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RECHT/381: Universitätsklinikum Hamburg-Eppendorf - 18 Monate für falsche Ärztin (SH Ärzteblatt)


Schleswig-Holsteinisches Ärzteblatt 12/2008

Universitätsklinikum Hamburg-Eppendorf

18 Monate für falsche Ärztin


Als "falsche UKE-Ärztin" oder "heilende Hochstaplerin" sorgte Cornelia E. für bundesweite Aufmerksamkeit. Die Frau, die dreimal durch das Physikum gefallen war und sich trotzdem jahrelang als Ärztin ausgegeben hatte, musste sich am 19. November vor dem Hamburger Landgericht verantworten. Sie erhielt eine Freiheitsstrafe von 18 Monaten (für zwei Jahre zur Bewährung ausgesetzt) und eine Geldbuße von 3600 Euro.

Ein großer Pulk von Menschen drängte in den viel zu kleinen Zuschauerraum des großen Saals im Hamburger Landgericht. Zahlreiche Kameras und Mikrofone warteten auf eine blasse junge Frau. Über die heute 34-Jährige hatten die Hamburger Medien schon im Vorwege ausführlich berichtet: Wie sie trotz Scheiterns im Physikum einfach weiter studiert, ihre Approbationsurkunde gefälscht und am Universitätsklinikum Hamburg-Eppendorf (UKE) tausende Patienten behandelt hatte. Erfolgreich, wie ihr am Prozesstag ein Vorgesetzter und eine Gutachterin bescheinigten.

Der Fall erregt die Gemüter, bemerkte die Richterin. Zum einen, weil eine junge Frau mit wenig Erfahrung, die das Physikum nicht bestanden hat, trotzdem erfolgreich Medizin praktizieren konnte. Zum anderen, weil sie dafür eine erhebliche kriminelle Energie an den Tag gelegt hatte - und dafür Kollegen und Arbeitgeber, vor allem aber ihre Patienten täuschte. Ihre Schuld hatte Cornelia E. schon vor der Verhandlung eingeräumt, und dies gleich zu Beginn des Prozesses noch einmal wiederholt. Urkundenfälschung, Missbrauch von Berufsbezeichnungen und Betrug - keine Kavaliersdelikte. Ihr Anwalt forderte Mitgefühl für seine Mandantin ein und sprach von Tragik. Wie es dazu kommen konnte, schilderte Cornelia E. zum Verhandlungsauftakt: Sie berichtete von einem Elternhaus, in dem großer Wert auf die Ausbildung der Kinder gelegt wurde. Ihre Geschwister werden Tiermediziner und Wirtschaftsprüfer, sie selbst hatte sich schon früh für die Humanmedizin entschieden. Ein Scheitern war nicht vorgesehen. Als sie 1999 dennoch dreimal durch das Physikum fiel, fühlte sie sich "wie gelähmt". Weil sie sich aber schon vor der letzten Prüfung für die Kurse des nächsten Semesters eingetragen hatte, konnte sie weiter studieren, ohne dass jemand das hinterfragte. Sie machte Scheine wie ihre Kommilitonen, fiel nicht auf. Im Laufe der Jahre wurde es für sie immer schwerer, sich von ihrem Lebenstraum Medizin zu lösen - und immer leichter, mit der Lüge weiterzuleben. Irgendwann hatte sie alle Scheine zusammen, nur die Prüfungen fehlten. Um eine Stelle als Ärztin im Praktikum und später als Assistenzärztin zu bekommen, fälschte sie die dafür notwendigen Unterlagen und reichte Kopien ein. Die Vorlage für die Approbationsurkunde nahm sie sich ohne dessen Wissen von ihrem damaligen Lebenspartner, einem Arzt. Für diesen Schritt versuchte sie vor Gericht eine Erklärung: "Heute kann ich das schwer nachvollziehen. Ich hatte mich verstrickt in das Bild der erfolgreichen Medizinerin, obwohl ich wusste, dass dies eine Scheinwelt war. Ich hatte nicht die Kraft, mich daraus zu lösen."

Dazu trug auch bei, dass sie von allen Seiten Anerkennung erfuhr. Unter Kollegen war sie genauso beliebt wie bei den Eltern und Kindern in der Kinderklinik, in der sie tätig war. Zusammen mit Kollegen erhielt sie Auszeichnungen und hielt Vorträge. Mit ihrer Arbeit überzeugte sie über Jahre im UKE, aber auch bei ihren klinischen Tätigkeiten in Sydney, Zürich und Kapstadt. Doch zugleich fragte die Ärztekammer Hamburg immer drängender nach dem Original der Approbation. Als sie 2007 auf die Ultimaten der Körperschaft keinen Ausweg mehr wusste, verfiel die junge Frau auf eine abenteuerliche Idee: In einer Mail an die Ärztekammer gab sie sich als ihre Schwester aus und berichtete der Körperschaft, dass sie verstorben sei. Eine Nachfrage der Kammer beim UKE ließ den Schwindel auffliegen. In einem sofort anberaumten Gespräch mit der Klinikleitung gab die Frau alles zu.

Das vom Verteidiger eingeforderte Mitgefühl stellte sich bei manchen Prozessbeobachtern tatsächlich ein - immerhin hatte niemand körperlich Schaden genommen. Doch Staatsanwältin und Richterin gaben zu verstehen, dass die Vergehen der Angeklagten dennoch ernst zu nehmende Folgen haben. Denn die Frau hatte das Vertrauen ihrer Patienten missbraucht. Wer sich als Patient in eine Klinik begibt, so die Richterin in ihrer Urteilsbegründung, muss sich auf eines verlassen können: Dass die Menschen, die sich ihnen gegenüber als Arzt ausgeben, auch tatsächlich Ärzte sind. Dafür erhalten sie einen Vertrauensvorschuss von den Patienten. Die Staatsanwältin hielt ihr vor, in diesem Punkt "großen Schaden" angerichtet zu haben. Und sie machte deutlich, dass die Angeklagte noch großes Glück gehabt hat: Denn eigentlich hat sie als Nicht-Ärztin mit jedem verabreichten Medikament und mit jeder Braunüle und Spritze Körperverletzung begangen. Dass dies nicht zur Anklage kam, verdankt sie einem Glücksfall: Die Dokumentation im UKE hielt zwar fest, welcher Patient was verabreicht bekam - nicht aber, von wem. Auch das im Laufe der Jahre gezahlte Gehalt, immerhin rund 150.000 Euro, wird sie voraussichtlich nicht zurückzahlen müssen, da dem UKE keine finanziellen Nachteile entstanden sind.

Cornelia E. nahm das Urteil an und verzichtete auf weitere Rechtsmittel. Sie will einen Schlussstrich ziehen unter ihre Scheinwelt. Seit November arbeitet sie als Angestellte in einem medizinischen Unternehmen, das sie im pharmakologischen Marketing beschäftigt. Ihr Lebenstraum ist vorbei. (di)


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Gesamtausgabe des Schleswig-Holsteinischen Ärzteblatts 12/2008 im Internet unter:
http://www.aeksh.de/shae/2008/200812/h081204a.htm

Zur jeweils aktuellen Ausgabe des Schleswig-Holsteinischen Ärzteblatts:
www.aerzteblatt-sh.de


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Quelle:
Schleswig-Holsteinisches Ärzteblatt Dezember 2008
61. Jahrgang, Seite 76 - 77
Herausgegeben von der Ärztekammer Schleswig-Holstein
mit den Mitteilungen der
Kassenärztlichen Vereinigung Schleswig-Holstein
Redaktion: Dr. Karl-Werner Ratschko (V.i.S.d.P.)
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Das Schleswig-Holsteinische Ärzteblatt erscheint 12-mal im Jahr.


veröffentlicht im Schattenblick zum 31. Januar 2009