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UMWELT/865: Die Krankheitspyramide - Umwelt, Wirt, Erreger und Mikrobiom (idw)


Leibniz-Institut für Gewässerökologie und Binnenfischerei (IGB) - 11.06.2020

Die Krankheitspyramide: Umwelt, Wirt, Erreger und Mikrobiom


Forschende des Leibniz-Instituts für Gewässerökologie und Binnenfischerei (IGB), der Université de Toulouse und des Helmholtz-Zentrums für Umweltforschung (UFZ) zeigen am Beispiel von Amphibien, wie die körpereigene mikrobielle Besiedlung die Wechselwirkungen zwischen Lebewesen, Umwelt und Krankheitserreger beeinflusst. Dies ist Grundlagenforschung für die Gesundheitsprophylaxe.

Es gibt einen starken Einfluss belebter und unbelebter Umweltfaktoren auf die Dynamik von Krankheiten bei Mensch und Tier. Die Forschenden rücken in ihrer Studie eine wichtige Komponente in den Fokus: das Mikrobiom. Das individuelle Mikrobiom eines Lebewesens ist ein essenzieller Bestandteil der Immunität. Besonders auf der Haut und im Darm, also direkt an der Schnittstelle zwischen dem Organismus und den Krankheitserregern, sind körpereigene Bakterien und Viren aktiv.

Das internationale Team stellt das Konzept einer Krankheitspyramide mit den vier Eckpunkten Umwelt, Erreger, Wirt und Mikrobiom vor. Erstmals werden die verschiedenen Funktionen des Mikrobioms berücksichtigt. Die Forschenden veranschaulichen diese anhand der vom Pilzerreger Batrachochochytrium dendrobatidis (Bd) verursachten Krankheit Chytridiomycose bei Amphibien wie z.B. Fröschen.

"Das Mikrobiom eines Lebewesens ist sehr variabel. Erst in den letzten Jahren ist es Forschenden gelungen, mittels genetischer Methoden die Gesamtheit der Mikroorganismen zu erfassen. Wir verstehen nun Stück für Stück dessen Rolle für die Gesundheitsprophylaxe - wie es beispielsweise mit den Krankheitserregern, dem Wirt und dem Umweltmikrobiom interagiert", erklärt die IGB-Forscherin Dr. Adeline Loyau, Leiterin der Studie.

Vielfalt des Mikrobioms und der Lebensräume stärkt Resistenz:

Die Autorinnen und Autoren betonen, dass vielfältigere Mikrobiome den Wirt widerstandsfähiger machen können, da sie potenzielle Krankheitserreger besser in Schach halten. Die Studie verdeutlicht auch, dass Individuen, die komplexe und damit artenreiche Lebensräumen bewohnen, eine niedrigere Sterblichkeit haben. Das Mikrobiom kann sehr spezifisch gegen Erreger wirken: Das symbiotische Hautbakterium Janthinobacterium spp. beispielsweise bildet als Stoffwechselprodukt ein Anti-Pilzmittel und verhindert so die Infektion von Amphibien mit dem Pilzerreger Bd.

Klimawandel verändert das Mikrobiom von Amphibien:

Die Anpassungsfähigkeit des Mikrobioms kann wiederum die Anpassungsfähigkeit des Organismus gegenüber Umwelteinflüssen erhöhen. Dafür gibt es im Tierreich einige Beispiele. Umweltveränderungen wie der Klimawandel können das Mikrobiom aber auch aus dem Gleichgewicht bringen: "Ein Mikrobiom im Gleichgewicht kann bei sich ändernden Umweltbedingungen vor einer Infektion schützen," erläutert die Erstautorin der Studie, Adriana P. Bernardo-Cravo von der Université de Toulouse und dem UFZ. "Es zeigt sich aber auch, dass Umweltveränderungen - insbesondere der Temperatur - deutliche Auswirkungen auf die Zusammensetzung des Mikrobioms haben, und damit auf die Widerstandskraft von Amphibien gegenüber dem Pilzerreger Bd. Der Klimawandel wird die Verbreitung dieser Pilzerkrankung bei Amphibien deutlich verändern", lautet die Prognose der Ökologin.

Dr. Dirk Schmeller von der Université de Toulouse erläutert weiter: "Wir müssen uns darüber im Klaren sein, dass Klimawandel und Biodiversitätsverlust Stressfaktoren für Ökosysteme, Menschen, Tiere und die jeweiligen Mikrobiome sind. Unsere Forschung zeigt, dass bei einer Destabilisierung der verschiedenen Achsen der Krankheitspyramide verstärkt mit neuen Infektionskrankheiten zu rechnen ist, auch für den Menschen." Das vorgestellte Konzept der Krankheitspyramide ist deshalb richtungsweisend für die Erforschung der Interaktionen zwischen Mensch-Tier-Umwelt und der Risiken für die Biodiversität und die menschliche Gesundheit.


Ergänzende Information:
Der Rückgang der Amphibien - sie sind die am stärksten bedrohten Wirbeltiere - zieht Kaskadeneffekte in den Nahrungsnetzen nach sich und kann das Umweltgleichgewicht nachhaltig verändern, beispielsweise die Wasserqualität oder das Vorkommen von Schädlingen und Krankheitserregern. In einigen Ökosystemen, wie den nordamerikanischen Arborealwäldern, sind Amphibien die am häufigsten vorkommenden Landwirbeltiere. Dort regulieren sie den Kohlenstoffhaushalt mit. Der Pilz Batrachochochytrium dendrobatidis ist verantwortlich für den Rückgang von über 500 Froscharten weltweit. Er schädigt die Haut der Amphibien und stört ihre grundlegenden Funktionen, was letztlich zum Herzstillstand führt.

Über das Leibniz-Institut für Gewässerökologie und Binnenfischerei (IGB): "Forschen für die Zukunft unserer Gewässer" ist der Leitspruch des Leibniz-Instituts für Gewässerökologie und Binnenfischerei (IGB). Das IGB ist das bundesweit größte und eines der international führenden Forschungszentren für Binnengewässer. Es verbindet Grundlagen- und Vorsorgeforschung, bildet den wissenschaftlichen Nachwuchs aus und berät Politik und Gesellschaft in Fragen des nachhaltigen Gewässermanagements. Forschungsschwerpunkte sind u. a. die Langzeitentwicklung von Seen, Flüssen und Feuchtgebieten und die Auswirkungen des Klimawandels, die Renaturierung von Ökosystemen, der Erhalt der aquatischen Biodiversität sowie Technologien für eine nachhaltige Aquakultur. Die Arbeiten erfolgen in enger Kooperation mit den Universitäten und Forschungsinstitutionen der Region Berlin-Brandenburg und weltweit. Das IGB gehört zum Forschungsverbund Berlin e. V., einem Zusammenschluss von acht natur-, lebens- und umweltwissenschaftlichen Instituten in Berlin. Die vielfach ausgezeichneten Einrichtungen sind Mitglieder der Leibniz-Gemeinschaft. https://www.igb-berlin.de

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Originalpublikation:
Bernardo-Cravo, A., Schmeller, D.S., Chatzinotas, A., Vredenburg, V.T., Loyau, A., 2020.
Environmental Factors and Host Microbiomes Shape Host-Pathogen Dynamics. Trends in Parasitology 36, 29-36.
https://doi.org/10.1016/j.pt.2020.04.010

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Quelle:
Informationsdienst Wissenschaft - idw - Pressemitteilung
Leibniz-Institut für Gewässerökologie und Binnenfischerei (IGB) - 11.06.2020
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veröffentlicht im Schattenblick zum 19. Juni 2020

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