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AUSLAND/1844: Ärztemangel in Afrika - Migration der Mediziner (Securvital)


Securvital 2/2012 - April-Juni 2012
Das Magazin für Alternativen im Versicherungs- und Gesundheitswesen

Ärztemangel in Afrika

Mediziner wandern aus

Von Frank Kürschner-Pelkmann


In vielen afrikanischen Ländern ist die Gesundheitsversorgung katastrophal schlecht. Es fehlt an Arzneimitteln, Krankenstationen und Fachleuten. Unterdessen arbeiten Tausende von Ärzten, die in Afrika ausgebildet wurden, in Europa und Nordamerika.


Im südafrikanischen Mosambik ist ein Arzt für die medizinische Versorgung von mehr als 30.000 Menschen zuständig. Das ist der Landesdurchschnitt, aber die Hälfte aller Ärzte praktiziert in der Hauptstadt Maputo. Auf dem Lande mussten bereits zahlreiche Gesundheitszentren geschlossen werden. Es fehlt auch an Krankenschwestern und medizinischem Personal.

Wie Mosambik leiden viele andere afrikanische Länder unter einem katastrophalen Ärztemangel. In Liberia waren im Jahr 2010 nach blutigen Bürgerkriegen nur noch 51 Ärzte im Land verblieben. Insgesamt verfügt Afrika nur über ein Drittel der Ärzte, Krankenschwestern und Hebammen, die für die Grundversorgung der Bevölkerung erforderlich wären. Gleichzeitig sind viele Tausend in Afrika ausgebildete Ärzte in Europa, Nordamerika und Australien tätig. Die Mehrheit der Ärzte des westafrikanischen Staates Benin z.B. arbeitet nicht im eigenen Land, sondern in Frankreich.

Die Migration von Medizinern trifft vor allem die Länder, deren Bedarf besonders groß ist - sei es durch Bürgerkriege, AIDS und tiefes Elend großer Bevölkerungsgruppen. So leben 24 Prozent aller Menschen auf der Welt mit HIV/AIDS in Afrika, aber hier praktizieren nur zwei Prozent der Mediziner.

Kürzlich berichtete das renommierte "British Medical Journal", wie teuer die Ärzteabwanderung für Afrika ist. In neun ausgewählten afrikanischen Staaten sei durch die Auswanderung von Medizinern nach Großbritannien, Kanada, Australien und in die USA ein Schaden von 2,2 Milliarden Dollar entstanden. So viel hat die Schul- und Universitätsausbildung der ausgewanderten Ärzte gekostet.


Katastrophale Zustände

Umgekehrt haben diese Länder Milliardenbeträge für die Ärzteausbildung im eigenen Land gespart. In dem Fachbericht heißt es: "Viele wohlhabende Aufnahmeländer, die weniger Ärzte als benötigt ausbilden, sind auf eingewanderte Ärzte angewiesen, um das Defizit auszugleichen. Auf diese Weise zahlen Entwicklungsländer faktisch die Ausbildung von medizinischem Fachpersonal in der Gesundheitsversorgung entwickelter Länder."

Kritiker der Untersuchung wenden ein, dass stärker berücksichtigt werden müsse, dass viele Mediziner erst nach sechs oder sieben Jahren Arbeit im eigenen Land ins Ausland gehen, also schon einen erheblichen Teil ihrer Ausbildungskosten zuhause "abgearbeitet" haben. Auch kehren viele ausgewanderte Ärzte später in die Heimat zurück und können hier ihre zusätzlich erworbenen Kenntnisse einsetzen. Außerdem schicken die Ärzte in Übersee viel Geld an ihre Verwandten in der Heimat, wovon die ganze Wirtschaft armer Länder profitiert.

Dennoch stellt die Auswanderung vieler Tausend Ärzte ein gravierendes Problem für afrikanische Länder dar. Zu Recht stellt Michael Clemens vom "Center for Global Development" in Washington fest, man müsse die Ursachen der Migration wie die katastrophalen Arbeitsbedingungen und die niedrigen Löhne beseitigen: "Dass Menschen weggehen, ist ein Symptom, nicht die Krankheit." Als vor einigen Jahren Ärzte in Uganda befragt wurden, äußerte die Hälfte, sie wollten das Land verlassen, um ihre Arbeits- und Lebensbedingungen zu verbessern.

Dr. George Pariyo von der Weltgesundheitsorganisation WHO hat in Afrika festgestellt: "Einer der größten Faktoren der Demotivierung besteht darin, dass ein Arzt, der ausgebildet wurde, um zu helfen, sich in einem abgelegenen Krankenhaus wiederfindet, wo es so wenig Ausstattung, Personal und Medikamente gibt, dass ihm die Hände gebunden sind." Auch eine hohe Kriminalität und die Sorge um die Zukunft der eigenen Kinder tragen zur Entscheidung bei, der Heimat den Rücken zu kehren. Das ist in Südafrika der Fall, wo die gesellschaftlichen Kosten durch die Migration von Medizinern laut "British Medical Journal" höher sind als in allen anderen untersuchten afrikanischen Ländern zusammen.


Vom Kongo nach Südafrika

Und die Abwerbung geht weiter. Ein Blick in die Fachzeitschrift "South African Medical Journal" zeigt, wie begehrt südafrikanische Mediziner sind: Bis zu 90 Prozent der Stellenanzeigen kommen von Gesundheitseinrichtungen in Übersee. Südafrika schließt die Lücken, die diese Abwanderung einheimischer Ärzte hinterlässt, mit Medizinern aus anderen afrikanischen Ländern. Wer beispielsweise im Kongo die Chance hat, das Bürgerkriegsland mit seinem zusammengebrochenen Gesundheitssystem und der ständig drohenden Gewalt zu verlassen, für den mag das Land am Kap wie ein Paradies erscheinen.

Nicht nur Afrika ist von der Abwanderung von Ärzten und Krankenschwestern in reiche Länder betroffen, sondern zum Beispiel auch die Philippinen, wo fast die Hälfte aller Krankenschwestern im Ausland arbeitet. In einigen karibischen Staaten sind es mehr als drei Viertel. Auch aus osteuropäischen Ländern sind Tausende medizinische Fachkräfte nach Westeuropa ausgewandert, um hier die Lücken im Krankenhaus- und häuslichen Pflegebereich zu füllen.

Ein wichtiger Beitrag der Industrieländer zur Beendigung des Exodus besteht darin, im eigenen Land eine ausreichend große Zahl von Ärzten auszubilden und niemanden abzuwerben. Gleichzeitig gilt es, so Dr. Pariyo, "das Recht der Menschen auf Migration zu respektieren".


Ungleiche Verteilung

Weltweit fehlen über vier Millionen Ärzte und Fachkräfte im Gesundheitswesen, schätzt die Weltgesundheitsorganisation WHO. Während in Deutschland ein Arzt für 200 Einwohner zur Verfügung steht, gibt es im afrikanischen Tschad nur einen Arzt für 25.000 Menschen. Die Ein WHO-Kodex empfiehlt, dass Industrieländer nicht aktiv Ärzte aus Entwicklungsländern abwerben. Jeder Staat sollte den eigenen Bedarf an Medizinern ausbilden. Die Realität sieht zurzeit anders aus. Nach den neuesten OECD-Zahlen arbeiten etwa 170.000 Ärzte und 250.000 Krankenschwestern aus Asien, Afrika und der Karibik in den Industriestaaten.


Eingewanderte Ärzte aus Übersee

In Neuseeland stammen fast 40 Prozent aller Ärztinnen und Ärzte aus dem Ausland. Auch in Irland und Großbritannien sind es über 30 Prozent. In Deutschland arbeiten etwa 6.000 Ärzte aus Asien, Afrika und Lateinamerika, insgesamt sind etwa fünf Prozent der hiesigen Ärzte im Ausland ausgebildet. Japan verzichtet fast ganz auf ausländische Ärzte.

Neuseeland
Irland
Großbritannien
USA
Australien
Schweiz
Kanada
Finnland
Dänemark
Deutschland
Österreich
Japan
38,9 %
35,5 %
31,5 %
25,9 %
23,0 %
22,5 %
17,9 %
11,7 %
6,1 %
5,2 %
4,1 %
0,9 %

Quelle: OECD 2010

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Quelle:
Securvital 2/2012 - April-Juni 2012, Seite 32-34
Das Magazin für Alternativen im Versicherungs- und Gesundheitswesen
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veröffentlicht im Schattenblick zum 31. Mai 2012