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FORSCHUNG/2047: Die Beziehung zwischen Ernährung und Gesundheit verstehen (Leibniz)


Leibniz - Journal der Leibniz-Gemeinschaft 2/2009

Auf die Taille kommt es an
Das Deutsche Institut für Ernährungsforschung untersucht die Entstehung von Krebs und Diabetes

Von Ursula Resch-Esser


Blutdruck, Alter, Essgewohnheiten, Lebensstil? 27.548-mal haben sie danach gefragt. Sie haben gewogen, gemessen, Blut abgenommen und über viele Jahre das Leben und Leiden ihrer Probanden verfolgt - im Dienste der Gesundheit und auf der Suche nach einem längeren Leben. Die Wissenschaftler des Deutschen Instituts für Ernährungsforschung (DIfE) in Potsdam interviewten Frauen und Männer im Rahmen der europaweiten EPIC-Studie. Sie untersucht, wie Ernährung mit Krebs und anderen chronischen Krankheiten zusammenhängt. Darüber hinaus ermitteln die Potsdamer Gene, die für das Entstehen von Krankheiten verantwortlich sind, und analysieren biochemische Prozesse im menschlichen Körper.


"Auf lange Sicht wollen wir die Beziehung zwischen Ernährung und Gesundheit verstehen", sagt Prof. Hans-Georg Joost, wissenschaftlicher Direktor des DIfE. Im Fokus stehen Übergewicht, Diabetes und Krebs: Sie gehören zu den wichtigsten Krankheitskomplexen, die mit der Ernährung zusammenhängen. In Deutschland leiden 66 Prozent aller Männer und 51 Prozent aller Frauen zwischen 18 und 80 Jahren an Übergewicht, insgesamt 37 Millionen Menschen. An Diabetes Typ-2 sind rund sechs Millionen Menschen erkrankt - Tendenz steigend. Die Krankheit zählt zu den häufigsten und teuersten chronischen Erkrankungen, mit jährlichen Kosten im zweistelligen Milliardenbereich. Fettsucht, die das Diabetesrisiko ebenso erhöht wie die Wahrscheinlichkeit, an Krebs zu erkranken, hat genetische Grundlagen. Ausgelöst wird sie jedoch meist dann, wenn ein "westlicher Lebensstil" mit hoher Kalorienaufnahme und wenig Bewegung hinzukommt. Um Vorbeugung und Therapien zu entwickeln, untersucht das DIfE sowohl die genetischen Ursachen als auch die Zusammenhänge zwischen Ernährung und der Entstehung von Krankheiten.


Alarmsignal: zu viel Bauchfett

1992 startete die EPIC-Studie (European Prospective Investigation into Cancer and Nutrition) mit insgesamt 519.000 Studienteilnehmern in ganz Europa, in Deutschland arbeiten das DIfE und das Deutsche Krebsforschungszentrum mit. Die Potsdamer untersuchten unter anderem, wie sich Übergewicht auf das Sterblichkeitsrisiko auswirkt. Ihre Arbeiten räumen mit einem weit verbreiteten Vorurteil auf: "Ein gewisses Speckpolster galt lange Zeit als günstig, das gilt allerdings nicht für Fett im Bauchraum", sagt Dr. Tobias Pischon, der gemeinsam mit Prof. Heiner Boeing die EPIC-Daten analysierte. Das Sterblichkeitsrisiko steigt nicht nur bei besonders hohem Body Mass Index (BMI) an - er misst das Verhältnis von Körpergewicht zum Quadrat der Körpergröße -, sondern auch bei Normalgewicht, wenn der Umfang der Taille groß ist. Er ist es, der Auskunft über die Menge des Bauchfetts gibt. Je höher der Umfang, um so höher das Risiko zu sterben.

"Das wichtigste Ergebnis unserer Untersuchung ist, dass das Übergewicht und - unabhängig davon - auch die Verteilung des Körperfetts das Sterblichkeitsrisiko eines Individuums beeinflussen", sagt Pischon. "Gerade Personen mit einem Body Mass Index im Normalbereich haben ein erhöhtes Sterblichkeitsrisiko, wenn sie einen höheren Taillenumfang haben." Er vermutet, dass bei kleinem BMI ein Verlust von Muskelmasse, wie er etwa bei alten Menschen auftritt, die Gefahr zu sterben erhöht. Das Gewicht nimmt zwar ab, jedoch bleibt das im Körper gespeicherte Fett erhalten. Die dort produzierten Botenstoffe fördern die Entwicklung chronischer Erkrankungen. "Der normale Body Mass Index liegt zwischen 18,5 und 25. Bei diesen Werten sollte stärker auf den Taillenumfang geachtet werden", kommentiert Pischon die aktuellen Leitlinien zur Definition von Übergewicht und Fettsucht. Der Mediziner erwartet eine Überarbeitung dieser Leitlinien. Damit helfen die Ergebnisse der Potsdamer Wissenschaftler, Gesundheitsrisiken genauer zu erfassen und die Vorbeugung zu verbessern. Die Wissenschaftler des DIfE beschränken sich nicht darauf, statistische Zusammenhänge zu ermitteln. Sie wollen verstehen, wie und warum die Krankheiten entstehen. Dazu verfolgt das Institut einen breiten interdisziplinären Ansatz. "Wir sind so etwas wie eine kleine medizinische Fakultät mit den wichtigsten Disziplinen: Innere Medizin, Pharmakologie, Physiologie, Biochemie, Genetik, Mikrobiologie und Epidemiologie", erklärt Hans-Georg Joost. Das Spektrum, das das Institut mit seinen sieben Abteilungen abdeckt, ist einzigartig für die Ernährungsforschung in Deutschland.


Gen gegen Diabetes

Die genetischen Ursachen von Übergewicht und Diabetes erforschen die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler an Mäusen; rund 12.000 der kleinen Nager leben im DIfE. Die Forscher identifizierten eine natürliche Genmutation, die Mäuse trotz fettreicher Kost schlank bleiben lässt und vor Diabetes schützt. Die Mutation schaltet das Tbc1d1-Gen aus. Dadurch wird mehr Fett in den Muskeln aufgenommen und die Fettverbrennung angekurbelt. Die Muskeln nutzen dann verstärkt Fett und weniger Glucose als Energiequelle. Dabei verbrauchen sie mehr Energie, und weniger Fett wird gespeichert: Das Risiko für Übergewicht und damit auch für Diabetes sinkt. "Es ist bemerkenswert, dass hier nicht das 'normale' Gen die Krankheit verhindert", sagt Joost. Erst die Mutation sorgt dafür, dass die Maus schlank bleibt. "Wir haben damit einen wichtigen Schalter gefunden", fasst der Mediziner zusammen. Er geht davon aus, dass die Ergebnisse auf den Menschen übertragen und zur Entwicklung von Medikamenten gegen Fettsucht genutzt werden können.

Auch das Krebsrisiko kann durch Übergewicht steigen. "Fettsucht ist neben Alkohol wahrscheinlich der Ernährungsfaktor, der am stärksten zum Krebsrisiko beiträgt", sagt Pischon. Bei Übergewichtigen steige das Risiko für Darm-, Brust-, Speiseröhren- und Nierenkrebs. Letzteres konnte anhand der EPIC-Studie bestätigt werden. Auch beim Verzehr von Fleisch ist Vorsicht geboten, das zeigt die Studie. Zu viel rotes und verarbeitetes Fleisch erhöht das Risiko, an Magen- und Dickdarmkrebs zu erkranken, und scheint bei der Entwicklung des Diabetes-Risikos ebenfalls eine Rolle zu spielen.

Warum manchmal scheinbar widersprüchliche Studien miteinander vereinbar sind, zeigen Arbeiten zur Rolle von Mikronährstoffen wie Vitamin E oder Selen bei der Krebsentstehung. "Man weiß schon sehr lange, dass Leute mit niedrigem Selen-Status häufiger an Krebs erkranken", erläutert Prof. Regina Brigelius-Flohé. In der SELECT-Studie (Selenium and Vitamin E Cancer Prevention Trial) kam heraus, dass eine Selensupplementierung nicht eindeutig der Entstehung von Krebs vorbeugt. In einigen Fällen traten sogar bestimmte Krebsarten nach der Einnahme des Spurenelements vermehrt auf. Metaanalysen zeigten schließlich, dass nur die Menschen von Selen profitierten, die zu Beginn der Studien einen niedrigen Selenspiegel hatten.

Auf der Suche nach den Ursachen fanden die DIfE-Wissenschaftler heraus, dass das selenhaltige Protein Glutathionperoxidase 2 - kurz GPx2 - nicht nur im Verdauungstrakt verstärkt vorhanden ist, sondern auch in Tumorzellen. An beiden Stellen fördert das Protein schnell wachsende Zellen. Dasselbe Selenoprotein hingegen wirkt auch entzündungshemmend und verhindert somit die Entstehung von Tumorzellen. "Das Anfangsstadium von Krebs kann man also durch Selengaben verhindern. Wenn der Tumor aber da ist, dann sollte man kein Selen geben", fasst Brigelius-Flohé zusammen. Sie warnt davor, Selen oder andere Mikronährstoffe einzunehmen, ohne genau zu wissen, wie hoch der eigene Selenspiegel ist. Ihr Tipp: "Ernähren Sie sich ausgewogen und treiben Sie Sport." Sport verursache einen moderaten oxidativen Stress und schütze den Körper vor krebsfördernden Radikalen durch die Stimulation der körpereigenen Schutzmechanismen. So kann oxidativer Stress wie eine Impfung wirken.

Deutscher Diabetes-Risiko-Test unter
http://www.dife.de/de/presse/Diabetes_Test_Fragebogen.pdf


Deutsches Institut für Ernährungsforschung Potsdam-Rehbrücke (DIfE)

Das Deutsche Institut für Ernährungsforschung Potsdam-Rehbrücke (DIFE) betreibt Forschung auf dem Gebiet Ernährung und Gesundheit. Ziel ist, die molekularen Ursachen ernährungsbedingter Erkrankungen zu finden und neue Strategien für Vorbeugung, Therapie und Ernährungsempfehlungen zu entwickeln. Die Grundlagen werden mit einem breiten Spektrum von naturwissenschaftlichen, medizinischen und epidemiologischen Methoden erarbeitet. Das Institut konzentriert sich besonders auf die zurzeit wichtigsten Erkrankungen, an deren Entstehung ernährungsbedingte Faktoren beteiligt sein können: Adipositas, Diabetes und Krebs.

Abteilungen: Molekulare Genetik; Pharmakologie; Klinische Ernährung; Epidemiologie; Ernährungstoxikologie; Gastrointestinale Mikrobiologie; Biochemie der Mikronährstoffe

Gründungsjahr: 1992
Wissenschaftlicher Vorstand: Prof. Dr. Dr. Hans-Georg Joost
Administrativer Vorstand: Dr. Hartmut Schulz
Mitarbeiter: 290 (davon 125 wissenschaftliche Mitarbeiter)
Gesamtbudget: 14,8 Mio. Euro
Institutionelle Förderung: 11,9 Mio. Euro
Drittmittel: 2,87 Mio. Euro

Kontakt: Dr. Gisela Olias,
Arthur-Scheunert-Allee 114-116, 14558 Nuthetal,
E-Mail: presse@dife.de
Internet: www.dife.de


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Quelle:
Leibniz - Journal der Leibniz-Gemeinschaft, Nr. 2/2009, Seite 18-19
Herausgeber: Leibniz-Gemeinschaft
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Telefon: 0228/30 81 52-10, Fax: 0228/30 81 52-55
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Jahresabonnment (4 Hefte): 16 Euro, Einzelheft: 4 Euro.


veröffentlicht im Schattenblick zum 5. September 2009