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AUSLAND/1624: IPPNW kritisiert "Fortschrittsbericht Afghanistan" der Bundesregierung (IPPNW)


IPPNW - 14. Dezember 2010
Internationale Ärzte für die Verhütung des Atomkrieges / Ärzte in sozialer Verantwortung e.V.

IPPNW kritisiert "Fortschrittsbericht Afghanistan" der Bundesregierung

Sofortiger Waffenstillstand ist Bedingung für wirkliche Verbesserung der Gesundheit in Afghanistan


Der "Fortschrittsbericht Afghanistan 2010" der Bundesregierung über die Lage in Afghanistan bestärkt die Internationalen Ärzte für die Verhütung des Atomkrieges in ihrer entschiedenen Ablehnung des dortigen Krieges. "Der Krieg im Land und seine Auswirkungen auf die Versorgung der Menschen kommt in dem Kapitel zum Gesundheitswesen gar nicht vor", kritisiert Dr. med. Angelika Claußen, Vorsitzende der Ärzte für die Verhütung des Atomkrieges.

Die Aufzählung zahlreicher Indikatoren des Gesundheitswesens im Regierungsbericht soll die Verbesserung des afghanischen Gesundheitssystems seit 2001 auf niedrigem Niveau belegen. "Dabei wird aber wohlweislich darauf verzichtet, die angegebenen Daten in Bezug zu anderen Ländern oder zu Zielvorgaben der UNICEF oder WHO zu setzen", moniert die Medizinerin aus Bielefeld.

Ein Beispiel sei die seit 2002 reduzierte Sterblichkeitsrate bei gebärenden Müttern, die von 1.600 auf 1.400 Fälle bei 100.000 Lebendgeburten im Jahr 2010 fiel. Trotz aller Hilfsprogramme und der nach Afghanistan geschleusten Hilfsgelder ist das nach wie vor nach Sierra Leone die weltweit zweithöchste Müttersterblichkeitsrate.

Auch bei der Darstellung der Pro-Kopfausgaben für die Gesundheitsversorgung im Lande von $ 10,92 wird mit keinem Wort die Forderung der WHO erwähnt, die Ausgaben zwischen $ 15 und $ 30 pro Kopf für die Gesundheit für Länder im Krieg fordert.

Unerwähnt bleiben im Regierungsbericht auch die strukturellen Auswirkungen des Krieges auf die Gesundheitsversorgung in Afghanistan. Für Claußen gehören dazu die bleibende ungleiche Verteilung der Gesundheitsressourcen zwischen Stadt und Land. Bereits der Versuch kranker Menschen, Gesundheitsangebote zu erreichen, kann aufgrund der Kriegssituation sowohl in den städtischen Ballungszentren als auch auf dem Lande das Leben gefährden. Als Ärztin für Psychiatrie und Psychotherapie kritisiert sie besonders die völlig mangelhafte Versorgung der vielen kriegstraumatisierten Menschen.

Vom Internationalen Roten Kreuz ist bekannt, dass die Zahl der durch Waffeneinwirkung verwundeten Zivilisten in den Konfliktgebieten in diesem Jahr erheblich angestiegen ist. Laut Aussage von Reto Stocker, dem Delegationschef des Internationale Roten Kreuzes in Kabul, haben sich beispielsweise waffenbedingte Verletzungen bei der Zivilbevölkerung im August und September im vom Roten Kreuz unterstützten Mirwais Regional Hospital in Kandahar im Vergleich zum Vorjahr auf 1.000 Opfer verdoppelt.

"Auch wenn die Dokumentation der Kriegsopfer unter der Zivilbevölkerung mangelhaft ist, ist offensichtlich, dass der Krieg wieder einmal gerade sie trifft", so Dr. Claußen. Deswegen fordert sie im Namen der deutschen Ärzteorganisation "einen sofortigen Waffenstillstand und Friedensverhandlungen, die zu einem Abzug der NATO-Truppen führen. Das ist die Voraussetzung für eine Friedensperspektive in Afghanistan und eine wirkliche Verbesserung der Gesundheitsversorgung."


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Quelle:
Presseinformation der IPPNW - vom 14. Dezember 2010
Internationale Ärzte für die Verhütung des Atomkrieges /
Ärzte in sozialer Verantwortung e.V.
IPPNW-Geschäftsstelle, Körtestr. 10, 10967 Berlin
Sven Hessmann, Pressereferent
Tel.: 030-69 80 74-0, Fax: 030-69 38 166
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veröffentlicht im Schattenblick zum 15. Dezember 2010