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RECHT/385: Beruflich bedingte Schädigung durch Toner-Stäube anerkannt (umg)


umwelt · medizin · gesellschaft - 1/2010
Humanökologie - soziale Verantwortung - globales Überleben

Rechtsprechung und Rechtsentwicklung

Von Wilhelm Krahn-Zembol


Toner-Schädigung

Erstmals hat jetzt ein Gericht in Deutschland eine beruflich bedingte Schädigung durch Toner-Stäube bei einem geschädigten Arbeitnehmer anerkannt. In dem von uns geführten Verfahren entschied das Sozialgericht Fulda mit Urteil vom 22. September 2009, den Beteiligten zugestellt Anfang November 2009, Aktenzeichen: S 4 U 119/06, dass dem geschädigten Arbeitnehmer Berufskrankheiten-Rente wegen des Vorliegens einer Berufskrankheit nach Nr. 4301 der Anlage 1 zur Berufskrankheitenverordnung zu zahlen ist, und zwar in einer Höhe der Minderung der Erwerbsfähigkeit von 20 %.(1)

Der betroffene Arbeitnehmer hatte in einer öffentlichen Dienststelle (Bundesgrenzschutz) gearbeitet und dort in einem Raum mit einer Größe von ca. 30 m² an zwei Kopiergeräten und einem Hochleistungsdrucker täglich 8.000 bis 15.000 Kopien gefertigt. Nach mehrjähriger Tätigkeit bekam er erhebliche Atmungsprobleme. Sein Gesundheitszustand verschlechterte sich zunehmend. Der behandelnde Arzt kam damals zu dem Ergebnis, dass der Kläger an seinem Arbeitsplatz als Vervielfältiger nicht verbleiben könne, was auch vom Arbeitsmedizinischen Dienst des Arbeitgebers bestätigt wurde.

Bei dem betroffenen Arbeitnehmer war es zu Hustenreiz, Fließschnupfen, Augentränen, Abfall der gemessenen maximalen Atemstromstärken um 23,7 % und einer Verschlimmerung der Asthmaerkrankung gekommen. Des weiteren wurde beim geschädigten Arbeitnehmer eine obstruktive Atemwegserkrankung in Form einer Rhinopathie diagnostiziert, welche dann auch aufgrund der erfolgten umfangreichen Beweisaufnahmen maßgeblich zu der Anerkennung einer BK 4301 der Anlage zur BKV geführt hat.

Nach Überzeugung der Kammer stand aufgrund der eingeholten ärztlichen Gutachten des Sachverständigen Herrn Prof. H. und Zusatzgutachten durch Herrn Dr. P. fest, dass bei dem Kläger eine ausgeprägte Reaktionslage der oberen Atemwege und damit eine allergische Atemwegserkrankung besteht. So waren von dem beauftragten Zusatzgutachter Expositionstestungen mit Tonerstaub erfolgt und zwar durch Aufbringung von Tonerstaub auf die Nasenschleimhaut. Bei dieser Testung kam es zu einem signifikanten Anstieg des nasalen Widerstandes mit Normalisierung der Werte in den darauf folgenden Tagen.

Durch die Expositionstestungen wurden dabei Reaktionen in Form von Hustenreiz, Halsschmerzen, Hautjucken, Stimmlähmung und Tränenfluss ausgelöst, welche durch psychogene Ursachen nicht erklärbar waren. Gleichzeitig fehlte es nach Auffassung des beauftragten Gutachters an Hinweisen dafür, dass die ausgeprägte Sensibilität der Schleimhäute des oberen Atemwegssystems bereits vor Aufnahme der beruflichen Tätigkeit als Vervielfältiger bestanden haben könnte. Dieses ließ sich auch aus früheren Begutachtungen unter anderem durch den Sachverständigen Prof. St. ableiten, wonach zahlreiche organspezifische Provokationstests sämtlich im Sinne einer Negativreaktion bewertet wurden. Daher könne auch ausgeschlossen werden, dass die Reaktion der Schleimhäute der Atemwege auf deren unspezifisch-hyperreagiblen Sensitivität beruhe, denn anderenfalls wäre bei den Provokationstestungen durch den früheren Sachverständigen eine positive Reaktion zu erwarten gewesen.

Nach den eindeutigen weiteren Feststellungen durch den Sachverständigen Prof. H. wurde die Erkrankung des Klägers auch als allergische Erkrankung bewertet.

Weiterhin stellt das Gericht fest, dass die Erkrankungen der oberen Atemwege als Berufskrankheit im Sinne der Nr. 4301 der Anlage 1 zur Berufskrankheitenverordnung anzusehen ist, da seit dem Inkrafttreten der Verordnung zur Änderung der Berufskrankheitenverordnung vom 22. März 1988 der Begriff der Berufskrankheit nach dieser Vorschrift um die Rhinopathie erweitert wurde und seitdem auch Erkrankungen der oberen Atemwege erfasst sind, während die Vorschrift zuvor ausschließlich auf Erkrankungen der unteren Atemwege beschränkt war.

Die festgestellte Rhinopathie wurde auch als obstruktiv eingeordnet, da von dem Zusatzgutachter festgestellt worden war, dass es zu einer teilweisen Verlegung der Nasenatmung kam, womit die Obstruktion (Verstopfung) belegt sei. Auch der Abfall des nasalen Flows von 30 % gegenüber dem Ausgangswert ohne Provokation belege, dass Tonerstaub bei dem Kläger obstruktiv wirke.

Auch habe die Rhinopathie des Klägers zur Aufgabe der ausgeübten (bzw. vergleichbarer) Tätigkeiten gezwungen, da er seit dieser Zeit nicht mehr beruflich tätig sei.

Wenn in früheren Sachverständigengutachten deshalb festgestellt worden war, dass keine obstruktive Atemwegserkrankung vorliege, so sei dieses unbeachtlich, da sich die damaligen Untersuchungen lediglich auf die unteren Atemwege bezogen hätten. Durchgehend fehle es in diesen Gutachten an konkreten Darlegungen im Hinblick auf die unter der Nr. 4301 der Anlage 1 zur Berufskrankheitenverordnung zu berücksichtigende Rhinopathie.

Insofern gingen auch sämtliche Ausführungen vor dem hier zu diskutierenden Hintergrund fehl, die sich auf die Berufskrankheit nach Nr. 4302 der Anlage 1 zur Berufskrankheiten-Verordnung beziehen würden, bei der eine Rhinopathie, also eine Erkrankung der oberen Atemwege nicht umfasst sei.

Streitgegenständlich war ebenfalls die Fragestellung, inwieweit Tonerstaub generell zu entsprechenden Schädigungen führen kann. Die Beklagte hatte hier durch ihren Beratungsarzt vortragen lassen, dass sich die Belastungen der Luft durch Tonerstaub, und zwar sowohl in Form von Staubpartikeln als auch durch flüchtige organische Substanzen, um mehrere Größenordnungen unterhalb etablierter arbeitshygienischer Grenzwerte bewegten, wie sie bei der Frage einer berufsbedingten Schädigung zu fordern seien. Zudem sei derzeitig nicht zu beantworten, inwiefern feine und feinste Partikel des Toners zu definierten Krankheitsbildern am Atmungsorgan führen könnten. Zudem fehle es derzeit an leistungsfähigen Aussagen zur Staubwirkung im Bereich kleinster Partikelgrößen auf das Atmungsorgan und an jeglichen epidemiologischen Untersuchungen bei Beschäftigen an Laserkopierern und -druckern. Darüber hinaus sei der konkrete Fall des Klägers auch deshalb ungeeignet, um eine kausale Diskussion über die Wirkung von Tonerstäuben oder weiteren Bestandteilen dieses komplexen Stoffgemisches zu führen, da der Kläger unzweifelhaft schon seit seiner Jugendzeit im Bereich der Atmungsorgane vorbelastet gewesen sei. Das Gericht räumt hier ein, dass dieses zwar in der Tat eine objektive Zusammenhangbeurteilung erschwert, dass dadurch jedoch nicht in Frage gestellt werden könne, dass der Sachverständige Dr. P. eine unmittelbare Reaktionslage der oberen Atemwege des Klägers auf Tonerstaub festgestellt hat, an deren objektiven Vorliegen die Kammer keinerlei Zweifel habe.

Darüber hinaus würden sich nach Einschätzung der Kammer auch theoretische, vom vorliegenden und hier allein zu beurteilenden Einzelfall abstrahierte Erwägungen zu der Frage erübrigen, ob eine kausale Beziehung zwischen der Tonerbelastung des Klägers während seiner versicherten Tätigkeit und der festgestellten Rhinopathie nach aktuellen, von großer Unsicherheit, wenn nicht gar Unwissenheit in weiteren Bereichen geprägten wissenschaftlichen Kenntnisstand belegt werden kann. Weiter argumentiert die Kammer damit, dass deshalb, weil die Reaktionslage der oberen Atemwege des Klägers auf Tonerstaub feststehe, ein kausaler Zusammenhang zur versicherten Tätigkeit des Klägers nur dann verneint werden könne, wenn der wissenschaftliche Kenntnisstand in einer Weise gesichert wäre, die objektiv die Verursachung durch die Exposition des Klägers während seiner versicherten Tätigkeit ausschließen würde. Dieses wäre aber weder durch die Beklagte noch die früher beauftragten Gutachter, welche eine Berufskrankheit ausgeschlossen hatten, festgestellt worden. Vielmehr würden auch diese Gutachter, die zu einem negativen Ergebnis gelangten, lediglich aufzeigen, dass nach wissenschaftlicher Einschätzung die notwendige Staubdosis zur Verursachung einer Krankheit nicht vorliege. Diese Stellungnahmen würden sich aber nur auf die tieferen Atemwege beziehen, während ausdrücklich offen bleibe, welche Auswirkungen feine und feinste Partikel des Toners insgesamt haben.

Des weiteren stellt das Gericht fest, dass eine Berufskrankheit im Sinne der Nr. 4302 der Anlage 1 zur Berufskrankheitenverordnung nicht festgestellt werden konnte. Denn von dieser weiteren Berufskrankheit würden Erkrankungen der oberen Atemwege im Gegensatz zur Nr. 4301 nicht erfasst, vgl. auch BSG, NZS 2008, 604, 605. Die Erkrankungen der tieferen Atemwege des Klägers seien hier jedoch nach übereinstimmender Einschätzung der Sachverständigen als berufsunabhängig zu bewerten.

Da die Anerkennung einer Berufskrankheit nach Nr. 4301 bzw. 4302 der Anlage zur BKV alternativ geltend gemacht worden war, stellte die Kammer insofern fest, dass der Kläger mit Anerkennung einer BK 4301 vollständig obsiegt hat.

Das vorliegende Verfahren wurde durch die beklagte Berufsgenossenschaft durch Berufung zur weiteren Überprüfung gebracht. Parallel hatten wir für den Kläger ebenfalls vorsorglich Berufung eingelegt, um die festgestellte Höhe der Minderung der Erwerbsfähigkeit von 20 % zu überprüfen.

Neben dem hier vorliegenden Berufungsverfahren sind zudem zahlreiche weitere gerichtliche Verfahren für Toner-Geschädigte über den Unterzeichner gerichtlich anhängig. Aufgrund der zahlreichen Schädigungsfälle und der bis heute sachlich und rechtlich äußerst unzureichend berücksichtigten Schädigungen durch Toner-Stäube und -Inhaltsstoffe sowie der inzwischen erfolgten, weitergehenden Nachweise entsprechender Schädigungsabläufe ist hier nicht nur zu hoffen, dass die entsprechenden Schädigungen entsprechend den gesetzlichen Vorgaben auch anerkannt werden, sondern dass auch für die Zukunft entsprechende Konsequenzen bei der Verwendung dieser Substanzen gezogen werden und das Gefährdungspotential erheblich reduziert wird.


Anmerkung

1) Unter der Berufskrankheitenziffer 4301 sind obstruktive Atemwegserkrankungen, einschließlich Rhinopathie, geregelt, welche durch allergisierende Stoffe verursacht wurden und die zur Unterlassung aller Tätigkeiten gezwungen haben, die für die Entstehung, die Verschlimmerung oder das Wiederaufleben der Krankheit ursächlich waren oder sein können. Die BK 4302 bezieht sich auf obstruktive Atemwegserkrankungen, welche durch chemisch-irritativ oder toxisch wirkende Stoffe verursacht wurden und die ebenfalls zur Unterlassung aller Tätigkeiten gezwungen haben, die für die Entstehung, die Verschlimmerung oder das Wiederaufleben der Krankheit ursächlich waren oder sein können.)


Kontakt:
Rechtsanwalt Wilhelm Krahn-Zembol
- Umweltrecht / Umweltmedizin, Toxikologie und Recht -
(als ausschließlicher Tätigkeitsbereich)
- bundesweit tätig -
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Tel.: 04131 / 93 56 56
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Quelle:
umwelt · medizin · gesellschaft Nr. 1/2010, (März 2010)
23. Jahrgang, S. 58-59
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veröffentlicht im Schattenblick zum 7. Juli 2010