Allianz zwischen Religion und Medizin - andererseits aber auch eine Fülle kritischer Literatur gegen diesen Kurzschluss, wonach der Glaube gesund macht und deshalb "verordnet" werden sollte. Wir sprechen deshalb viel vorsichtiger von einer potenziellen Ressource und dem Spirituellen als einer wichtigen Dimension des Menschseins. Auch die Weltgesundheitsorganisation WHO hat in diesem Sinn den spirituellen Bereich in ihre Definition menschlichen Gesundseins aufgenommen: Es ist das Recht des Patienten, dass dieser Bereich wahrgenommen und respektiert wird.

HK: Wie lässt sich dieser Ansatz dann aber von der fragwürdigen Instrumentalisierung abgrenzen?

FRICK: Wir bewegen uns hier zwischen zwei Extremen. Das fundamentalistische Extrem einerseits, nach dem der Glaube eingesetzt werden soll, um Patienten gesund zu machen. Und auf der anderen Seite wird aus Angst vor der Verletzung der Autonomie des Patienten und aus Angst um die Klarheit der beruflichen Autorität und Rolle das Spirituelle mit spitzen Fingern angefasst, gemieden und tabuisiert. Beide Extreme aber verletzen die Rechte des Patienten. Diese werden am ehesten gewahrt, wenn der Bereich des Spirituellen taktvoll thematisiert wird, ohne dass wir vorgeben, was im spirituellen Bereich gut oder schlecht ist. Wir interessieren uns, geben aber nichts vor.

HK: Und der Verdacht, unter dem sehr offenen Begriff "Spiritual Care" gehe es nur darum, in Leid und Krankheit quasi von außen Sinn einstiften zu wollen?

FRICK: Diese Gefahr hat Karl Jaspers schon 1953 benannt und gemahnt, dass die Sinnfrage keine ärztliche oder psychotherapeutische Aufgabe ist. Er wandte sich damit vehement gegen Viktor Frankl und überhaupt jede Psychotherapie, die sich mit Sinnfragen beschäftigt. Es geht bei "Spiritual Care" jedoch nicht um die "Transfusion" einer an den Patienten herangetragenen Sinn-Konserve, so als stünde irgendwo ein Sinnreservoir zur Verfügung, aus dem man nur verteilen müsste. Dagegen sprechen theologische und ärztlich-therapeutische Gründe: Eine therapeutische Intervention mit Verkündigung zu verwechseln heißt, die Freiheit, die das Hören des Wortes braucht, nicht zu respektieren. Aus ärztlich-therapeutischer, medizin-ethischer Sicht verletzt ein solches Vorgehen die Autonomie der Patienten. Insofern muss aus der Kritik, wie sie Karl Jaspers vorgetragen hat, gelernt werden für die Art und Weise, wie wir "Spiritual Care" in unserer europäischen Medizin implementieren.

HK: Welche Reaktion wird unter den Patienten und Patientinnen vermutlich die häufigste sein, wenn ein Arzt Fragen zu ihrer spirituellen Orientierung stellt? Müssen Sie auch mit offener Aversion oder auch Aggression rechnen?

FRICK: Natürlich gibt es hier eine große Bandbreite an Reaktionen. Ich rechne aber vor allem mit einem hohen Bedürfnis, selbstverständlich auch mit einer gewissen Verwunderung. Viele werden aber auch schlicht erleichtert sein, dass ein bisher tabuisierter Bereich nun thematisiert wird. Extreme Reaktionen, Antipathien, Reserviertheit, Ärger wird es auch geben. Diese Gefühle gehören aber zum Spirituellen dazu und müssen auch wahrgenommen werden. Nur sollten sie das Gespräch nicht unmöglich machen.

HK: Und wie reagieren die Studierenden auf die neue Professur?

FRICK: Auch hier gibt es eine große Bandbreite. Studierende im Pflichtprogramm müssen sich ja mit "Spiritual Care" beschäftigen, sie werden damit konfrontiert im Pflichtbereich Palliativ-Medizin. Manche halten das sicher für ein Orchideenfach. Aber die Studierenden lernen ja während ihres Studiums sehr viele Bereiche kennen, und sie wissen nicht in jedem Kurs, wie dessen Relevanz für ihre spätere Tätigkeit sein wird. Wir können durch Studien zur Unterrichts-Evaluation zeigen, dass es eine gewisse Nachhaltigkeit unseres Unterrichts gibt, dass es uns gelingt, diese Sensibilität wirklich zu verbessern.

HK: Die Professur für "Spiritual Care" ist am Lehrstuhl für Palliativ-Medizin angesiedelt. Ist die spirituelle Dimension demnach vor allem bei der Versorgung Sterbenskranker wiederzuentdecken?

FRICK: Auf keinen Fall ausschließlich dort. Blieben wir beschränkt auf "Palliative Care", so würden wir im säkularen Bereich Opfer des Klischees werden, wonach der Besuch des Pfarrers am Krankenbett dem Auftritt des Todesengels gleichkommt. Spirituelle Fragen finden sich im ganzen Lebenszyklus in Krisen und Phasen des Übergangs, bei chronischer Krankheit, wo Leid und Leiden zur Sprache kommt - nicht nur am Lebensende. "Spiritual Care" ist historisch und sprachlich aus "Palliative Care" entstanden und hat dort eine gewisse Akzeptanz gefunden. Daraus lässt sich jedoch nicht schließen, dass dies auch der Bereich ist, wo beispielsweise die Patienten Spirituelles oder Religiöses am ehesten akzeptieren. Patienten werden Fragen nach dem Spirituellen dann akzeptieren, wenn sie diese als hilfreich erleben.

HK: "Spiritualität" ist ein viel strapazierter Modebegriff und oft steckt hinter seinem Gebrauch die kaum kaschierte Verlegenheit, diffus Religiöses irgendwie in den Griff zu bekommen. Ist dieser Begriff nicht auch ein Problem für den Selbstverständigungsprozess innerhalb der "Spiritual Care" - unter dem skeptischen Blick von Medizinern und Theologen gleichermaßen?

FRICK: Wenn wir von einem Modebegriff sprechen, steckt da ja schon eine Wertung drin. Mich stört diese Tendenz mancher Theologen, hinabzuschauen auf Menschen verschiedenster Herkunft, die sich eben in einer spirituellen Suchbewegung befinden und dies auch so benennen. Wir dürfen uns als Kirchen und Theologen nicht abschließen gegen diese große Suchbewegung auch außerhalb der Kirchen, sondern müssen sie - wie das Josef Sudbrack Ende der neunziger Jahre in einem viel beachteten Aufsatz schrieb - als Zeichen der Zeit verstehen. Diese Spiritualität ist wie ein Boomerang. Was in der jüdisch-christlichen Welt entstanden ist, kommt, nachdem es in die Welt hineingeflogen ist, zu den Kirchen zurück, mit einer gewissen Fremdheit, ja vielleicht auch mit einer gewissen Unschärfe. Sicher verlangt der Umgang mit den spirituellen Suchbewegungen auch nach der ignatianischen "Unterscheidung der Geister" der vielen Spiritualitäten.

HK: Spirituelle Fragen am Krankenbett waren bislang auch Sache der Klinikseelsorge, die ja auch mehr ist als ein konfessionelles Bekenntnis vor Kranken. Wo liegt der Unterschied zwischen "Spiritual Care" und Klinikseelsorge?

FRICK: Die Grundkompetenz ist dieselbe oder sollte es sein. Alle, die dem Patienten begegnen, brauchen eine Sensibilität für das Spirituelle. Die Spezialkompetenzen sind verschieden. Der christliche Krankenhausseelsorger oder die Seelsorgerin kommen mit dem Schatz unserer jüdisch-christlichen Tradition. Sie kommen mit den Ritualen, den Erinnerungen an die Heilsgeschichte. Sie verkünden, was ja etwas ganz anderes ist als das Austeilen von Glaubensinformation. Der Seelsorger tut dies mit einer eigenen Authentizität, die sich von seiner kirchlichen Sendung herleitet. Das ist der große Unterschied zum Arzt, der auch authentisch sein soll, aber eben nicht authentisch durch die Sendung, den Auftrag einer Kirche. Gleichwohl werden sich künftig auch die Berufsbilder ändern - auch das Berufsbild des Krankenhaus-Seelsorgers, das sich schon in einem Prozess der Weiterentwicklung befindet, sich noch weiterentwickeln wird.

HK: Eine gewisse Konkurrenzsituation wird sich dennoch nicht vermeiden lassen...

FRICK: Wenn Theologie und Kirchen "Spiritual Care" als eine Chance aufgreifen und sich nicht defensiv, Besitzstand wahrend abgrenzen, profitieren beide und finden so auch zu ihrer spezifischen Kompetenz. Der interdisziplinäre Ansatz von "Spiritual Care" kann für alle Beteiligten zu einer Profilschärfung führen. Es geht doch nicht darum, Ärzte zu Seelsorgern zu machen und Seelsorge zum Gesundheitsberuf. Vielmehr gilt es das Proprium der Seelsorge zu schärfen, das Unverfügbare, Nichtintegrierbare in Medizin und Gesundheitswesen, das, was sich nicht in den Arzneischrank stellen lässt. Die hippokratische Trennung zwischen Religion und Medizin bleibt bestehen.

HK: Werden die Patienten unterscheiden können?

FRICK: Postsäkulare Entwicklungen machen auch vor dem Krankenhaus nicht halt. Die Menschen orientieren sich heute weniger an institutionellen Kriterien: "Ist das der Seelsorger mit dem definierten Amt und der definierten Sendung, von dem ich eine bestimmte sakramentale Dienstleistung entgegennehme?" Das ist nicht die Perspektive eines heutigen Krankenhauspatienten. Dieser sieht vielmehr einen Menschen, mit dem ein Kontakt möglich ist, der ein Gesprächsangebot macht. Entscheidend dafür, ob dieses Angebot ankommt, ist die Beziehung. Selbstverständlich müssen die Kirchen auch schauen, wie ihr Heilsauftrag in den verschiedenen Lebensbereichen und gesellschaftlichen Feldern in einer amtlich durchdachten Weise präsent ist. Das ist jedoch nicht unsere Aufgabe - wir sind medizinische Professoren. Als Theologe und Priester aber teile ich selbstverständlich das Anliegen, dass sich die Kirche nicht ängstlich abwendet von diesem Bereich, sondern mutig auf ihn zugeht.


Der Jesuit Eckhard Frick (geb. 1955), habilitierter Facharzt für Psychosomatische Medizin, Psychiater und Psychoanalytiker, wurde im Sommer 2010 als erster Professor für die neue medizinische Disziplin "Spiritual Care" am Lehrstuhl für Palliativ-Medizin der Ludwig-Maximilians-Universität in München berufen. Frick lehrt bereits als Professor für Psychosomatische Anthropologie an der Hochschule für Philosophie der Jesuiten in München. Die neue Professur teilt er sich mit dem evangelischen Theologen Traugott Roser. Wichtige Veröffentlichungen: Psychosomatische Anthropologie (2009); Spiritualität und Medizin (Hg. gem. mit Traugott Roser, 2. Auflage in Vorbereitung).


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Quelle:
Herder Korrespondenz - Monatshefte für Gesellschaft und Religion,
65. Jahrgang, Heft 3, März 2011, S. 125-129
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veröffentlicht im Schattenblick zum 10. Juni 2011