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AUSLAND/2257: Brasilien - Dschungelkrankenhäuser und Sieg über die Malaria (IPS)


IPS-Inter Press Service Deutschland GmbH
IPS-Tagesdienst vom 30. Juni 2015

Brasilien: Dschungelkrankenhäuser und Sieg über die Malaria
Die wohl besten Hinterlassenschaften eines hoch umstrittenen Megadamms

von Mario Osava


Bild: © Mario Osava/IPS

In Altamira wird das modernste Krankenhaus im gesamten brasilianischen Amazonasgebiet eröffnet
Bild: © Mario Osava/IPS

ALTAMIRA, BRASILIEN (IPS) - Etliche Krankenhäuser und die Ausrottung der Malaria könnten als die wichtigsten Hinterlassenschaften des umstrittenen Belo Monte-Staudamms in die Geschichte Brasiliens eingehen. So ist die Zahl der Malaria-Infektionen in den vergangenen Jahren erheblich zurückgegangen.

In sechs Gemeinden, die sich im Umkreis des geplanten Wasserkraftwerks befinden, wird ein Aktionsplan zur Bekämpfung der Tropenkrankheit umgesetzt. Im Zeitraum 2011 bis 2015 sank die Zahl der Malaria-Fälle um fast 96 Prozent: von 3.298 auf 141. In zwei Gemeindebezirken sei seit Anfang des Jahres bis Mai keine einzige Neuinfektion aufgetreten, berichtet José Ladislau, Mediziner in der Gesundheitsabteilung von 'Norte Energia'. Das Konsortium aus privaten und staatlichen Firmen hat die Konzession für den Bau und den Betrieb von Belo Monte über einen Zeitraum von 35 Jahren erhalten.

"In den vergangenen zwei Jahren ist niemand in Brasil Novo an Malaria erkrankt. Das ist die beste aller Neuigkeiten", so Noedson Carvalho, der in der Gemeinde für den Gesundheitssektor zuständig ist. Brasil Novo liegt 45 Kilometer vom Xingú-Fluss entfernt, an dem das riesige Wasserkraftwerk mit einer Stromerzeugungskapazität von 11.233 Megawatt entsteht.


Flächendeckende Verteilung von Moskitonetzen

Malaria, eine im Amazonasgebiet verbreitete Krankheit, sei eine Begleiterscheinung der Armut in ländlichen Gebieten, betont Ladislau. Die Infektionsrate im Xingú-Becken gehörte früher zu den höchsten im ganzen Land. Die Zahl der Krankheitsfälle ist inzwischen in weiten Teilen des nordbrasilianischen Bundesstaats Pará, wo der Fluss verläuft, zurückgegangen. Erreicht wurden diese Fortschritte durch die massenhafte Verteilung von mit Insektiziden behandelten Moskitonetzen sowie durch Früherkennungsmaßnahmen und gezielte medizinischen Behandlungen.

Norte Energia hat elf Millionen US-Dollar für die Gesundheit der im Umkreis des Staudamms lebenden Bevölkerung bereitgestellt. Mit den Geldern wurden Labore eingerichtet sowie der Kauf von Fahrzeugen und Moskitonetzen finanziert. "Belo Monte hat Brasil Novo etwas gegeben, das es aus eigener Kraft in Jahrhunderten nie erreicht hätte", sagt Carvalho, der auf ein 42-Betten-Krankenhaus und fünf Basis-Gesundheitszentren verweist.


Bild: © Mario Osava/IPS

Abwässer auf den Straßen von Altamira
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Das ehemals private Hospital ist mittlerweile eine kommunale Versorgungseinrichtung. Im April 2014 musste es aus finanziellen Gründen zunächst schließen. Den etwa 22.000 Einwohnern von Brasil Novo stand damit kein Krankenhaus mehr zur Verfügung. Der massive Zustrom von Arbeitern aus anderen Landesteilen, die an dem Bau von Belo Monte beteiligt sind, hat aber die Nachfrage nach Gesundheitsdienstleistungen steigen lassen. "Jeden Monat werden hier im Schnitt 30 Kinder geboren. Es war schlimm, kein Krankenhaus vor Ort zu haben", sagt Carvalho.

In Brasil Novo wurden zudem mehrere Gesundheitsposten eingerichtet beziehungsweise modernisiert, um eine Grundversorgung zu gewährleisten. Schwerkranke werden nach Altamira verlegt, die mit geschätzten 140.000 Einwohnern größte Stadt im Umkreis.

Die Stadtverwaltung von Brasil Novo bewerkstelligte die Renovierung des Krankenhauses über den PDRS, einen von Norte Energia bezuschussten regionalen Entwicklungsplan. In dem nun staatlichen Hospital sind die Behandlungen für alle kostenlos. PDRS ergänzt das Umweltprojekt PBA, das von dem Konsortium umgesetzt wird. Auf diesem Weg sollen elf Gemeinden entschädigt werden, die durch das Wasserkraftwerk Nachteile erleiden.


Hohe Entwicklungsauflagen

Die Investitionen in diese Projekte belaufen sich auf insgesamt 1,2 Milliarden US-Dollar. Noch nie wurde im Rahmen eines Megaprojekts in Brasilien so viel Geld für lokale Entwicklungszwecke bereitgestellt. Die Zusagen waren die Voraussetzung für die Erteilung der für das Bauprojekt notwendigen Umweltgenehmigungen. Sie machen 14 Prozent des Gesamtbudgets für den Bau des Kraftwerks aus.

Drei neue und drei instandgesetzte Krankenhäuser bilden die hauptsächliche Gesundheitsinfrastruktur der betroffenen Gemeinden. Das größte Hospital in Altamira mit 104 Betten, zehn davon auf der Intensivstation, wird in Kürze eröffnet. Das bisherige städtische Krankenhaus mit 98 Betten wird in eine Klinik für Mütter und Neugeborene umgewandelt.

"Der Plan ist, eine starkes Gesundheitsnetzwerk in der Region zu schaffen, mit einem Schwerpunkt auf der medizinischen Erstversorgung", erklärt Ladislau. Norte Energia hat zu diesem Zweck 30 Basis-Gesundheitsstationen in fünf Gemeinden eingerichtet, sieben davon in Altamira. Jährlich wurden bisher etwa 1.500 Kinder unter fünf Jahren in dem städtischen Krankenhaus in Altamira behandelt, die meisten wegen Durchfall. Ladislau rechnet damit, dass die Diarrhö-Fälle weiter zurückgehen, wenn die Familien erst ihre Pfahlbauten verlassen haben werden, um Staudamm-bedingt woanders neu anzufangen.


Bild: © Mario Osava/IPS

Gesundheitszentrum in dem Viertel São Joaquim. Dort leben Familien aus dem Gebiet, das durch den Bau des Belo Monte-Staudamms geflutet wird
Bild: © Mario Osava/IPS

Das Megaprojekt ist aus einer Vielzahl von Gründen jedoch höchst umstritten. Rund 9.000 Familien, darunter viele Indigene, müssen dem geplanten, 502 Quadratkilometer großen Stausee weichen und verlieren somit ihre Heimat. Darüber hinaus wurden große Teile des Regenwaldes gerodet. Zusammen mit dem Stausee werden somit riesige artenreiche Areale unwiederbringlich verloren gehen.

Umweltschützer befürchten, dass das Wasserkraftwerk, das den enormen Energiehunger des Landes stillen soll, dem Amazonasgebiet den Todesstoß versetzen und eine Klimakatastrophe auslösen wird. Zudem setzt der Zuzug von zigtausenden Bauarbeitern das Amazonas-Ökosystem weiter unter Druck. Schließlich müssen diese Menschen ernährt und mit Wasser und Strom versorgt werden.

Inzwischen liegt ein Bericht der brasilianischen Staatsanwaltschaft vor, wonach es in 55 Fällen zu Vertragsbrüchen durch Energia Norte gegenüber den lokalen Bauern und Fischern gekommen sein soll, die im Zuge des Projektes umgesiedelt wurden.

Kritisiert wird ferner, dass lokale Gemeinden wie Brasil Novo kaum an den Einnahmen aus den Lizenzgebühren beteiligt werden. Auch ist nicht sicher, dass der viel gepriesene Krankenhausbetrieb in der Region auf lange Sicht aufrechterhalten kann. Dank des staatlichen Programms 'Mehr Ärzte' wird es zumindest keinen Mangel an Medizinern geben. Tausende kubanischer Ärzte wurden bereits zur Versorgung der Menschen im brasilianischen Hinterland angeworben. (Ende/IPS/ck/30.06.2015)


Links:

http://www.ipsnews.net/2015/06/amazon-dam-also-brings-health-infrastructure-for-local-population/
http://www.ipsnoticias.net/2015/06/hidroelectrica-amazonica-deja-rastro-de-salud-para-poblacion/

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Quelle:
IPS-Tagesdienst vom 30. Juni 2015
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veröffentlicht im Schattenblick zum 2. Juli 2015

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