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FORSCHUNG/2391: Frieren für die schlanke Linie (einblick - DKFZ)


"einblick" - die Zeitschrift des Deutschen Krebsforschungszentrums (DKFZ), Ausgabe 3/2010

Frieren für die schlanke Linie

Von Laura Brockschmidt


Braune Fettzellen erzeugen Wärme und steigern dadurch den Energieverbrauch des Körpers. Forscher am Deutschen Krebsforschungszentrum haben kürzlich ein Molekül entdeckt, das diesen Prozess steuert. Möglicherweise lässt sich darüber das Körpergewicht regeln - und damit sowohl Über- als auch Untergewichtigen helfen.


Der Siebenschläfer macht seinem Namen alle Ehre. Sobald die Tage kürzer werden, verkriecht er sich und verschläft die sieben kältesten Monate. Seine Körpertemperatur kühlt in dieser Zeit auf wenige Grad Celsius herunter. Um nicht zu erfrieren und um nach der langen Ruhephase schnell wieder auf Touren zu kommen, hat der Nager, wie andere Winterschläfer auch, ein großes Depot an braunen Fettzellen im Körper. Das Besondere an diesen Zellen: Sie wandeln Fett in Wärme um.

Bekannter als das braune Fettgewebe - und im Allgemeinen wenig beliebt - ist das weiße Fettgewebe, dessen Hauptfunktion darin besteht, Energie zu speichern. Früher unentbehrlich, um als Notfallreserve in mageren Zeiten herzuhalten, macht es heute zahlreiche Menschen krankhaft dick (siehe einblick 2/2010, S. 22). Zusätzlich funktioniert weißes Fettgewebe als Polster an druckempfindlichen Körperstellen, etwa hinter dem Augapfel und an den Fußsohlen. Braunes Fettgewebe hingegen befindet sich eher im Brust- und Nackenbereich. Es wird bereits im Mutterleib gebildet.


Natürliches Heizaggregat

Bislang dachten Forscher, dass nur Winterschläfer und neugeborene Säugetiere - darunter der Mensch - braune Fettzellen besitzen. Gerade für Babys ist das natürliche Heizaggregat lebensnotwendig: Im Vergleich zu ihrem Körpervolumen haben sie eine große Oberfläche, kühlen deshalb schnell aus und können ihren Körper zudem noch nicht durch Zittern warm halten.

Im vergangenen Jahr fanden holländische Wissenschaftler um Wouter van Marken Lichtenbelt von der Universität Maastricht aber heraus, dass auch erwachsene Menschen braune Fettzellen besitzen. Offenbar können diese Fettzellen auch noch lange nach der Geburt neu gebildet werden. In ihrer Studie untersuchten die holländischen Wissenschaftler 24 gesunde Männer, darunter sowohl schlanke als auch übergewichtige. Mithilfe von verschiedenen bildgebenden Verfahren, etwa der Computertomographie, fanden die Forscher heraus, dass braune Fettzellen bei einer Zimmertemperatur von 16 Grad Celsius aktiver sind - also mehr Wärme produzieren - als bei 22 Grad. Zusätzlich zeigte sich, dass die braunen Fettzellen bei Übergewichtigen nicht so effizient arbeiten wie bei Schlanken. Ob das Übergewicht aber Ursache oder Folge davon ist, dass die braunen Fettzellen nicht mehr so gut funktionieren, konnten die Wissenschaftler nicht klären.

Was bedeuten diese Studienergebnisse für übergewichtige Menschen? Sinkt das Körpergewicht, wenn man die Heizung ausmacht? Dr. Stephan Herzig, der am Krebsforschungszentrum die Abteilung "Molekulare Stoffwechselkontrolle" leitet, findet den Gedanken gar nicht so abwegig. "Im Prinzip funktioniert das, allerdings müsste man die Lebensumstände entsprechend anpassen." Das heißt: Man müsste den Körper allmählich an die kühlere Umgebung gewöhnen. Sich einfach in die Kälte zu setzen, ist kontraproduktiv, weil dadurch die Gefahr von Unterkühlung und Infektionskrankheiten steigt. Wer sich andererseits in der kalten Wohnung mit Pulli und dickem Schal wärmt, wird seine braunen Fettzellen nicht dazu bringen, zusätzliche Wärme zu produzieren. Herzig weist auch darauf hin, dass Menschen unterschiedlich auf Kälte reagieren: "Frauen mobilisieren ihre braunen Fettzellen besser als Männer, Schlanke besser als Übergewichtige und Junge besser als Alte."

Kürzlich hat Stephan Herzig gemeinsam mit Kollegen aus München, Marburg, Frankfurt und Lausanne einen Signalweg entdeckt, der die Neubildung von braunen Fettzellen steuert. Die Forscher hielten Mäuse bei niedrigen Temperaturen und beobachteten, dass sich in dem weißen Fettgewebe der Nagetiere kleine Nester aus braunen Fettzellen bildeten. Auch nahmen die Mäuse trotz kalorienreicher Ernährung nicht zu - ganz im Gegensatz zu Mäusen, die in warmer Umgebung lebten.

Bei späteren Untersuchungen stellten Herzig und seine Kollegen fest, dass ein bestimmter Eiweißstoff, das so genannte Cox-2, im weißen Fettgewebe der kältegewohnten Mäuse vermehrt vorkam. Cox-2 wirkt an der Entstehung von speziellen Entzündungshormonen mit, den Prostaglandinen. Die Prostaglandine wiederum sorgen über mehrere Zwischenschritte dafür, dass aus Fett-Vorläuferzellen nicht etwa weiße, sondern braune Fettzellen werden.


Kraftwerke der Zelle

Gewöhnliche Körperzellen gewinnen ihre Energie mit Hilfe bakteriengroßer Zellbestandteile, den Mitochondrien. Die Mitochondrien verbrennen verschiedene Nährstoffe, wobei Energie frei wird, die die Zelle für den Stoffwechsel nutzen kann. Mitochondrien werden deshalb auch "Kraftwerke der Zelle" genannt. In braunen Fettzellen sind sie besonders zahlreich und geben den Zellen ihre charakteristische Färbung. Normalerweise speichern Mitochondrien die Energie, die bei der Nährstoffverbrennung frei wird, in einer organischen Verbindung - dem so genannten ATP (Adenosin-5'-triphosphat). Das ATP dient der Zelle als eine Art universeller Brennstoff, den sie bei Bedarf einsetzen kann. In braunem Fettgewebe jedoch erzeugen die Mitochondrien kein ATP, sondern fast ausschließlich Wärme. Das ist der Grund, warum braune Fettzellen als "Heizaggregate" so wirksam sind.

Stephan Herzig möchte nun herausfinden, ob sich diese Erkenntnisse auf den Menschen übertragen lassen. Falls der Eiweißstoff Cox-2 auch im Menschen bewirkt, dass vermehrt braunes Fettgewebe entsteht, würde das den Energieumsatz steigern - und die Pfunde purzeln lassen. Herzigs Plan: "Wir versuchen, Vorläuferzellen aus weißem Fettgewebe von übergewichtigen Menschen zu gewinnen und diese Zellen mit Prostaglandinen oder ähnlichen Signalmolekülen zu behandeln. Entwickeln sich aus ihnen dann braune Fettzellen, könnten wir sie dem Patienten möglicherweise wieder zurück implantieren - vorausgesetzt allerdings, die Methode hat sich vorher im Tierversuch bewährt." Die Forscher rechnen damit, dass nur etwa 50 Gramm braunes Fettgewebe ausreichen, um den Energieumsatz eines Menschen um 20 Prozent zu steigern. Bei ihren künftigen Forschungen zwischen Klinik und Labor wird Herzigs Abteilung sicher davon profitieren, dass sie sich demnächst zu einer großen Brückenabteilung wandelt, gemeinsam eingerichtet vom Universitätsklinikum, vom Zentrum für Molekulare Biologie der Universität Heidelberg und vom DKFZ.

Herzigs Forschungsergebnisse sind nicht nur für Übergewichtige verheißungsvoll. Auch Tumorpatienten, die an krankhafter Auszehrung (Kachexie) leiden, können davon profitieren. Menschen mit dieser Erkrankung verlieren rasant an Körperfett und Muskelmasse, obwohl sie normal essen und sich bewegen (siehe einblick 3/2008, S. 28). Je nach Krebsart magern zehn bis achtzig Prozent der Tumorpatienten gefährlich stark ab. Schuld daran ist ein Ungleichgewicht im Stoffwechsel der Patienten, ausgelöst durch den Tumor. Forscher konnten inzwischen nachweisen, dass der Eiweißstoff Cox-2 im Körper von Tumorpatienten vermehrt vorkommt, sowohl im Tumor selbst als auch in anderen Geweben. Herzig vermutet, dass die hohe Cox-2-Konzentration dazu führt, dass Krebskranke mehr braune Fettzellen bilden als gesunde Menschen. Das würde zumindest zum Teil erklären, warum die Tumorpatienten so stark abnehmen. Es ist daher ein erfolgversprechender Ansatz, die Tumorkachexie mit Medikamenten zu behandeln, die Cox-2 hemmen.

Auch gängige Schmerzmittel wie Aspirin und Ibuprofen wirken, indem sie Cox-2 stilllegen und somit verhindern, dass Entzündungshormone entstehen. Müssen Menschen, die diese Schmerzmittel nehmen, deshalb mit zusätzlichen Pfunden rechnen? Stephan Herzig beruhigt: "Bislang haben wir keine Hinweise darauf, dass diese Medikamente zu einer Gewichtszunahme führen - es spricht also von dieser Seite aus nichts dagegen, sie zur Schmerzlinderung einzusetzen."


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Bildunterschriften der im Schattenblick nicht veröffentlichten Abbildungen der Originalpublikation:

Abb. S. 19:
Ein Siebenschläfer im Winterschlaf. Das braune Fettgewebe schützt die Tiere in dieser Zeit vor dem Erfrieren.

Abb. S. 20:
Braune Fettzellen inmitten von weißem Fettgewebe. Schon fünfzig Gramm braunes Fettgewebe könnten reichen, um den Energieumsatz eines Menschen um ein Fünftel zu steigern.

Abb. S. 21:
Verteilung von braunem Fettgewebe (schwarz) im Körper einer jungen Frau. Das Bild wurde mithilfe der Positronen-Emissions-Tomografie (PET) erzeugt.


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Quelle:
"einblick" - die Zeitschrift des Deutschen Krebsforschungszentrums (DKFZ)
Ausgabe 3/2010, Seite 19 - 21
Herausgeber: Deutsches Krebsforschungszentrum in der Helmholtz-Gemeinschaft
Abteilung für Presse- und Öffentlichkeitsarbeit
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E-Mail: einblick@dkfz.de
Internet: www.dkfz.de/einblick

"einblick" erscheint drei- bis viermal pro Jahr
und kann kostenlos abonniert werden


veröffentlicht im Schattenblick zum 23. März 2011