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HYGIENE/089: Krankenhaushygiene - Zu wenig Geld, zu wenig Personal und mangelndes Bewusstsein (SHÄB)


Schleswig-Holsteinisches Ärzteblatt 4/2011

Krankenhaushygiene
Zu wenig Geld, zu wenig Personal und mangelndes Bewusstsein

Von Jörg Feldner


Mehr Hygiene in Kliniken wird teurer - und das Geld ist nicht in Sicht. Das ist das Ergebnis einer Podiumsdiskussion zum Thema Hygiene in Kiel.


Eingeladen hatte Dr. Marret Bohn von den Grünen, einzige Ärztin unter den Landtagsabgeordneten. Die Zahlen sind dramatisch. Bohn sprach von jährlich 17.000 Todesfällen in Krankenhäusern durch nosokomiale Infekte. Noch höhere Zahlen nannte Dr. Bärbel Christiansen, Chef-Hygienikerin am UK S-H und Vorsitzende der Krankenhaushygienekommission am RKI: jährlich 850.000 Infekte mit wahrscheinlich eher 40.000 Todesfällen. Die Meldepflichten nach dem Infektionsschutzgesetz von 2002 hätten keine Verbesserung gebracht, MRSA steige in Deutschland ungebremst an; 26 Prozent aller Staphylococcus-aureus-Infektionen seien multiresistent.

Was wird dagegen unternommen? Die Bundesregierung legt ein Krankenhaushygienegesetz auf, das Land bereitet eine entsprechende Verordnung vor. Bernd Krämer von der Krankenhausgesellschaft Schleswig-Holstein bleibt trotzdem äußerst skeptisch: "Die von der Bundesregierung vorgesehenen 270 Hygienefachärzte, 1.800 Hygienebeauftragten und 1.300 Hygienefachkräfte gibt es einfach nicht." Trotzdem sei es besser, wenn Gesetz und Verordnung schnell kämen, meinte Dr. Johann Brunkhorst von der Techniker Krankenkasse, der zugleich seinen Vorschlag zur besseren Codierung erneuerte. Im Übrigen müssten Antibiotika restriktiver ("rationaler") verschrieben werden. Große Hoffnung setzte Christiansen auf ein erweitertes Screening mit dem Ziel "search and destroy" nach niederländischem Vorbild. Das rechne sich: Auf vier gescreente Patienten komme eine vermiedene Infektion mit multiresistenten Erregern. Einweisungen aus Pflegeheimen sollten grundsätzlich als verdächtig untersucht werden. Kolonisierte, jedoch nicht erkrankte Patienten sollten antiseptisch saniert werden - was fünf Tage dauere und nach acht Tagen überprüft werden müsse. Dann jedoch - Liegezeitenverkürzung - sei der Patient häufig schon entlassen. Ein Stichwort für Krämer: Die Kliniken müssen immer mehr Patienten aufnehmen, gleichzeitig die Liegezeiten verkürzen, haben jedoch nicht das Geld für mehr Pflegepersonal: "In 2010 sechs Prozent mehr Kosten bei 1,4 Prozent höheren Erlösen ..." Das führte zum - unbestrittenen - Zeitdruck der Reinigungskräfte. Christiansen präzisierte: Gedehnte Reinigungsintervalle, ungeschulte Reinigungskräfte mit ganz schwachen Deutschkenntnissen - da müssten auch die Arbeitgeber der Putzkräfte stärker in die Pflicht genommen werden. Aber auch Pflegekräfte und Ärzte müssten sorgfältiger werden: "Händedesinfektion ist Stand der Technik und hat damit Rechtskraft, aber nur 50 bis 80 Prozent der als Standard vorgesehenen Händedesinfektionen werden auch gemacht." Sie erwarte, dass die RKI-Richtlinien im Gesetz verbindlich gemacht werden.

Deutliche Stimmen kamen aus dem fachkundigen Publikum. Eine Krankenschwester: Studenten machen Probleme, wissen viel zu wenig über Hygiene. Christiansen bestätigte: "Jede erfahrene Pflegekraft hat mehr Hygienewissen als einer, der frisch von der Uni kommt." Ein Berufsschullehrer: Das Krankenhaus müsse die Gebäudereiniger mehr nachschulen. Ein Dermatologe sprach von stillschweigendem "under-reporting", bemängelte marode Bausubstanz, in der man immunsupprimierte Patienten nicht erfolgreich gegen Pilzinfektionen behandeln könne. Ein niedergelassener Chirurg: zu wenig Händedesinfektion vor allem in Praxen!

Für Irritation sorgte Dr. Renée Buck, Leiterin der Gesundheitsabteilung im Kieler Sozialministerium, mit der Ankündigung, im Bundesgesetz seien 2,5 Millionen Euro für mehr Hygiene im niedergelassenen Sektor vorgesehen. Zwischenrufe: "Peanuts!", "Milliarden, nicht Millionen!" TK-Sprecher Brunkhorst erklärte diese Summe für ein Ding der Unmöglichkeit: Wenn von bundesweit 2,5 Millionen Euro die üblichen 3,5 Prozent in Schleswig-Holstein ankämen, was bitteschön sei damit anzufangen?


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Gesamtausgabe des Schleswig-Holsteinischen Ärzteblatts 4/2011 im Internet unter:
http://www.aeksh.de/shae/2011/201104/h11044a.htm

Zur jeweils aktuellen Ausgabe des Schleswig-Holsteinischen Ärzteblatts:
www.aerzteblatt-sh.de


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Quelle:
Schleswig-Holsteinisches Ärzteblatt April 2011
64. Jahrgang, Seite 28
Herausgegeben von der Ärztekammer Schleswig-Holstein
mit den Mitteilungen der
Kassenärztlichen Vereinigung Schleswig-Holstein
Redaktion: Dr. Franz Bartmann (V.i.S.d.P.)
Bismarckallee 8-12, 23795 Bad Segeberg
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Das Schleswig-Holsteinische Ärzteblatt erscheint 12-mal im Jahr.


veröffentlicht im Schattenblick zum 13. Juli 2011