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BUCH/1194: Gesundheit - Von alten Philosophen zur neuen Philosophie des Alterns (idw)


Ruhr-Universität Bochum - 06.07.2009

Von alten Philosophen zur neuen Philosophie des Alterns

RUB-Publikation zur Ringvorlesung "Gesundheit"


Ob in antiken Patientenzeugnissen oder bei den heutigen Zivilisationsleiden Diabetes und plötzlicher Herztod - die Sorge um die eigene Gesundheit ist ein Urphänomen der Menschheit. Geisteswissenschaftliche und medizinischen Aspekte zum Begriff Gesundheit vermittelt der soeben erschienene Sammelband, beruhend auf einer interdisziplinären Ringvorlesung an der Ruhr-Universität.

Von alten Philosophen zur neuen Philosophie des Alterns Gesundheit geisteswissenschaftlich und medizinisch betrachtet Publikation zur interdisziplinären Ringvorlesung "Gesundheit"

Von antiken Patientenzeugnissen bis zu den heutigen Zivilisationsleiden Diabetes und plötzlicher Herztod - die Sorge um die eigene Gesundheit ist ein Urphänomen der Menschheit. Mit dem medizinisch-technischen Fortschritt sind neue Fragen etwa nach dem ökonomisch Machbaren und ethisch Vertretbaren hinzugekommen. Eine Reihe von geisteswissenschaftlichen und medizinischen Aspekten zum Begriff Gesundheit vermittelt der soeben erschienene gleichnamige Sammelband, der auf einer interdisziplinären Ringvorlesung in den Jahren 2006/2007 an der Ruhr-Universität Bochum beruht.


Antiker Medizinbetrieb als Erfolgsmodell

Die antiken Ärzte selbst prägen vorwiegend den heutigen Blickwinkel auf die damalige Medizin. Patientenäußerungen sind kaum überliefert und die wenigen Quellen meist unbefriedigend ediert und übersetzt. Umso interessanter ist die Patientensicht auf einen antiken Medizinbetrieb, wie die sog. sanationes - Heilungsberichte, die um den griechischen Ort Epidauros, das Kultzentrum des Heilgottes Asklepios, gefunden wurden. Etwa 70 solcher Berichte spiegeln das breite Leidensspektrum von Blindheit, Lähmungen, Kriegsverletzungen bis zu schweren Schlafstörungen und unerfülltem Kinderwunsch wider. In Epidauros arbeiteten die Ärzte parallel zu den Tempel-Heilungen. Göttliches und ärztliches Wirken wurden in einer Gemengelage aus körperlichen Leiden, psychosomatischen Ursachen, religiöser Verzückung und fachkundig-wissenschaftlicher Medizin zum Erfolgsmodell.


Der kranke Philosoph

Sommers wie Winters ging er ohne Schuhe, war unempfindlich gegen Hitze wie Kälte und sein silenhaft gedrungener Leib ermöglichte ihm tagelanges Stehen: Der kerngesunde Sokrates wäre wohl weit älter als siebzig Jahre geworden, hätte er nicht den Schierlingsbecher nehmen müssen. Ganz anders der fein ziselierte Begründer des Neuplatonismus Plotin. Bereits im Alter von Mitte Sechzig trieb ihn sein von Krankheit zerfressener, unangenehm riechender Körper in die soziale Isolation. Die biographische Tradition zeigt ein durchgängiges Interesse an der Körperlichkeit der alten Philosophen und den Rekurs auf deren Denken. War Sokrates um seinen gesunden Körper als Nährboden seiner Verstandeskräfte bemüht, so trat die historische Person Platon mitsamt ihrem von der sog. Läusekrankheit (vermutlich eine Form von Typhus) befallenen Körper hinter das philosophisches Werk zurück. Doch bereits bei dem an Wassersucht leidenden Heraklit kommentierten die Biographen die zum Tode führende Krankheit als Testfall für seine Lehre. Die Spätantike führte dies fort und erklärte den leidenden Körper zum Signum spiritueller Kraft (Plotin).


Epidemien schlagen Brücke zur Antike

"Pest" - allein das Wort löst eine menschliche Urangst aus, assoziiert es doch Leichenberge, Massengräber und eine sich über mittelalterliche Städte ausbreitende düster-melancholische Stimmung. "Pest" im Sinne epidemischer Infektionskrankheiten schlägt mit AIDS, Ebola, SARS oder ganz aktuell der "Schweinepest" eine Brücke zurück zu den Menschen der Vormoderne. Seit Auftreten des "Schwarzen Todes" 1347/48 verbindet sich der Terminus "Pest" mit den Symptomen der vom Bakterium Yersinia pestis verursachten Infektionskrankheit, mit einem letztem großen Ausbruch in Westeuropa 1720/22 in Marseille. Doch überliefert sind "Pestbeschreibungen" weit früherer, antiker Seuchenzüge. Deren medizinhistorische Deutung ist schwer, da sie fast ausschließlich literarischen und nicht medizinischen Darstellungskriterien folgen. Die Forschung nimmt sie dennoch in Angriff, etwa am Beispiel von Homers Ilias (8.Jh. v. Chr.), die mit einer "Pestbeschreibung" einsetzt, Thukydides Beschreibung der Pest in Athen 430 v.Chr., die stilbildend auf die nachfolgende Seuchenliteratur wirkte, oder der Justinianischen Pest (541/42 n.Chr.), die der spätantike Historiker Prokop miterlebte und beschrieb.


Gehirnfunktionen: Use it or lose it

Einen medizinischen Aspekt des interdisziplinären Buches stellt das alternde Gehirn dar. Dessen gesamter Volumenverlust zwischen dem 30. und 90. Lebensjahr wird auf etwa 35 Prozent geschätzt. Doch nicht das Absterben von Nervenzellen ist - wie lange angenommen - Grund der Volumenabnahme, sie geht vermutlich auf ein Schrumpfen der Nervenzellen zurück. Dass es auch im Alter "plastisch", etwa zu gebrauchsabhängigen Umorganisationen fähig bleibt, ist heute neurowissenschaftliches Allgemeingut. Daneben überraschen aktuelle Erkenntnisse, wie etwa das belohnungsabhängige Lernen, bei dem zahlreiche Hirnregionen eine Rolle spielen. Verhielten sich junge wie ältere Probanden bei dieser Form des Lernens auch unterschiedlich, so zeigten beide Gruppen deutlich bessere Lernleistungen, wenn sie mit höheren Geldbeträgen belohnt wurden.


Die "Wohlstands-Epidemien"

Die neuen durch Wohlstand ausgelösten "Epidemien" wie der sog. Typ-II-Diabetes oder auch der plötzliche Herztod (Ethik und Gesundheitsökonomie in der Prävention) und der auf den Einsatz künstlicher Organe und Organteile ausgerichtete Beitrag "Ersatzteillager Mensch" sind weitere Themen der interdisziplinären Betrachtung. Mit der Publikation findet zugleich eine sehr produktive Zusammenarbeit zwischen dem Bochumer Kardiologen Prof. Dr. med. Andreas Mügge und dem Kirchenhistoriker und Experten für antike christliche Literatur Prof. Dr. Wilhelm Geerlings (Katholisch-Theologische Fakultät), der unmittelbar vor Drucklegung des Bandes verstarb, seinen Abschluss.


Titelaufnahme
Wilhelm Geerlings, Andreas Mügge
"Gesundheit - Geisteswissenschaftliche und Medizinische Aspekte"
Reihe: Religiösität-Spiritualität-Gesundheit, Bd 4
LIT-Verlag, 2009
ISBN 978-3-643-10026-9

Weitere Informationen
Prof. Dr. Andreas Mügge
Medizinische Universitätsklinik
Kardiologie und Angiologie
Klinikum der Ruhr-Universität Bochum
E-Mail: andreas.muegge@rub.de

Redaktion: Dr. Barbara Kruse

Kontaktdaten zum Absender der Pressemitteilung:
http://idw-online.de/pages/de/institution2


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Quelle:
Informationsdienst Wissenschaft - idw - Pressemitteilung
Ruhr-Universität Bochum, Dr. Josef König, 06.07.2009
WWW: http://idw-online.de
E-Mail: service@idw-online.de


veröffentlicht im Schattenblick zum 8. Juli 2009