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GESCHICHTE/637: Ärztliche Labormedizin in dritter Generation (SH Ärzteblatt)


Schleswig-Holsteinisches Ärzteblatt Nr. 5, Mai 2020

JUBILÄUM
Ärztliche Labormedizin in dritter Generation

von Dirk Schnack


Vor 75 Jahren gründete Dr. Siegfried Kramer sein Labor in Geesthacht. Heute wird es in dritter Generation ärztlich und vom Inhaber geführt. Verbund aus über 170 Laborärzten und Experten.


Mai 1945: Der Zweite Weltkrieg ist noch nicht beendet, Schleswig-Holstein von den Alliierten besetzt. Die britische Besatzungsmacht versucht, wichtige Strukturen aufrecht zu erhalten, die Bevölkerung versucht zu überleben und zahlreiche Flüchtlinge kommen ins Land. Es ist ein Monat, der von extremer Unsicherheit geprägt ist. In dieser Situation kommt der 33-jährige Dr. Siegfried Kramer nach Geesthacht. Am 31. Mai gründet er im Auftrag der Briten eine seuchenhygienische Untersuchungsstelle - die Keimzelle der späteren fachärztlichen Laborarztpraxis und des LADR Laborverbunds. Es ist die bundesweit erste Laborarztpraxis und eine der ersten Gesundheitseinrichtungen in Schleswig-Holstein, die auf eine Gründung vor 75 Jahren zurückblicken kann.

Dass Kramer Pionier auf diesem Gebiet werden konnte, hat er auch dem Standort an der Elbe zu verdanken. Die Briten hatten sich Geesthacht bewusst ausgesucht, weil es dort eine Lungenheilanstalt gab, die sie als seuchenhygienisches Institut nutzen konnten. Weil die Stadt außerdem Standort für eine Dynamit- und Pulverfabrik war, gab es zahlreiche Menschen, die Arbeit suchten.

Eine ehemalige Lungenheilanstalt wird erster Standort für das Labor

Kramer ließ sich zum Kriegsende im Susannen-Haus der ehemaligen Lungenheilanstalt Edmundsthal mit einer bakteriologisch-serologischen, medizinisch-chemischen Untersuchungsanstalt nieder. Eine Einrichtung, die in Zeiten von Typhus, Fleckfieber, Tuberkulose, Geschlechtskrankheiten und zahlreichen weiteren Erkrankungen dringend benötigt wurde. Seit 1945 hatte Kramer einen Vertrag mit dem Kreisgesundheitsamt - die Grundlage, damit seine Leistungen auch bezahlt wurden.

Erst einige Jahre nach der Niederlassung zeigte sich, dass Geesthacht für Kramer aus unternehmerischer Sicht auch einen entscheidenden Standortnachteil hatte: Dass es später eine Zonengrenze geben würde, konnte der Arzt 1945 nicht ahnen - so entstand für ihn in Nähe der Grenze ein unternehmerischer Nachteil, der erst Jahrzehnte später mit dem Mauerfall aufgehoben werden sollte.

Eine der frühen größeren Anschaffungen Kramers war ein Lastwagen, den er sich im Jahr der Währungsreform anschaffen und damit zweimal pro Woche die Ärzte und Ämter im Kreis besuchen konnte, um Probenmaterial abzuholen.

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5 Jahre konnte Dr. Siegfried Kramer am ersten Standort in Geesthacht arbeiten - dann sollte es wieder als Krankenhaus genutzt werden. Kramer baute neu. Am Runden Berg in Geesthacht arbeitet das Labor heute noch.
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Nach fünf Jahren der Neubau am heutigen Standort

Der Standort in der früheren Lungenheilanstalt konnte keine Dauerlösung werden. Das Gebäude sollte wieder als Klinikstandort genutzt werden und Siegfried Kramer musste sich nach einer Alternative umsehen. Er fand sie am Runden Berg in Geesthacht, wo das Labor bis heute ansässig ist. Damals beschäftigte Kramer 20 Angestellte. Wichtig war damals auch die Wasseranalytik - eine zentrale Trinkwasserversorgung und Kanalisation gab es noch nicht. Kramer nahm im Auftrag des Gesundheitsamtes Wasseruntersuchungen vor und begutachtete private Trinkwasserbrunnen. Bis Mitte der 1950er Jahre wurden alle quantitaiven Untersuchungen in Geesthacht von Hand durchgeführt. Erst in den Folgejahren kamen die ersten mechanisierten Analysegeräte auf den Markt.

Neben der Arbeit bildet sich Kramer weiter, erhält 1960 die Anerkennung als Facharzt für Laboratoriumsmedizin - nach Angaben seines Enkels Prof. Jan Kramer war sein Großvater damit der erste Arzt in Schleswig-Holstein, der diese Facharztbezeichnung erhielt. In den Folgejahren baute er die Analysen aus. Ende der 60er Jahre können in seinem Labor erstmals 500 Serienanalysen pro Tag bewältigt werden. Damit war zugleich eine Entwicklung eingeleitet, die sich in den folgenden Jahrzehnten noch stärker zeigte: Die erforderlichen Investitionen in der Labormedizin wurde immer höher. 1973 hält die EDV Einzug im Labor.

Kooperation wird in der Labormedizin immer wichtiger

Zugleich erkennt Kramer, dass sein Fachgebiet immer stärker auf Kooperationen mit anderen Disziplinen angewiesen sein wird - so entsteht eine interdisziplinäre Laborgemeinschaft, deren Grundstein 1974 mit der AG südholsteinischer Ärzte gelegt wird. Die Idee, den einsendenden Ärzten nicht nur Basisdiagnostik in den Laborgemeinschaften, sondern auch spezialärztliche Laboranalytik regional anbieten zu können, führt zur Gründung der "Arbeitsgemeinschaft für Diagnostik und Rationalisierung". Zwei Jahrzehnte später wird die LADR gegründet, um als Netzwerk aus laborärztlichen Praxen gemeinsam neue technische Entwicklungen, wissenschaftlich-medizinische Informationen, Leistungsverzeichnisse und Fortbildungen zu erarbeiten und den Kollegen anzubieten.

1977 tritt Siegfried Kramers Sohn Detlef in die Geschäftsleitung ein, der Senior zieht sich in den kommenden Jahren mehr und mehr aus dem operativen Geschäft zurück. Detlef Kramer führte das Labor über 40 Jahre lang. In diese Zeit fielen zahlreiche wichtige strategische Entscheidungen, die das Labor zukunftsfest aufstellten. Eine davon ist die Gründung des Unternehmens Intermed im Jahr 1985, das sich u. a. um Logistik und administrative Tätigkeiten kümmert und dies auch anderen Fachlaboren anbietet. Welch ein Meilenstein die Gründung dieses Unternehmens war, verdeutlicht sich u.a. an einer Zahl: Der Fahrdienst der Firma, der Probenmaterial aus den Praxen in Labore transportiert, fährt heute jeden Tag mehr als 25.000 Stopps im ganzen Bundesgebiet an.

Eine weitere wichtige Entscheidung ist die Gründung der LADR Akademie in 1997, die Fortbildungen auch für andere Fachgruppen anbietet und auf mehr als 300 Veranstaltungen im Jahr kommt, oder die 2005 erfolgte Gründung des Medizinischen Versorgungszentrums (MVZ).

Familientradition in dritter Generation

Inzwischen ist in Geesthacht die dritte Kramer-Generation in der Geschäftsführung. Im früheren Büro seines Großvaters arbeitet heute Prof. Jan Kramer. Er ist Facharzt für Innere Medizin und für Labormedizin, trat 2012 in das Labor ein. Auch sein jüngerer Bruder Dr. Tobias Kramer - er ist Facharzt für Hygiene und Infektiologe - wird hinzukommen.

In Kramers Büro finden sich nicht nur frühere Möbel seines Großvaters - er und sein Bruder legen auch beide Wert auf die "ärztliche Philosophie", die ihr Großvater geprägt hat. Das schließt wirtschaftliches Denken und Handeln keineswegs aus - weder in den Nachkriegsjahren, noch heute. In den vergangenen Jahren wurden alle Labore und die gesamte Infrastruktur modernisiert, um auf die veränderten Anforderungen in der Labormedizin reagieren zu können.

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4,2 Mio. Patienten wurden im Jahr 2019 in den LADR Laboren in Geesthacht und in Flintbek labormedizinisch versorgt.
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"In der Labormedizin muss man ständig erneuern und bereit sein, zu investieren", betont Prof. Jan Kramer auch im Gespräch mit dem Schleswig-Holsteinischen Ärzteblatt. Er war nach seiner Zeit als Arzt in der Inneren Medizin am Universitätsklinikum in Lübeck in Geesthacht zunächst "Assistent" der Geschäftsführung und konnte sich in Ruhe einarbeiten. Von seinem Vater hat Jan Kramer u. a. gelernt, wie wichtig Zusammenarbeit ist. "Labor muss man im Team machen", lautet sein Credo. Gelegenheit zur Teamarbeit gibt es reichlich: Trotz aller modernen Technik sind in Schleswig-Holstein heute in und um die LADR mehr als 1.300 Mitarbeiter beschäftigt.


Gesamtausgabe des Schleswig-Holsteinischen Ärzteblatts 5/2020 im Internet unter:
http://www.aeksh.de/shae/2020/202005/h20054a.htm

Zur jeweils aktuellen Ausgabe des Schleswig-Holsteinischen Ärzteblatts:
www.aerzteblatt-sh.de

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Quelle:
Schleswig-Holsteinisches Ärzteblatt
73. Jahrgang, Nr. 5, Mai 2020, Seite 34 - 35
Herausgegeben von der Ärztekammer Schleswig-Holstein
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Das Schleswig-Holsteinische Ärzteblatt erscheint 12-mal im Jahr.


veröffentlicht im Schattenblick zum 6. Juni 2020

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