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AUSLAND/1823: Libyen - Engpässe im Gesundheitssektor, viele Patienten werden im Ausland behandelt (IPS)


IPS-Inter Press Service Deutschland gGmbH
IPS-Tagesdienst vom 13. April 2012

Libyen: Engpässe im Gesundheitssektor - Viele Patienten werden im Ausland behandelt

von Rebecca Murray


Kaltoum Alhadi will sich in Italien operieren lassen - Bild: © Rebecca Murray/IPS

Kaltoum Alhadi will sich in Italien operieren lassen
Bild: © Rebecca Murray/IPS


Tripolis, 13. April (IPS) - In einer Ecke des 'Tripoli Medical Centre' (TMC) in der libyschen Hauptstadt drängen sich jeden Tag viele Menschen, um eine ärztliche Behandlung im Ausland zu beantragen. Andere schauen nach, ob ihr Name endlich auf einer der ausgehängten Listen zu finden ist.

Kaltoum Alhadi Marwan gehört zu denjenigen, deren Antrag bewilligt wurde. Die 29-Jährige hat ein Visum für Italien erhalten, wo sie eine angeborene Knochendeformation im rechten Bein operieren lassen will. Sie ist nochmals in das größte Krankenhaus von Tripolis gekommen, um einen Scheck der libyschen Regierung für ihr Flugticket abzuholen.

Die Frau, die in der Verwaltung einer Klinik in der Stadt arbeitet, hat wenig Vertrauen in die Qualität der Gesundheitsversorgung in dem nordafrikanischen Land. "Ich hatte auch eine Missbildung in einem Finger und ließ mich deswegen in Tripolis operieren. Jetzt ist sie schlimmer als vorher", sagt sie.

Der Arzt Arbi Gomati, der in Großbritannien studierte und jetzt im TMC arbeitet, hat in der Klinik immer viel zu tun. Er ist einer von elf Medizinern, die darüber entscheiden, welche Patienten mit Unterstützung des Gesundheitsministeriums im Ausland weiterbehandelt werden. Solche Ausschüsse gibt es auch in den Städten Bengasi und Sebha, weitere fünf sollen noch gegründet werden.


Etwa 250 Krankenakten täglich durchgesehen

Seit dem vergangenen November habe sein Ausschuss täglich um die 250 Patientenakten geprüft, berichtet er. Etwa 20 Prozent der Kranken kommen für ein Visum in Betracht. Für gewöhnlich sind es Patienten, die an Krebs, Nierenversagen oder angeborenen Herzfehlern leiden. Außerdem werden Kinder zu Operationen außer Landes geschickt. Meistens finden diese Behandlungen in Deutschland, Frankreich, Großbritannien, Italien, Jordanien, Ägypten oder Tunesien statt.

"In Libyen gibt es Engpässe bei der medizinischen Versorgung", räumt Gomati ein. Selbst dort, wo es etwa moderne Geräte für Kernspintomographien gebe, fehlten gut ausgebildete Radiologen, die die Aufnahmen richtig interpretieren könnten. "Manchmal schicken wir die Patienten allein deshalb in andere Länder."

Da es nach dem Aufstand gegen das Regime von Machthaber Muammar al Gaddafi keine ausreichende Gesundheitsversorgung gegeben habe, sei den Behörden nichts anderes übriggeblieben, als im Ausland Hilfe für die vielen Patienten zu suchen, meint er. "Wir mögen dieses System aber nicht und würden es gern beenden."

Gomatis Komitee ist nicht Teil des Programms der Übergangsregierung zur Behandlung verwundeter Kämpfer in ausländischen Kliniken. Dieses staatliche Programm sorgte kürzlich für Unmut, nachdem bekannt geworden war, dass es auch zur Finanzierung von Schönheitsoperationen, Fruchtbarkeitsbehandlungen und ungebührlich langen Krankenhausaufenthalten missbraucht worden war und Rechnungen gefälscht worden sind. Die Unregelmäßigkeiten verursachten Kosten in Höhe von etwa 800 Millionen US-Dollar. Die peinliche Entdeckung zwang die Regierung, das Programm einer Überprüfung zu unterziehen.

Im Zentralen Hospital von Tripolis, das noch aus der italienischen Kolonialzeit stammt, hängen an den Wänden der Notaufnahme Plakate mit den Fotos von Menschen, die seit den Unruhen vor dem Sturz Gaddafis vermisst werden. "Es war gefährlich, nach draußen zu gehen. Aber auch in der Notaufnahme lauerten Gefahren. Die meisten Patienten trugen Waffen", erinnert sich der Chirurg Ezdeen Elnaam. Während der Kämpfe habe es an Ärzten, Pflegern und Medikamenten gefehlt.


Mangel an funktionsfähigen Geräten

Auch heute ist die Lage schwierig. "An manchen Tagen funktioniert der Computertomograph nicht und wir haben keine Ultraschallgeräte", berichtet Elnaams Kollege Naili Samar. Selbst die Sprecherin des Gesundheitsministeriums, Fawzia Toshani, macht keinen Hehl aus der misslichen Lage. "Die Krankenhäuser hier sind schrecklich", erklärt sie. Im neuen Staatshaushalt wurde dem Ministerium ein Etat von etwa 2,3 Milliarden Dollar zugeteilt. "Wir haben hier Probleme mit der Bürokratie, es gibt Misswirtschaft und Korruption", räumt sie ein.

Toshani zufolge gehen viele Medizinstudenten und Ärzte ins Ausland, weil sie dort eine bessere Ausbildung erhalten beziehungsweise mehr verdienen. In Libyen liegt ihr Gehalt in staatlichen Krankenhäusern bei umgerechnet durchschnittlich 800 Dollar im Monat. "Wenn die Patienten es sich leisten könnten, würden sie eher in Privatkliniken gehen. Es ist aber nicht gesagt, dass sie da besser betreut werden", fügte sie hinzu.

Der Allgemeinmediziner Rami Ben Ahmeida, der in dem privaten 'Libyan British Medical Centre' (LBMC) arbeitet, hält seine Klinik für die beste weit und breit. "Die Hygiene ist einwandfrei, das Personal ist gut und die Organisation klappt. Bei Operationen gibt es keine Wartelisten wie in dem staatlichen Hospital, wo man manchmal erst nach einem Monat einen OP-Termin bekommt."

Unter Gaddafi hatte sich eine Zwei-Klassen-Medizin entwickelt, die den wohlhabenden Bürgern und Unternehmern ermöglichte, sich in privaten Gesundheitseinrichtungen behandeln zu lassen. Ihr verdankt auch das LBMC seine Existenz.

Seit der politischen Wende ist die auf Erdöl basierende Wirtschaft dabei, sich zu erholen. Unternehmen und Investoren kehren zurück. Zugleich wird in dem Land über das neue Regierungssystem und die Zukunft der Gesundheitsversorgung debattiert. (Ende/IPS/ck/2012)

Links:
http://www.tmc.ly/
http://www.lsdc.med.ly/en/about.htm
http://ipsnews.net/news.asp?idnews=107356

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veröffentlicht im Schattenblick zum 14. April 2012