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ETHIK/1267: Klonen muss sich lohnen (ALfA LebensForum)


ALfA LebensForum Nr. 125 - 1. Quartal 2018
Zeitschrift der Aktion Lebensrecht für Alle e.V. (ALfA)

Klonen muss sich lohnen

Von Stefan Rehder


Kürzlich haben chinesische Forscher erstmals erfolgreich Primaten geklont: Mit einer Modifikation der Methode, mit der vor mehr als 20 Jahren auch das Klonschaf »Dolly« erschaffen wurde. Die Herstellung der beiden Langschwanzmakaken - made in China - wirft erneut die Frage auf, wie nahe das Klonen von Menschen gerückt ist und was davon zu halten wäre.


In seinem 2010 von Mark Romanek verfilmten, meisterhaft erzählten Roman »Alles, was wir geben mussten« (engl. Original: »Never let me go«, 2005), schildert Literaturnobelpreisträger Kazuo Ishiguro das Leben und Sterben menschlicher Klone; genetischer Kopien, die einzig und allein erzeugt wurden, um ihren genetischen Originalen als Organspender zu dienen. Was viele Kritiker - neben der Schönheit der Sprache - damals ebenso faszinierte wie schockierte, war die Sanftheit, mit der Ishiguro diese Geschichte entfaltet, wodurch deren immense, nur schwer zu ertragende Brutalität umso stärker hervortritt. So verzichtete Ishiguro etwa darauf, Labors und Operationssäle zu beschreiben. Keine um Forschungsgelder buhlende Wissenschaftler, keine Sensationsreporter und schon gar keine Ethikdebatten in Politik und Gesellschaft stören den Frieden des britischen Internats Hailsham, in dem die Klone Schritt für Schritt auf ihr späteres Leben als Spender vorbereitet werden. Dass Menschen als Ersatzteillager für andere erzeugt werden und nur so lange leben, bis sie mit ihrer dritten oder vierten Spende »abschließen«, ist in dieser Gesellschaft, die sich ansonsten von der unsrigen kaum unterscheidet, eben längst Konsens.

Dass Forscher der chinesischen Akademie der Wissenschaften in Shanghai unter der Leitung von Qiang Sun, denen es kürzlich gelang, zwei Langschwanzmakaken zu klonen, die Menschheit einer solchen Gesellschaft entscheidend nähergebracht haben, ist derzeit zwar eher unwahrscheinlich. Ausschließen lässt es sich aber nicht. »Das Hindernis zum Klonen von Primaten-Spezies ist überwunden«, zitiert das Magazin »Time« Muming Poo, den Co-Autor der Studie, die die Fachzeitschrift »Cell« in ihrer aktuellen Ausgabe publizierte. Der »Wurf« der Affenklone zeige, dass im Prinzip auch Menschen geklont werden könnten. Allerdings beabsichtige sein Team nicht, dies zu tun. Die meisten Wissenschaftler lehnten das Klonen von Menschen ab und die Gesellschaft ächte es - aus ethischen Gründen, so Poo weiter.

So weit, so gut. Nur beruhigen kann das nicht. Zumal nicht in einer Welt, in der, wie in China, zum Tode verurteilten Häftlingen vor der Hinrichtung Organe entnommen und an zahlungskräftige Empfänger im Ausland verkauft werden. Noch dazu in einem Umfang, der ein solches Ausmaß an Logistik erfordert, dass sich der Verdacht, Hinrichtungen und Organtransplantationen könnten im Reich der Mitte gar synchronisiert werden, geradezu von selbst aufdrängt. Kein Ausdruck ethischer Reife sind auch die Experimente chinesischer, britischer und zuletzt auch US-amerikanischer Forscher, die mit den erst vor vier Jahren in Bakterien entdeckten CRISPR/Cas9-Genscheren in der Keimbahn menschlicher Embryonen herumstochern. Und dass nicht zuletzt deswegen hierzulande Forscher im vergangenen Jahr einen neuen Versuch starteten, das deutsche Embryonenschutzgesetz zu schreddern und durch ein Fortpflanzungsmedizingesetz zu ersetzen, das ihnen die menschliche Embryonen verbrauchende Forschung endlich gestatten soll, ist auch keine Maßnahme, die das Vertrauen stärken könnte, Wissenschaftler nähmen es mit der Ethik schon von allein genau genug.

Wenn es etwas gibt, das Einrichtungen wie Hailsham weiterhin auf das Reich des Fiktionalen beschränkt, so sind es die Ergebnisse, die die Chinesen vorgelegt haben. Wie die Forscher in »Cell« schreiben, hätten sie bei ihren Versuchen eine leicht modifizierte Form der Technik verwendet, mit der Forscher um den Schotten Ian Wilmut 1996 am Roslin- Institute bei Edinburgh das Klonschaf Dolly erschufen.

Bei der Methode des sogenannten somatischen Zellkerntransfers wird der aus einer Körperzelle isolierte Zellkern eines Spendertiers im Labor in das Zytoplasma einer zuvor entkernten Eizelle derselben Spezies übertragen. Der Transfer erfolgt dabei in der Regel mittels einer Elektrofusion, bei der die Membranen des Zellkerns und der entkernten Eizelle für kurze Zeit außer Funktion gesetzt werden. Dies ermöglicht ein Zusammenfließen der Zytoplasmen und das Einwandern des Kerns in die entkernte Eizelle. »Glückt« der Transfer, kann sich aus der so manipulierten Zelle nach einer erfolgreichen Übertragung in den Uterus eines Leihmuttertiers ein vollständiges Lebewesen entwickeln. Da dieses Lebewesen zu 99,9 Prozent die gleichen Erbinformationen besitzt wie das Lebewesen, von dem der Zellkern stammt, spricht man von einemi Klon. Das Besondere an Dolly war, dass der Zellkern, den die Forscher um Ian Wilmut damals für den Transfer verwandten, einer bereits differenzierten Körperzelle entstammte. Dies war bis dahin von den meisten Klonforschern für unmöglich gehalten worden.

Allerdings war die Methode extrem ineffizient. Für Dolly stellten die Forscher um Wilmut mittels des somatischen Zellkerntransfers 277 Embryonen her. Nur 29 von ihnen entwickelten sich so erfolgreich bis zum sogenannten Blastozystenstadium, dass sie in die Uteri von 13 Leihmutterschafen transferiert werden konnten. Von diesen wiederum wurde nur eines trächtig und warf schließlich Dolly.

Verglichen damit können die Forscher um Sun rund zwei Jahrzehnte später zwar deutliche Fortschritte auf dem Gebiet der Effizienz vermelden, technisch gesehen bleibt das Klonen von Menschen dennoch vorerst eine Utopie. Wie die Forscher in ihrer Publikation schreiben, hätten sie bei ihren Versuchen mittels des von ihnen modifizierten somatischen Kerntransfers insgesamt 301 Klonembryos erzeugt. 260 von ihnen seien anschließend auf 63 Leihmutteraffen transferiert worden. Dabei sei es zu 28 Schwangerschaften und vier Geburten gekommen. Zwei der vier Affen seien jedoch kurz nach der Geburt gestorben. Ein auf der Website der Fachzeitschrift veröffentlichtes Video zeigt angeblich die beiden Überlebenden beim Spielen.

Technisch noch eindrucksvoller sieht das Ganze aus, wenn man zwischen den unterschiedlichen Spenderzellen unterscheidet, mit denen die Forscher experimentierten. In 290 Fällen isolierte das Team um Sun die Zellkerne aus den Körperzellen erwachsener Affen. Mit Hilfe des somatischen Zellkerntransfers klonierten sie 192 Embryonen, von denen sie 181 anschließend in die Uteri von 42 Leihmutteraffen transferierten. Diese führten in 22 Fällen zu Schwangerschaften, bei denen zwei Affen geboren wurden. Beide Primaten-Klone verstarben jedoch kurz nach der Geburt - einer bereits nach nur drei, der andere nach 30 Stunden.

Erfolgreicher waren Sun und seine Kollegen mit den Zellkernen, die sie aus den Fetalzellen abgetriebener Affenembryos gewonnen hatten. Mit den aus ihnen isolierten Zellkernen gelang es ihnen in 109 von 127 Fällen, je einen Klonembryo herzustellen. 79 von diesen übertrugen die Forscher erfolgreich auf 21 Leihmutteraffen, von den sechs wiederum tatsächlich schwanger wurden. Dabei kam es zu den Geburten eben jener beider Affen, die sich dem äußeren Anschein nach normal zu entwickeln scheinen und denen die Forscher mit Zhong Zhong und Hua Hua Namen gaben, deren Vor- und Nachnamen zusammengesetzt (Zhonghua) jeweils das Wort »China« ergeben.

Da es derzeit kein sinnvoll erscheinendes Szenario gibt, das eine Nachfrage nach der Klonierung abgetriebener Primaten (einschließlich des Menschen) ankurbeln könnte, muss das, was die Forscher der chinesischen Akademie der Wissenschaften hier vorexerzierten, in erster Linie als biotechnologische Machtdemonstration verstanden werden. Eine, mit der den Investoren aller Herren Länder wohl bedeutet werden soll: »Seht her, was wir inzwischen können!«

Nun werden andere Forscherteams die Experimente der Chinesen wiederholen und deren Ergebnisse zu reproduzieren und, wenn möglich, zu verbessern suchen. Auch im Erfolgsfalle wären die Einschläge von Menschen noch weit genug entfernt. Doch was, wenn die Experimente als nächstes an Menschenaffen durchgeführt würden?

Auch lässt sich keineswegs ausschließen, dass in Zukunft Kombinationen von Technologien wie dem somatischen Zellkerntransfer und dem Genom- Editing mittels CRISPR/Cas9 einmal andere Szenarien in greifbare Ferne rücken lassen werden. An einem Markt dafür - sofern ist bereits heute klar - wird es dann nicht mangeln. Wie Ian Wilmut in seinem Buch »Dolly« (engl. Originaltitel: »The Second Creation« - »Die zweite Schöpfung«) erzählt, hätten sich nach der Bekanntgabe von Dollys Geburt viele Menschen beim Roslin-Institut gemeldet, die sich entweder selbst klonen lassen wollten oder die Forscher baten, »Verstorbene zu rekonstruieren«. Dass Einrichtungen wie Hailsham auch dann noch ausschließlich im Reich der Fiktion angesiedelt werden können, wäre dann zwar zu hoffen. Wetten wollen werden darauf aber wohl nur noch unverwüstliche Romantiker.

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Quelle:
LEBENSFORUM Ausgabe Nr. 125, 1. Quartal 2018, S. 20 - 21
Zeitschrift der Aktion Lebensrecht für Alle e.V. (ALfA)
Herausgeber: Aktion Lebensrecht für Alle e.V.
Bundesvorsitzende Alexandra Maria Linder M.A. (V.i.S.d.P.)
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veröffentlicht im Schattenblick zum 12. Oktober 2018

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