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AUSLAND/2083: Griechenland - Ärzte ohne Grenzen-Report zur Situation von Migranten (ÄoG)


Ärzte ohne Grenzen - 1. April 2014

Griechenland: Ärzte ohne Grenzen fordert ein Ende der unwürdigen Bedingungen in Auffanglagern für Migranten und Asylsuchende



Athen/Berlin, 1. April 2014. Migranten und Asylsuchende in Griechenland haben nur unzureichenden Zugang zu medizinischer Versorgung. Viele werden monatelang auf Polizeistationen und im Abschiebelager in Komotini festgehalten und dies unter unwürdigen Bedingungen. Griechenland hat derzeit die EU-Ratspräsidentschaft inne. Ärzte ohne Grenzen fordert die griechische Regierung und die Europäische Union auf, diese Praxis zu beenden und die Migranten und Asylsuchenden medizinisch adäquat zu versorgen.

Seit 2008 betreut Ärzte ohne Grenzen Migranten und Asylsuchende in griechischen Auffanglagern medizinisch und psychologisch. In dem heute von der Organisation veröffentlichten Bericht "Invisible Suffering" ("Unsichtbares Leiden") werden die massiven physischen und psychischen Schäden aufgeführt, die der monatelange Gewahrsam bei den Betroffenen verursacht. Ihre medizinische Versorgung ist in der Regel mangelhaft. Teilweise gibt es sie gar nicht. Das führt unter anderem dazu, dass schwerkranke Insassen nicht versorgt werden oder ihre nötige Behandlung abbrechen mussten.

"Innerhalb von sechs Jahren haben wir mehr als 9.000 Behandlungen in Auffanglagern und auf Polizeistationen durchgeführt. Und obwohl wir immer wieder dazu aufgerufen haben, die medizinische Versorgung zu verbessern, ist nur wenig passiert", kritisierte Apostolos Veizis, Landeskoordinator von Ärzte ohne Grenzen in Griechenland. Und weiter: "Die Lage scheint sich sogar zu verschlechtern."

Seit die griechische Polizei im Jahr 2012 die Operation "Xenios Zeus" gegen nicht registrierte Einwanderer gestartet hat, ist die die Zahl der Migranten und Asylsuchenden, die in Gewahrsam genommen wurden, in die Höhe geschossen. Zeitgleich wurden die Kapazitäten deutlich ausgeweitet. Es gibt fünf weitere Abschiebelager und 4.500 zusätzliche Plätze für Migranten. Der Gewahrsam wird systematisch für die vollen 18 Monate verhängt. Die sanitären Zustände und die alltägliche Versorgung allerdings bleiben mangelhaft.

"Das Lager in Komotini kann man nicht einmal Tieren zumuten. Es ist sehr schmutzig. Die Toiletten funktionieren nicht. Die Rohre sind kaputt. Exkremente aus dem ersten Stock fallen hinunter ins Erdgeschoss. Menschen werden fast die ganze Zeit eingeschlossen. Wir dürfen nur morgens und abends jeweils eine Stunde in den Hof. Und das auch nicht jeden Tag. Komotini ist kein Auffanglager - es ist ein Stall für Tiere." (Zitat eines 28-Jährigen, sieben Monate lang in Gewahrsam)

Gerade besonders bedürftige Personengruppen wie Minderjährige, Folteropfer, Menschen mit Behinderungen oder chronisch Kranke werden besonders lange in Lagern festgehalten. Migranten und Asylsuchende sind in Griechenland auch auf Polizeistationen in Gewahrsam, wo die Zustände besonders beklagenswert sind - die Insassen dürfen oft eine sehr lange Zeit nicht ins Freie, bis zu 17 Monate lang.

Wenn Menschen an überfüllten Orten festgehalten werden, wo unzureichend geheizt wird, die Luft schlecht ist, nicht genügend warmes Wasser zur Verfügung steht und sie nicht genug Zeit im Freien verbringen können und außerdem schlecht ernährt werden, treten Erkältungs-, Magen-Darm-, Haut- und muskuläre Erkrankungen auf. Die Haftbedingungen wirken sich auch auf die Psyche aus: Angststörungen, Depressionen und psychosomatische Erkrankungen treten bei vielen von ihnen auf. Verzweifelte Migranten treten auch immer wieder in Hungerstreiks, verletzen sich selbst oder versuchen sich umzubringen.

"Als ich mit meiner Arbeit in den Auffanglagern begonnen habe, war ich schockiert. Mal abgesehen von dem minimalen Raum, auf dem die Menschen untergebracht werden, sind die hygienischen Bedingungen ein großes Problem. Die Latrinen sind in einem fürchterlichen Zustand." (Zitat eines Mediziners von Ärzte ohne Grenzen)

Ärzte ohne Grenzen ruft die griechischen Behörden dazu auf, dringend ihrer Verpflichtung nachzukommen, einen permanenten und angemessenen Zugang zu medizinischer Versorgung für Migranten und Asylsuchende zu gewährleisten. "Auch die anderen EU-Mitgliedstaaten und die europäischen Institutionen können sich nicht weiter vor ihrer Verantwortung drücken", sagte Ioanna Kotsioni, Beraterin für Migrationsfragen von Ärzte ohne Grenzen. "Die Ankunftsländer geraten unter immer stärkeren Druck, Migrationsströme durch Abschreckung einzudämmen, indem sie die Migranten in Gewahrsam nehmen. Sie können nicht alleine für das Leid verantwortlich gemacht werden, das sie Migranten und Asylsuchenden zufügen."

Darüber hinaus fordert Ärzte ohne Grenzen Griechenland und die EU dazu auf, der willkürlichen, systematischen und immer längeren Ingewahrsamnahme von Migranten und Asylwerbern ein Ende zu setzen. Es muss in ein Aufnahmesystem investiert werden, das den körperlichen, medizinischen und humanitären Bedürfnissen von Migranten und Asylbewerben gerecht wird.


Seit 2004 unterstützt Ärzte ohne Grenzen Migranten medizinisch und humanitär, die in europäischen Auffanglagern in Griechenland, Malta und Italien festgehalten werden. In Griechenland reagiert Ärzte ohne Grenzen seit 2008 auf die dringenden medizinischen und humanitären Bedürfnisse neu ankommender Migranten, sowie von Migranten und Asylsuchenden, die von den Behörden festgehalten werden. Für diese Einsätze werden ausschließlich private Spenden verwendet. Zwischen 2013 und 2014 hat Ärzte ohne Grenzen in sechs Auffanglagern für Migranten im Norden Griechenlands gearbeitet und die Lage auf 27 regulären Polizeiwachen, Grenzpolizei- und Küstenwache-Stationen und in Abschiebe-Zentren in ganz Griechenland untersucht.


Link zum Bericht:
www.aerzte-ohne-grenzen.de/griechenland-report-2014

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Quelle:
Ärzte ohne Grenzen
Am Köllnischen Park 1, 10179 Berlin
Pressestelle: Telefon: 030/22 33 77 00
E-Mail: office@berlin.msf.org
Internet: www.aerzte-ohne-grenzen.de


veröffentlicht im Schattenblick zum 3. April 2014