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FORSCHUNG/2873: Knochengerüst mit Ecken und Kanten - Züchtung von Knochengewebe (MaxPlanckForschung)


MaxPlanckForschung - 4.2012
Das Wissenschaftsmagazin der Max-Planck-Gesellschaft

Knochengerüst mit Ecken und Kanten

von Klaus Wilhelm



Von künstlichem Knochen würden Patienten mit Osteoporose ebenso profitieren wie solche mit schweren Verletzungen oder Knochenkrebs. Unter welchen Bedingungen sich Knochengewebe optimal züchten lässt, erforschen Peter Fratzl, John Dunlop und Wolfgang Wagermaier am Max-Planck-Institut für Kolloid- und Grenzflächenforschung in Potsdam-Golm.


Knochen stehen für Härte und Stabilität, dennoch herrscht ständig Bewegung in ihnen - zumindest biologisch. Bei ihren mechanischen Eigenschaften denkt man vielleicht eher an einen leblosen, robusten, simpel aufgebauten Werkstoff. Doch Knochen sind unfassbar komplex und viel dynamischer als alle künstlichen Materialien, die Ingenieure ersonnen haben. "Das ist eine echte Herausforderung für einen Materialwissenschaftler, aber das reizt uns ja auch", meint Peter Fratzl, Direktor am Max-Planck-Institut für Kolloid- und Grenzflächenforschung im brandenburgischen Potsdam-Golm.

"Wir wollen sehr genau wissen, was im Knochen vor allem bei der Heilung nach einem Bruch abläuft", erklärt der gebürtige Wiener. Das vielfältige Interesse lässt sich schon daran ermessen, dass sich mit den knöchernen Details in der Abteilung "Biomaterialien" des Golmer Max-Planck-Instituts eine bunte Mannschaft aus Physikern, Biologen, Chemikern, Materialwissenschaftlern, Mathematikern und Informatikern beschäftigt.

Das Team verfolgt mit seinen grundlegenden Studien das praktische Ziel, "dass unser Wissen von Ärzten mittel- bis langfristig für die Patienten angewendet wird". Fratzl denkt an Leute mit Knochendefekten, die eine bestimmte Größe überschreiten und die Selbstheilungskräfte des Knochens überfordern - etwa nach schweren Verletzungen, bei Knochenkrebs oder bei chronischen Erkrankungen wie Osteoporose.


Tissue Engineering erfüllt die Hoffnungen noch nicht

Stichwort Osteoporose (siehe Kasten unten "DICHTER KNOCHEN IST NICHT IMMER GUT"): Der Wissenschaftler berichtet von vielen älteren Menschen mit Oberschenkelhalsbrüchen, deren Knochen nur noch sehr langsam heilen. Was Folgeprobleme hervorruft: zum Beispiel lange Liegezeiten mit der Gefahr, dass sich chronisch offene Wunden entwickeln. So kann ein Oberschenkelhalsbruch, der vielleicht harmlos erscheint, letztlich tödlich enden. "Dass wir diesen Patienten vielleicht eines Tages helfen können, das motiviert uns reichlich." Und die Kooperationspartner der Golmer ebenso, vor allem Experten des Julius Wolff Instituts der Charité - Universitätsmedizin Berlin.

Erste Ergebnisse haben Peter Fratzl und seine Mitarbeiter bereits erzielt. So haben sie herausgefunden, dass Zellen Sagenhaftes können: die Krümmung einer Oberfläche ertasten, die viel größer ist als sie selbst. Und dass allein die Geometrie von Oberflächen das Wachstum knochenbildender Zellen entscheidend beschleunigen kann.

Derlei Erkenntnisse können dazu beitragen, die Züchtung von Knochen im Sinne des Tissue Engineering zu optimieren - mit diesem plakativen Schlagwort wurde in den 1990er-Jahren einer der großen Hoffnungsträger der modernen Medizin benannt. Das Versprechen war seinerzeit groß: Beliebiges Gewebe werde man in spätestens zwanzig Jahren im Labor aus einzelnen Zellen züchten können. Es schien idealer Ersatzstoff für Gewebe, das im Zuge verschiedener Erkrankungen verloren geht - zum Beispiel Herzgewebe für Patienten nach einem Herzinfarkt oder eben Knochengewebe für Leute mit Osteoporose bei schwer heilbaren Brüchen.

Die Erforschung von Stammzellen aus Embryonen oder aus Geweben von Erwachsenen befeuerte die Vision zusätzlich, denn diese Zellen mit ihrer Vielseitigkeit sind möglicherweise der ideale Rohstoff für die Züchtung von Gewebe. Seither haben Ärzte ihren Patienten Zellen und Gewebe, die mittels verschiedener Verfahren hergestellt wurden, verabreicht. Vor allem Knorpel wird heute auf diesem Wege ersetzt. "Aber die großen Hoffnungen haben sich noch nicht erfüllt", sagt Peter Fratzl und beklagt, "dass die Anwendung oft schneller ging als das Verständnis der zugrunde liegenden Prozesse".


Wie Knochenzellen sich auf Oberflächen verhalten

Die Erfolge seien auch deswegen bescheiden, weil die Forschung die Wechselwirkungen der beteiligten Zellen untereinander und mit den Zellzwischenräumen, der extrazellulären Matrix, nicht verstanden hat. Aber "das ist ein Riesending", urteilt der Max-Planck-Direktor und betont, dass die Fachleute aus Golm erst einmal einen Schritt zurückgegangen seien. Sie widmen sich mit Experimenten in der Zellkultur, mit physikalischen Messmethoden und mit Computersimulationen den Grundlagen eines wichtigen Teilbereichs des Tissue Engineering: dem Verhalten der Zellen auf einer Oberfläche, genauer gesagt: dem Gerüst, auf dem sie sich bei der Züchtung künstlichen Gewebes vermehren.

Die Forscher untersuchen zudem, welche Oberflächenformen Osteoblasten am besten wachsen lassen. Und wie sich die mechanischen Eigenschaften von Knochen, abhängig von den eingelagerten Mineralpartikeln, verändern. Grundlage, um diese Fragen beantworten zu können, ist das genaue Verständnis, wie Knochen nach einem Bruch im Detail heilt - ein weiteres Forschungsthema am Golmer Max-Planck-Institut. Das Ziel: optimale Bedingungen für die Zellen zu schaffen, damit sie rasch funktionsfähiges Gewebe für die Patienten bilden.

Dass bestimmte biochemische Signalstoffe die Vermehrung von Zellen stimulieren, ist lang bekannt. Diese Wachstumsfaktoren werden Patienten in hohen Dosen in den Körper gespritzt, um die Knochenheilung anzuregen. "Das ist der klassische Ansatz, im Sinne eines chemischen Wirkstoffs als Medikament", sagt John Dunlop. Die Zellen registrieren die biochemische Botschaft der Wachstumsfaktoren und setzen ihre Maschinerie in Gang, um sich zu teilen. Allerdings sind die langfristigen Nebenwirkungen gefährlich und unberechenbar - etwa die Entstehung von Tumoren.

Wachstumsfaktoren geben Forscher auch zu knochenbildenden Stammzellen in die Nährlösungen, um die Zellen zu vermehren und dann an einem Gerüst aus Kunststoffen oder anderen Materialien dreidimensional gedeihen zu lassen. Dabei reagieren die Zellen irgendwie mit der Oberfläche des Gerüstmaterials - und auf sie. "Deshalb gibt es auch physikalische Randbedingungen für das Wachstum von Knochengewebe", sagt Fratzl. Zu Knochenzellen etwa entwickeln sich Stammzellen nur auf harten Oberflächen; auf weichen werden sie zu Nervenzellen.

Schon der Umstand, dass die zellulären Multitalente auf mechanisch verschiedenen Oberflächen unterschiedliche Funktionen entwickeln, zeigt: Eine Zelle kann Kräfte und die mechanischen Eigenschaften der Umgebung - ob sie sich etwa auf einer harten oder weichen Oberfläche befindet - regelrecht fühlen, ertasten. Die Zellen antworten also allein auf die mechanischen Informationen, die von ihrer Hülle, ihrer Membran, über bestimmte Proteinkomplexe nach innen weitergeleitet werden.

Im Inneren der Zelle reagieren daraufhin die "Muskeln" der Zelle, sogenannte Aktinfilamente, die sich in Anpassung an die äußeren Signale ständig umbauen. So verändert sich die Form der Zelle im Raum. Das bekommt die Schaltzentrale der Zelle im Zellkern mit. Hier werden jetzt bestimmte Gene aktiviert, die der Zelle sagen: "Teile und vermehre dich!" Oder: "Alles bleibt so, wie es ist." Oder auch: "Stirb!"

Weil die Zellen eines Gewebes über den Zellzwischenraum mittels direkter Kontaktstellen in Verbindung stehen, können sie mechanisch mit ihren Nachbarn kommunizieren und so ihr Verhalten aufeinander abstimmen. Auf diese Weise entstehen Verhaltensmuster von Zellverbänden. Genau diese Dynamik von Zellverbänden interessiert die Potsdamer Forscher.

Materialwissenschaftler Wolfgang Wagermaier untersucht, wie das Knochengewebe bei seiner Heilung derlei Prozesse nutzt - anhand fixierter Proben von Ratten- und Schafknochen. Nach einem Bruch wächst um die Bruchstelle ein fibrinhaltiges, weiches und klumpiges Gewebe: der Kallus - "eine Art natürliche Schiene, die die beiden Knochenenden miteinander verbindet", wie Wagermaier sagt. In diesem Kallus, hat der Forscher gezeigt, läuft die Knochenheilung in zwei Stufen - und zwar genauso wie bei der täglichen Neubildung von Knochen (siehe Kasten unten "DAS SKELETT UNTER STÄNDIGER RENOVIERUNG").

Im ersten Schritt wandern in den Kallus Osteoblasten, die trotz der weichen Umgebung zügig einen einfachen, relativ ungeordneten Knochen bilden. "Wir haben weiter gefunden, dass die Osteoblasten dieses erste Gerüst nutzen, um sich zu organisieren", erklärt Wagermaier. Sie besiedeln die Oberflächen, kommunizieren untereinander mit mechanischen Signalen, bilden flache dreidimensionale Strukturen. Sie machen jetzt schon einen mechanisch viel besseren Knochen als zuvor: einen lamellaren Knochen. Er ist hoch orientiert und entsprechend stabil gebaut. "Die Organisation und die Kooperation entscheiden", fügt Fratzl hinzu, "den Osteoblasten ist es nicht egal, ob sie sich in einem reinen Bluterguss befinden oder in einer 3D-Situation, in der sie von ihren Vorgängern produzierte feste Oberflächen finden."

Um dem Knochen die Geheimnisse seiner Dynamik zu entlocken, nutzt Wagermaier alle möglichen Verfahren, wie etwa Hightech-Mikroskopie und Spektroskopie, aber auch großes Gerät. Gerade bereitet er wieder einen Versuch im Synchrotron-Speicherring in Berlin-Adlershof vor, wo er die Mineralpartikel in Knochenproben analysiert. Sie sind die kleinsten Teile im Knochengewebe. Der Materialwissenschaftler verfolgt die verschiedenen Stadien der Heilung und sieht, wie Ausrichtung und Größe der Mineralpartikel die mechanische Qualität des Knochens prägen. Oder wie sich die interne Struktur des Knochens und der Knochenzellen verändert, wenn an diesen gezogen wird oder wenn sie sich selbst an einer Oberfläche verankern und Kraft ausüben. Auch die dabei gewonnenen Erkenntnisse dienen eines Tages letztlich der optimierten Züchtung von Knochen.

Bereits jetzt verwendet John Dunlop die Ergebnisse, um seine Experimente zu gestalten oder zu verfeinern. Der Australier beschäftigt sich am Golmer Max-Planck-Institut damit, wie die Feinstruktur eines künstlichen Gerüsts beim Tissue Engineering aussehen sollte, damit sich möglichst rasch mechanisch einwandfreies Knochengewebe bildet. Dunlops Arbeitsgruppe verwendet dazu das Rapid Prototyping. Mit diesem Verfahren lassen sich zum Beispiel Gerüste aus Kunststoff oder anderen Materialien am Computer entwerfen und formgetreu dreidimensional ausdrucken. "Damit können wir die Oberfläche des Materials haargenau nach unseren Wünschen variieren", erklärt Dunlop.

Sein Team hat sich also Gerüste bauen lassen mit verschieden geformten Poren von je etwa einem Millimeter Durchmesser. Die Formen der Querschnitte reichten vom Dreieck über das Sechseck bis zum Kreis. Da aber alle Porenöffnungen denselben Umfang besaßen, ergab sich in den verschiedenen Formen auf derselben Strecke ein kompletter Umlauf von 360 Grad. Alle Poren wiesen somit dieselbe mittlere Krümmung auf.

Auf diesen Gerüsten siedelten die Wissenschaftler in einer Versuchsreihe immer wieder Osteoblasten an und warteten ein paar Wochen. "Die Ergebnisse sind verblüffend", sagt Dunlop. Wie er und sein Team feststellten, erkennen die nur einen Mikrometer großen Osteoblasten irgendwie die Krümmung einer Fläche, die etwa tausendmal größer ist als sie selbst. Das ist so, als könnten wir allein mit dem Tastsinn unserer Füße ermitteln, ob und wie stark eine fußballfeldgroße Fläche gebogen ist. "Und die Zellen können sogar Winkel messen", fügt Dunlop hinzu und staunt darüber immer noch.

Offenbar beruht das geometrische Gespür der Zellen darauf, dass sich ihre Aktinfilamente genau nach den mechanischen Belastungen ausrichten, denen die Zelle unterliegt. So orientieren sie sich in den Versuchen der Golmer Forscher entlang der Oberflächen der Poren. Dort verankern sich Gruppen von Zellen und üben mithilfe ihrer Muskeln Kräfte aus - sie ziehen an der Oberfläche und an ihren Nachbarn. Auf diese Weise können sie ihre Entfernung zueinander messen und mit diesen Daten die Krümmung der Oberfläche erschließen. Aber nicht jede Zelle hat derart sagenhafte mechanische Fähigkeiten, wie Dunlop in Versuchen gesehen hat. Aus Stammzellen differenzierte Fettzellen beispielsweise ziehen nicht an ihrer Umgebung, Bindegewebszellen dagegen sehr wohl.

John Dunlops Gruppe fand auch heraus, wie das Wachstum der Osteoblasten von der Krümmung der Oberfläche abhängt. Auf konvexem, also nach außen gewölbtem Untergrund wachsen die Zellen gar nicht, und für nach innen gewölbte Flächen gilt: "Je stärker die Krümmung in einer Pore, desto schneller bauen sie Gewebe an", erklärt der Chemiker. Auf ebenem Gelände vermehren sich die Zellen kaum, und auch in den Ecken sechseckiger Poren gedeiht das Gewebe viel langsamer als in den Winkeln drei- oder viereckiger Hohlräume. Da in dem Golmer Experiment alle Poren im Mittel jedoch gleich stark gekrümmt waren, füllten sie sich unterm Strich auch im selben Tempo mit den Knochenzellen.

Mesenchymale Stammzellen, die sich in Richtung Knochenzellen weiterentwickeln, verhalten sich genauso wie die Osteoblasten. Vermutlich sind die Prinzipien für Knochenzellen universell.

"Die einfache Beziehung zwischen der mittleren Krümmung und der Wachstumsrate der Knochenzellen ist aus anderen Zusammenhängen wie etwa der Bildung von Seifenblasen bekannt", sagt John Dunlop. "Festzustellen, dass so ein einfaches Gesetz auch in einem ganz anderen Bereich gilt, war ein großer Moment in meiner bisherigen Forschung." Anhand ihrer Erkenntnisse können die Forscher nun Gerüste mit optimaler Geometrie entwickeln, um künstliches Knochengewebe zu züchten. So lässt sich das Wachstumstempo gegenüber bisher üblichen Gerüsten verdoppeln - ohne dass Wachstumsfaktoren benutzt werden müssen. Ein paar Hinweise können die Golmer Forscher bereits geben. Die Poren des Gerüstmaterials sollten etwa 50 bis 100 tausenstel Millimeter groß sein - mit so vielen Winkeln wie nur möglich. Kreuzförmige Poren könnten als erste Annäherung dienen.


Die Oberfläche ist nur am Anfang entscheidend

Aus welchen biologischen Gründen starke Krümmungen die Knochenzellen besonders zur Teilung anspornen, können die Forscher allerdings noch nicht im Detail erklären. "Die Oberflächen der Gerüste, die sich nach einem Bruch im Körper bilden, sind sehr rau, weisen also viele Krümmungen auf", erklärt John Dunlop. Bisher wissen Forscher darüber kaum mehr: Die genauen geometrischen Verhältnisse, unter denen Knochenzellen in Organismen wachsen, sind schwierig zu untersuchen. Daher gibt es dazu noch keine befriedigenden Daten.

Die Oberfläche des Gerüsts ist jedoch nur ganz am Anfang des Knochenwachstums entscheidend, wie John Dunlop festgestellt hat. Nachdem sich die ersten Zellschichten gebildet haben, spielt es kaum noch eine Rolle, aus welchem Material das Gerüst gebaut ist und welche Topografie es besitzt.

Basierend auf den bisherigen Erkenntnissen haben die Forscher ein mathematisches Modell entwickelt, mit dem sie immer neue Formen der Poren in Gerüsten testen, um irgendwann einen optimierten Prototyp zu präsentieren. "Wir wollen den ganzen Prozess rationalisieren", sagt Peter Fratzl, "wir sind mittendrin und kommen gut voran." Bisher berücksichtigt das Tissue Engineering zwar noch keine geometrischen Aspekte bei der Herstellung von Gerüsten, aber der Max-Planck-Direktor ist zuversichtlich: "In absehbarer Zeit werden unsere Kooperationspartner die Erkenntnisse im Tiermodell testen." Und irgendwann am Menschen.


AUF DEN PUNKT GEBRACHT
  • Mit dem Studium der Faktoren, die das Knochenwachstum beeinflussen, versuchen Forscher die optimalen Bedingungen zu finden, um künstliches Knochengewebe zu züchten.
  • Knochenzellen registrieren die Härte und Geometrie einer Oberfläche mithilfe ihrer Aktinfilamente.
  • Wie gut sich Osteoblasten vermehren, hängt am Anfang des Knochenwachstums unter anderem von der Geometrie der Oberfläche ab - je stärker gekrümmt diese ist, desto schneller teilen sich die Zellen.

GLOSSAR

Aktinfilamente: Aus dem Strukturprotein Aktin aufgebaute, fadenförmige Strukturen. Sie stabilisieren als Bestandteile des Zytoskeletts die Zellen und sind am Stofftransport in der Zelle ebenso beteiligt wie an der Kontraktion der Muskeln.

Fibrin: Ein Protein, das bei der Blutgerinnung polymerisiert und eine Wunde verschließt.

Mesenchymale Stammzellen: Vorläuferzellen des Bindegewebes, die sich in eine Vielzahl von Zellen differenzieren können. Aus ihnen können beispielsweise Osteoblasten entstehen.

Osteoblasten: Knochenbildende Zellen, die ständig Knochen aufbauen und bei der Heilung von Knochenbrüchen eine wichtige Rolle spielen.

Osteoporose: Eine Krankheit, bei der Knochen im Alter anfälliger für Brüche werden. Sie entsteht, wenn Knochensubstanz zu rasch abgebaut wird, weshalb die Knochendichte sinkt und die Struktur der Knochen sich ändert.


KÄSTEN
DAS SKELETT UNTER STÄNDIGER RENOVIERUNG

Das menschliche Skelett besteht aus gut 200 Knochen - die genaue Zahl lässt sich nicht bestimmen, weil manche Knochen im Laufe des Lebens zusammenwachsen. Ihr Aufbau ist komplex. Aus Sicht eines Materialwissenschaftlers ist Knochen zunächst einmal ein Komposit - ein Verbundwerkstoff aus mehreren Materialien. Unterhalb der Knochenhaut liegt eine dicke Schicht dichten Knochengewebes, die im Inneren übergeht in ein schwammartig aufgebautes Gerüstwerk feiner Knochenbälkchen (Spongiosa). Die Konstruktion ist stabil und dennoch leicht.

Die eigentliche Knochensubstanz besteht aus unterschiedlichen Knochenzellen (Osteozyten). Diese sind eingebettet in eine Matrix, welche aus calciumhaltigem Hydroxylapatit, Eiweißen wie länglichen Kollagenmolekülen (Fibrillen), Wasser, Mineralpartikeln und anderen Substanzen besteht. Vor allem die Mineralpartikel wie Calcium machen den Knochen fest und hart.

Im Knochengewebe herrscht niemals Ruhe. Täglich baut es sich um, abgenutzte Substanz wird durch neue ersetzt. Zusammenwirkende Hormone, Vitamine und Botenstoffe regulieren die nicht endenden Bauarbeiten. Den eigentlichen Job verrichten die knochenaufbauenden Osteoblasten und die knochenabbauenden Osteoklasten. Die Umbauprozesse haben System und erfolgen abhängig davon, wie ein Knochen beansprucht wird. Richard Weinkamer vom Max-Planck-Institut für Kolloid- und Grenzflächenforschung hat das in einer Computersimulation verfolgt. Demnach fühlen Knochenzellen (Osteozyten) in der Matrix die Art der mechanischen Beanspruchung und geben gemeinsam ein Signal, sodass die neue Knochensubstanz auf die häufigste mechanische Belastung abgestimmt ist. Bewegung ist übrigens das Beste für die Knochen. Bis etwa zum dreißigsten Lebensjahr produzieren die Knochen in der Summe mehr Masse, als sie abbauen. Danach geht im Zuge der Alterung mehr verloren, als gewonnen wird.


DICHTER KNOCHEN IST NICHT IMMER GUT

Gerät der ständige Auf- und Abbau von Knochen im höheren Alter zunehmend aus dem Gleichgewicht, droht dem Körper Knochenschwund (Osteoporose). Im Wesentlichen handelt es sich dabei um eine Störung des Knochenumbaus. Davon betroffen sind in Deutschland knapp acht Millionen Menschen - meist Frauen nach den Wechseljahren. Weil ihre Knochenmasse weniger dicht ist, wächst das Risiko eines Bruchs schon bei geringen Belastungen.

Die Dichte des Knochens - seine Quantität - lässt sich leicht messen. Nicht so die Qualität des Knochens, die man nur bestimmen kann, wenn Patienten einer Biopsie unterzogen werden. Die Golmer Wissenschaftler sind Experten in puncto Qualitätsmessung und haben in klinischen Studien neuer Osteoporose-Medikamente vor allem zusammen mit dem Wiener Ludwig-Boltzmann-Institut für Osteologie getestet, ob die Präparate die Qualität neu gebildeten Knochens mindern.

Ein Knochen ist dann qualitativ gut, wenn die nur drei Nanometer dünnen Mineralplättchen parallel zu den Kollagenfibrillen ausgerichtet sind, und zwar innerhalb und an der Oberfläche der Kollagenfibrillen. Zudem machen Mineralien in einem normalen Knochen 30 bis 40 Prozent seines Volumens aus. Die Studienresultate zeigen, dass die heute häufig verabreichten Bisphosphonate der Knochenqualität auch nach zehn Jahren Behandlung in den meisten Fällen nicht schaden. Die heute nicht mehr eingesetzten Fluorpräparate erhöhten zwar die Dichte des Knochens, beeinträchtigten aber seine Qualität. Bei der Behandlung mit strontiumhaltigen Präparaten wird dieses calciumähnliche Element in das Knochenmineral eingelagert und dort gespeichert, was aber die mechanische Qualität des Knochenmaterials nicht beeinflusst.


Bildunterschriften der im Schattenblick nicht veröffentlichten Abbildungen der Originalpublikation:

An den natürlichen Grenzen des Wachstums: Mithilfe dieser 3D-Kopien menschlicher Knochenstruktur untersuchen Materialwissenschaftler, wie sich die Krümmung der Oberfläche auf die Vermehrung von Knochenzellen auswirkt. Wie die Forscher vermuten, wächst die schwammartige Struktur nicht komplett zu, weil ihre mittlere Krümmung null ist. So bleibt Platz für das Knochenmark.

Detailanalyse: Wolfgang Wagermaier untersucht mittels einer Röntgenkleinwinkel-Anlage die Nanostruktur einer Probe. Er will herausfinden, unter welchen Bedingungen sich Knochengewebe mit der natürlichen Mikrostruktur züchten lässt.

Kampf gegen Osteoporose: Direktor Peter Fratzl hofft, dass seine Forschung eines Tages Menschen mit Knochenschwund bei der Heilung von Brüchen helfen kann.

Die Golmer Wissenschaftler gießen Knochenproben in Kunststoff, um sie zu stabilisieren und weiterzubearbeiten. Für ihre Untersuchungen verwenden sie Ratten- und Schafknochen.

Auch eine Art von Knochenjob: Die Proben stellen die Forscher mit einer Knochensäge her.

Die Etappen der Knochenreparatur: Bei der Heilung eines Bruches entsteht um die Bruchstelle (BS) der Kallus (Ka). Die Aufnahme mit einem Elektronenmikroskop erfasst den Bruch nach neun Wochen am äußeren Kortex (Ko) des Knochens. Im Kallus entwickelt sich in den ersten beiden Wochen zunächst ein wenig geordneter Knochen (b), an dem sich später gebildete Knochenlamellen ausrichten (c). Dunkelgraue Bereiche zeigen kürzlich gebildete Knochenstrukturen, die hellen Areale stellen vor Längerem entstandenes Gewebe dar.

Theorie und Experiment im Vergleich: Die Vorhersagen des von den Wissenschaftlern entwickelten Modells für zwei Porenformen (links) stimmen mit dem tatsächlichen Gewebewachstum der Zellkulturen (Mitte) überein. Bei Betrachtung mit dem Konfokalmikroskop (rechts) zeigt sich, dass Zellen in kreuzförmigen Poren deutlich mehr Aktinfilamente (grün) ausbilden als in quadratischen.

Die Wissenschaftler des Max-Planck-Instituts für Kolloid- und Grenzflächenforschung decken die Geheimnisse des Knochenwachstums unter anderem mithilfe eines Elektronenmikroskops auf.

Modell nach Wunsch: Mittels Rapid Prototyping (rechts) lässt sich eine Knochenstruktur dreidimensional ausdrucken. Im selben Verfahren entstehen die Gerüste, auf denen die Forscher Knochenzellen züchten (oben).

Diskussionsstoff: John Dunlop (links) und Richard Weinkamer besprechen die 3D-Computersimulation eines Knochens.

Die Aufnahme der Röntgenkleinwinkel-Anlage enthüllt, wie stark das Knochengewebe nach drei Monaten mineralisiert ist. Im Falschfarbenbild sind hoch mineralisierte Bereiche blau dargestellt; zur orangen Färbung hin nimmt die Mineralisierung ab. Die Richtung einer Linie gibt die vorherrschende Orientierung der Mineralpartikel an dieser Stelle wieder, und die Linienlänge zeigt, wie hoch der Anteil der so ausgerichteten Teilchen ist. (Ein Strich der Länge = 1 steht dafür, dass alle Teilchen parallel liegen.) Die Zahlen im Bild geben die Dicke der Mineralpartikel in Nanometern wieder.


Anmerkung der Schattenblick-Redaktion:
Dieser Artikel kann als PDF-Datei mit Abbildungen heruntergeladen werden unter:
http://www.mpg.de/6861747/W002_Material-Technik_048-055.pdf

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Quelle:
MaxPlanckForschung - Das Wissenschaftmagazin
der Max-Planck-Gesellschaft, 4.2012, S. 48-55
Hrsg.: Referat für Presse- und Öffentlichkeitsarbeit der
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Internet: www.mpg.de/mpforschung


veröffentlicht im Schattenblick zum 26. Februar 2013