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FORSCHUNG/4066: Symposium - Strategien gegen die Antibiotika-Krise (SH Ärzteblatt)


Schleswig-Holsteinisches Ärzteblatt 6/2019

Symposium
Strategien gegen die Antibiotika-Krise

(PM/RED)


Symposium zur Anwendung evolutionsbiologischer Prinzipien gegen Antibiotika-Resistenzen in Plön.


Grundlagenforschende und Mediziner aus Norddeutschland, Berlin und Zürich diskutierten in der Veranstaltung Ansätze der Evolutionsbiologie, die Resistenzen bakterieller Krankheitskeime gegen antibiotische Wirkstoffe entgegenwirken könnten. Ziel war die Entwicklung neuartiger Behandlungsstrategien gegen Infektionskrankheiten, die die evolutionäre Anpassungsfähigkeit der Krankheitserreger als zentrale Herausforderung berücksichtigen.

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Veranstalter des dreitägigen Symposiums in Plön waren das Kiel Evolution Center (KEC) der Kieler Christian-Albrechts-Universität und das Max-Planck-Institut für Evolutionsbiologie (MPI-EB) in Plön. Das KEC setzt sich zum Ziel, Evolutionsforscher in der Region Kiel besser zu koordinieren. Daneben sollen unter dem Schlüsselbegriff "Translationale Evolutionsforschung" gezielt Brücken zwischen Grundlagenforschung und Anwendung geschlagen werden. Neben der Förderung der Wissenschaft stehen auch Lehre und Öffentlichkeitsarbeit im Fokus des Kiel Evolution Center. Daran beteiligt sind neben der CAU auch Forschende vom GEOMAR Helmholtz-Zentrum für Ozeanforschung Kiel, dem Max-Planck-Institut für Evolutionsbiologie in Plön (MPI-EB) und dem Forschungszentrum Borstel (FZB), Leibniz-Zentrum für Medizin und Biowissenschaften.
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Die Antibiotika-Krise ist nicht nur nach Beobachtung der Veranstalter global und spitzt sich zu: Die Weltgesundheitsorganisation WHO warnt davor, dass sich in einer möglicherweise bevorstehenden post-antibiotischen Ära eigentlich harmlose Bakterieninfektionen zu einer der häufigsten Todesursachen entwickeln könnten. Die Zahl der durch behandlungsresistente Krankheitskeime verursachten Todesfälle wird auf über 30.000 pro Jahr in Europa geschätzt.

Diese Bedrohung für die öffentliche Gesundheit ist durch einen sorglosen Antibiotikaeinsatz entstanden, laut Mitteilung der Veranstalter "vor allem im medizinischen Behandlungsalltag und durch die umfangreiche Nutzung in der Landwirtschaft". Folge dieser oft zu unspezifischen Antibiotikaabgabe ist die schnelle evolutionäre Anpassung der bakteriellen Krankheitserreger an die eingesetzten Wirkstoffe. Manchmal bilden sie schon nach kurzer Zeit Resistenzen aus, sodass selbst neu entwickelte Antibiotika schnell ineffektiv werden können. Bislang nehmen Standardtherapien jedoch kaum Rücksicht auf den Einfluss der natürlichen Selektion, der den Mechanismen der Resistenzbildung zugrunde liegt, und begünstigen damit das Problem rasant fortschreitender Resistenzevolution bei vielen Krankheitserregern. Die gegenwärtige medizinische Praxis birgt also das Risiko, auch die letzten noch zur Verfügung stehenden antibakteriellen Wirkstoffe zu verlieren.

Wissenschaftler suchen weltweit nach Lösungen, um diesen Teufelskreis zu durchbrechen, so auch die Teilnehmer der Tagung. "Die Evolutionsforschenden zum Beispiel in Kiel und Plön streben danach, Erkenntnisse aus der Evolutionsbiologie so auf die Nutzung vorhandener antibiotischer Wirkstoffe anzuwenden, dass ihre Wirkung länger erhalten bleibt", erklärte Professor Hinrich Schulenburg. "Wir müssen wegkommen vom nicht-nachhaltigen Einsatz des noch verfügbaren Antibiotika-Arsenals und gemeinsam mit Ärzten neuartige Therapien entwickeln", so Schulenburg weiter.

Ein Beispiel für nachhaltige Behandlungsstrategien, die beim Symposium diskutiert wurden, ist die Kombination und der schnelle Wechsel gut zusammenwirkender Antibiotika. Laboruntersuchungen haben gezeigt, dass sich so einerseits die Resistenzbildung der Krankheitserreger hemmen lässt und gleichzeitig eine sichere Bekämpfung der Keime und damit die Behandlung einer Infektion möglich ist. Ein anderer Ansatz: Personalisierte Therapien gegen Infektionen mit multiresistenten Keimen. Die genaue Kenntnis der genetischen Eigenschaften eines spezifischen Erregers, die seine Resistenzbildung zulassen, und die individuelle Analyse der Wirkungsweise von Antibiotika bei einzelnen Patienten versprechen eine maßgeschneiderte Behandlung etwa bei problematischen Tuberkulose-Infektionen.

Einen wichtigen Beitrag zur Erforschung der Resistenzbildungsmechanismen liefert auch die Evolutionstheorie. Von Bedeutung ist dabei insbesondere die Prognose, wie die gegenseitige Anpassung eines Krankheitskeimes an bestimmte Medikamente oder einen Behandlungsmodus abläuft. "Theoretische Modelle helfen uns dabei, die Effektivität möglicher neuer Behandlungsformen abzuschätzen", sagte Sebastian Bonhoeffer, Professor für Theoretische Biologie in Zürich. "Insbesondere die Effekte des Wechsels oder der Kombination bestimmter Wirkstoffe auf die Resistenzevolution von Krankheitserregern können wir damit vorhersagen, um gezielt bestimmte neue Behandlungsformen experimentell erproben zu können", so Bonhoeffer weiter.

Um Erkenntnisse der evolutionsbiologischen Grundlagenforschung in die klinische Anwendung zu übertragen, fehle es derzeit vor allem an einer koordinierten Zusammenarbeit der Experten, hieß es in Plön.


Gesamtausgabe des Schleswig-Holsteinischen Ärzteblatts 6/2019 im Internet unter:
http://www.aeksh.de/shae/2019/201906/h19064a.htm

Zur jeweils aktuellen Ausgabe des Schleswig-Holsteinischen Ärzteblatts:
www.aerzteblatt-sh.de

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Quelle:
Schleswig-Holsteinisches Ärzteblatt
72. Jahrgang, Juni 2019, Seite 35
Herausgegeben von der Ärztekammer Schleswig-Holstein
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Das Schleswig-Holsteinische Ärzteblatt erscheint 12-mal im Jahr.


veröffentlicht im Schattenblick zum 11. Juli 2019

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