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ETHIK/1222: Vorsicht Falle - "Embryonenspende, Embryoadoption und elterliche Verantwortung" (ALfA LebensForum)


ALfA LebensForum Nr. 118 - 2. Quartal 2016
Zeitschrift der Aktion Lebensrecht für Alle e.V. (ALfA)

Vorsicht Falle

Von Stefan Rehder


"Embryonenspende, Embryoadoption und elterliche Verantwortung" - so lautet der Titel einer über weite Strecken janusköpfigen Stellungnahme, die der Deutsche Ethikrat kürzlich vorgelegt hat und die ein besonders lesenswertes Sondervotum enthält. Eine Analyse.


Wissenschaft gebe es, weil die Menschen Antworten auf Fragen suchten, die sie bedrängten, heißt es oft. Doch das ist falsch. Oder besser: zumindest nicht immer richtig. Denn wie kein anderer Wissenschaftszweig verlangt die Reproduktionsmedizin von Politik und Gesellschaft fortlaufend die Lösungen von Problemen, die diese ohne sie nie gehabt hätten. Ob es um die künstliche Befruchtung selbst oder um mit ihr im Zusammenhang stehende Fragen wie die Samen- und Eizellspende, die Selektion genetisch auffälliger Embryonen mittels Präimplantationsdiagnostik, die Forschung an sogenannten überzähligen Embryonen, das "Social Freezing" oder die Leihmutterschaft geht, ständig müssen neue gesetzliche Regelungen erarbeitet und beschlossen oder - wie im Falle des Embryonenschutzgesetzes und des Stammzellgesetzes längst geschehen - geändert und erweitert werden, um Antworten auf neue Fragen geben zu können, die ohne diesen Wissenschaftszweig nie jemand gestellt hätte.

Eine weitere wurde virulent, als in Deutschland vor ein paar Jahren das "Netzwerk Embryonenspende" damit begann, Frauen, "die selbst mit den Mitteln der hochentwickelten Fortpflanzungsmedizin keine eigenen Kinder bekommen können", seine "Hilfe" anzubieten. Der eingetragene Verein mit Sitz in Dillingen fördert die Vermittlung von "zur Spende freigegebenen befruchteten Eizellen beziehungsweise Embryonen an ungewollt kinderlose Paare, die medizinisch und biologisch nicht in der Lage sind, auf natürliche oder reproduktionsmedizinische Art Kinder zu zeugen", wie es auf der Webseite des Vereins heißt. 57 Embryonenspenden, die zu 15 Schwangerschaften führten, die in sieben Geburten von insgesamt neun Kindern mündeten, sollen auf diese Weise zustande gekommen sein.

Möglich ist das, weil zwar in Deutschland die Eizellspende und die Leihmutterschaft ausdrücklich verboten ist, die Embryonenspende und -adoption aber bislang ungeregelt geblieben ist und weder durch das Embryonenschutzgesetz noch durch andere Gesetze untersagt wird. Es existiert also eine rechtliche Grauzone. Weil aber das nach Ansicht des Deutschen Ethikrats unmöglich so bleiben kann, hat das 26-köpfige Gremium, das Bundesregierung und Bundestag in bioethischen Fragen berät, Ende März eine Stellungnahme in Berlin Vorgestellt, in der die Ethikräte ihre Empfehlungen für eine gesetzliche Regelung von Embryonenspende und -adoption niedergelegt haben.

"Bei der Embryonenspende gibt es eine rechtliche Grauzone"

Wie der Ethikrat in seiner Stellungnahme betont, verbiete zwar das Embryonenschutzgesetz die gezielte Herstellung von Embryonen zum Zweck einer "Spende". Möglich sei sie jedoch dann, wenn ein Embryo im Rahmen einer künstlichen Befruchtung bereits erzeugt wurde, anschließend aber - etwa wegen Krankheit, Tod oder Trennung des die künstliche Befruchtung in Auftrag gebenden Paares - nicht mehr auf die biologische Mutter übertragen werden kann. Nach Ansicht des Gremiums handelt es sich in solchen oder vergleichbaren Fällen um eine Güterabwägung, bei der die Chance, dem Embryo die Möglichkeit zum Weiterleben einräumen zu können, schwerer wiege als das Ziel des Gesetzgebers, eine Aufspaltung der Elternschaft in biologische und soziale Eltern aus Gründen des Kindeswohls zu vermeiden.

Laut der Auffassung des Ethikrats müssten die Abgabe und Übernahme der Elternrechte und -pflichten gesetzlich klar und dauerhaft geregelt werden. Willigten beide "Spenderelternteile" ein, einen Embryo für den Transfer auf eine andere Frau freizugeben, damit das Empfängerpaar die elterliche Verantwortung auf Dauer übernehmen kann, sollte umgekehrt das Spenderpaar im Falle des Embryotransfers auch keine Elternrechte und -pflichten mehr haben. Entsprechend sollte dem Empfängerpaar mit dem Zeitpunkt des Embryotransfers die rechtliche Elternschaft übertragen werden. Die abgebenden Eltern sollten nur Sogenannte "überzählige" Embryonen spenden dürfen, das heißt solche, die für die fortpflanzungsmedizinische Behandlung des Paares, für das sie erzeugt wurden, endgültig nicht mehr verwendet werden. Angesichts der besonderen Herausforderungen für alle Beteiligten sollten sowohl bei den Spender- als auch bei den Empfängereltern eine Aufklärung und Beratung erfolgen, die medizinische, rechtliche und psychosoziale Aspekte der Embryospende und Embryoadoption umfassten. Dabei sei auch das Recht des Kindes auf Kenntnis der Abstammung zu berücksichtigen.

"Kriterien sind am Wohl des Kindes auszurichten"

Nach Ansicht des Ethikrats sollte eine zentrale Einrichtung damit betraut werden, die Zuordnung von Spender- und Wunscheltern nach ausgewiesenen Kriterien vorzunehmen und zu dokumentieren. Die Kriterien seien am Wohl des Kindes auszurichten. Zudem sollte die Einrichtung die Zahl der freigegebenen Embryonen, die Zahl der Embryotransfers und der transferierten Embryonen sowie die Zahl der Schwangerschaften und Geburten dokumentieren. Zu diesem Zweck soll die Einrichtung mit dem Deutschen IVF-Register zusammenarbeiten.

Um das Recht des Kindes "auf Kenntnis seiner Abstammung" zu gewährleisten, schlägt der Ethikrat die Einrichtung einer zentralen Dokumentationsstelle vor, bei der jeder ab Vollendung des 16. Lebensjahres das Recht habe, eine Auskunft darüber zu erhalten, "ob und welche Informationen zu seiner genetischen Herkunft vorhanden sind". Eine Begründung dafür sei nicht erforderlich. Das Recht des Kindes erstrecke sich, so der Ethikrat, sowohl auf die Kenntnis der genetischen Mutter als auch des genetischen Vaters und bestünde unabhängig von einer Anfechtung der Vaterschaft.

Weiter heißt es in den Empfehlungen: "Jede Einrichtung, die eine fortpflanzungsmedizinische Behandlung unter Verwendung einer Embryospende Vornimmt, sollte verpflichtet werden, der zentralen Dokumentationsstelle die Identität der Personen, von denen die Keimzellen für die Zeugung des gespendeten Embryos stammen, und der Empfängereltern mit allen für ihre spätere Identifikation erforderlichen Angaben sowie nach der Geburt die Geburtsurkunde des aus der Embryonenspende hervorgegangenen Kindes zu übermitteln."

Ferner empfiehlt der Ethikrat, die Auslegung der für die Praxis der Fortpflanzungsmedizin und die Entstehung sogenannter überzähliger Embryonen bedeutsamen "Dreierregel" des Embryonenschutzgesetzes gesetzlich klarzustellen.

14 Mitglieder des Deutschen Ethikrates empfehlen diese Klarstellung im Sinne einer "strikten Auslegung", zwölf Ratsmitglieder im Sinne einer "erweiterten Auslegung".

"Mehrheit des Rates für strickte Auslegung der 'Dreierreglung'"

Ursprünglich war das Embryonenschutzgesetz so interpretiert worden, dass innerhalb eines Zyklus nur maximal drei Embryonen hergestellt werden durften. Zahlreiche Mediziner interpretieren diese sogenannte "Dreierregel" aber inzwischen weit weniger strikt und erzeugen deutlich mehr als drei Embryonen. Damit entsteht natürlich auch eine größere Zahl überzähliger Embryonen, die möglicherweise später vernichtet werden.

Besonders pikant ist dabei: Ausgerechnet die Kieler Jura-Professorin Monika Frommel, die diesen Weg durch ihre heftig umstrittene Interpretation des Embryonenschutzgesetzes überhaupt erst eröffnet und dann öffentlich beworben hat, ist zugleich Vorsitzende des Vereins "Netzwerk Embryonenspende".

Bemerkenswert ist auch das Sondervotum der drei aus dem Bereich der Katholischen Kirche stammenden Ethikratsmitglieder, die darin vor einer Ausweitung der Embryonenspende warnen. Sie könne eine schwere Hypothek für die Identität des Kindes bedeuten, schreiben der Augsburger Weihbischof Anton Losinger, der Freiburger Moraltheologe Eberhard Schockenhoff und der in Vallendar lehrende Ethiker Thomas Heinemann. Embryonenadoption sei nur als "Notmaßnahme" gerechtfertigt, da sie Embryonen vor der Vernichtung bewahre. Es müsse aber zuerst alles getan werden, um das Entstehen überzähliger Embryonen zu verhindern.

So heißt es in dem Sondervotum: "Auch das Argument der Lebensrettung wird inkonsistent und unglaubwürdig, wenn nicht zugleich wirksame Vorkehrungen dagegen getroffen werden, dass ständig neue rettungsbedürftige Embryonen entstehen, die von anderen Kinderwunsch-Behandlungszyklen her übrig bleiben. Ohne solche Vorkehrungen kann sich das System der Reproduktionsmedizin zu einem tendenziell unbegrenzten Geschäftsmodell entwickeln, das in der Lage ist, den zu seiner Ausweitung erforderlichen Nachschub an verfügbaren 'überzähligen' Embryonen jederzeit zu liefern."

Das Sondervotum hebt zudem hervor, dass eine "unregulierte Ausweitung" der Embryonenspende und -adoption "wegen des Phänomens der gespaltenen Elternschaft nicht wünschenswert" sei. Wörtlich heißt es: "Die Möglichkeiten der modernen Reproduktionsmedizin ließen es theoretisch zu, dass ein Kind bis zu fünf Eltern (einen biologischen Vater als Samenspender, eine biologische Mutter als Eizellspenderin, eine Leihmutter, die es austrägt, sowie den sozialen Vater und die soziale Mutter als Empfängereltern) hätte. Wegen zu erwartenden Belastungen für das künftige Kind können derartige multiple Elternverhältnisse nur in Notfällen in Kauf genommen werden, wenn sie in einer Güterabwägung durch die Möglichkeit, einen Embryo vor dem Absterben zu bewahren, gerechtfertigt sind."

"Frage der Leihmutterschaft würde neu befeuert"

Auch wenn ein Embryo niemals abstirbt, weil er weder ein Bakterium noch irgendein Zellverband ist, sondern stirbt, so berühren die Repräsentanten der Katholischen Kirche in ihrem Sondervotum doch die entscheidenden Punkte und machen somit deutlich: Wer glaubt, man könne die Stellungnahme des Ethikrats unkritisch bejubeln, weil der Gesetzgeber, wenn er sie umsetze, menschliches Leben rette, ignoriert den Sprengstoff, den die Problematik bereithält. Denn die Embryonenadoption ist vor allem für homosexuelle Paare von hohem Interesse, da diese sich auf natürlichem Wege gegenseitig nicht zu Eltern machen können.

Soweit es sich dabei um lesbische Paare handelt, mag die Frage der in Deutschland noch verbotenen Leihmutterschaft nicht Virulent werden. Handelt es sich aber um schwule Paare, wird auch diese Frage neu befeuert werden.


IM PORTRAIT

Stefan Rehder, M.A.
Der Autor, geboren 1967, ist "Chef vom Dienst" der überregionalen, katholischen Tageszeitung "Die Tagespost", Redaktionsleiter von "LebensForum" und Leiter der Rehder Medienagentur. Er studierte Geschichte, Germanistik und Philosophie an den Universitäten Köln und München und hat mehrere bioethische Bücher verfasst, darunter "Grauzone Hirntod. Organspende verantworten" und "Die Todesengel. Euthanasie auf dem Vormarsch." Sankt Ulrich Verlag, Augsburg 2010 bzw. 2009. Stefan Rehder ist verheiratet und Vater von drei Kindern.

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Quelle:
LEBENSFORUM Ausgabe Nr. 118, 2. Quartal 2016, S. 7 - 9
Zeitschrift der Aktion Lebensrecht für Alle e.V. (ALfA)
Herausgeber: Aktion Lebensrecht für Alle e.V.
Bundesvorsitzende Dr. med. Claudia Kaminsky (V.i.S.d.P.)
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veröffentlicht im Schattenblick zum 2. September 2016

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