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AUSLAND/1634: China - Spiel mit dem Tod, boomende Schönheitschirurgie wird kaum kontrolliert (IPS)


IPS-Inter Press Service Deutschland gGmbH
IPS-Tagesdienst vom 29. Dezember 2010

China: Spiel mit dem Tod - Boomende Schönheitschirurgie wird kaum kontrolliert

Von Mitch Moxley


Peking, 29. Dezember (IPS) - Als Wang Bei vor fünf Jahren im Finale des 'Super Girl'-Wettbewerbs stand, sah sich die junge Chinesin schon ganz nah am Ziel. Sie träumte davon, ein großer Popstar zu werden - und begab sich dafür unter das Messer eines Schönheitschirurgen.

Das Abenteuer endete tragisch, denn die 24-Jährige aus der zentralchinesischen Provinz Hubei verließ den Operationssaal als Leiche. Ein Unfall, wie es offiziell hieß. Die Öffentlichkeit reagierte jedoch alarmiert und forderte höhere Sicherheitsstandards, damit das boomende Geschäft mit der Schönheit kein Spiel mit dem Tod wird.

Allein 2009 wurden in der Volksrepublik rund 2,2 Millionen kosmetische Operationen durchgeführt. Das entsprach 12,7 Prozent aller weltweiten Eingriffe, wie die Gesellschaft für ästhetische plastische Chirurgie (ISAPS) berichtete. In staatlichen chinesischen Medien ist sogar von mehr als drei Millionen solcher Operationen die Rede. Offiziellen Statistiken zufolge arbeiten in China etwa 200.000 Menschen in diesem Wirtschaftszweig, der jährliche Einnahmen von umgerechnet 2,3 Milliarden US-Dollar hervorbringt.

Laut ISAPS ließen sich die meisten Menschen, die sich in China unter das Skalpell eines Schönheitschirurgen wagten, die Brüste vergrößern, Fett absaugen oder die Augenlider straffen. Vorschriften müssen die Operateure bisher kaum beachten. Eine wachsende Zahl gering qualifizierter und unerfahrener Ärzte arbeitet in diesem Bereich, um möglichst viel Geld zu verdienen. Wie die chinesische Konsumenten-Vereinigung herausfand, muss mehr als die Hälfte aller Patienten nach kosmetischen OPs wegen Folgebeschwerden behandelt werden.

In Wangs Fall bestätigten die Gesundheitsbehörden, dass die Frau am 15. November in Wuhan wegen Komplikationen während der Narkose starb. Sie wollte sich Gesichtsknochen abschleifen lassen, wie die amtliche Nachrichtenagentur Xinhua meldete. Zur gleichen Zeit ließ sich Wangs Mutter in der Klinik am Kiefer operieren.


Behörden versprechen strengere Kontrollen

Der Todesfall des Pop-Sternchens löste eine erregte Debatte in Internetforen aus. Viele Leute fanden, dass Wang niemals hätte unters Messer kommen dürfen. "Ich hoffe, die Tragödie führt den Menschen vor Augen, wie lasch die Kontrollen der Schönheitschirurgie sind", zitierte Xinhua aus einem Posting. "Sie war so hübsch, warum musste sie sich operieren lassen", fragte sich ein anderer Internetnutzer.

Das Gesundheitsministerium in Peking rief die lokalen Behörden auf, die Überwachung der Ärzte zu verschärfen. Außerdem wurde angekündigt, die Untersuchungsergebnisse ohne Verzögerung zu veröffentlichen.

Warum wollen plötzlich so viele Chinesen der Natur nachhelfen? Chen Huaran, der mehr als zwei Jahrzehnte in der plastischen Chirurgie tätig war, hat eine Erklärung für den Boom. Die Einkommen im Land stiegen, und die Menschen seien immer stärker auf ihr Äußeres fixiert, sagte er IPS. Die Schönheitschirurgie verzeichne daher ein jährliches Wachstum von 200 Prozent.

"Früher ließen sich meistens Schauspieler und Schauspielerinnen aus kosmetischen Gründen operieren", erklärte Chen. "Inzwischen wollen sich aber auch immer mehr normale Leute verschönern lassen, um leichter einen Job oder einen Ehepartner zu finden."

In den vergangenen Jahren berichteten die staatlichen Medien häufig darüber, dass Teenager und Hochschulabsolventen Schönheitschirurgen aufsuchten. Es fand sogar ein Miss-Wettbewerb unter den Operierten statt. Nicht jeder war allerdings nach dem Aufwachen aus der Narkose zufrieden. Im vergangenen Jahr kidnappte ein Patient in der Provinz Guangdong aus Wut über seine missratene Nase eine Krankenschwester und bedrohte sie mit dem Tod.

Nach Angaben der Konsumenten-Vereinigung wurden 2009 rund 2.970 Beschwerden über medizinische Eingriffe eingereicht. Ein Großteil bezog sich auf schiefgegangene kosmetische Operationen.

Seit diesem Jahr gelten in China Regelungen für die wiederherstellende Chirurgie. Für die Schönheitschirurgie gebe es jedoch noch keinerlei verbindliche Standards, kritisierte Chen. Die Regierung hat immerhin Nachbesserungen zugesichert.


Obligatorische Ausbildung für Schönheitschirurgen geplant

Im November organisierte das Gesundheitsministerium eine Konferenz über plastische Chirurgie. Wie Vizeminister Ma Xiaowei ankündigte, sollen Gesetze und Richtlinien überarbeitet werden. Schönheitschirurgen müssten zudem bald eine obligatorische Ausbildung durchlaufen, um ihren Beruf ausüben zu dürfen.

Kleinere kosmetische Eingriffe werden bisher nicht nur in Krankenhäusern, sondern auch in Schönheitssalons und Fitness-Clubs vorgenommen. Den Kunden werde vorgegaukelt, sie begäben sich in die Hände von Spezialisten, sagte Chen. Dabei sei zumeist genau das Gegenteil der Fall.

Li Bin, Geschäftsführerin des renommierten Yimeier-Krankenhauses für Plastische Chirurgie, berichtete von illegalen Kliniken, in denen Schönheitsoperationen zu niedrigen Preisen angeboten würden. Die Ärzte seien dort aber schlecht ausgebildet und die medizinischen Einrichtungen unzureichend. Li warnte davor, dass solche Kliniken oder Schönheitssalons auf Komplikationen während der Operationen nicht vorbereitet seien. Die Patienten begäben sich somit in große Gefahr. (Ende/IPS/ck/2010)


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veröffentlicht im Schattenblick zum 30. Dezember 2010