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ARTIKEL/1510: Arzt-Patientenbeziehung - Patientenbeteiligung statt Paternalismus (SH Ärzteblatt)


Schleswig-Holsteinisches Ärzteblatt 5/2019

Patienten
Beteiligung statt Paternalismus

von Dirk Schnack


Neues Rollenverständnis erfordert Zeit: Damit sie Patienten in ihrer Entscheidungsfindung unterstützen können, müssen Ärzte von anderen Aufgaben entlastet werden.


Das paternalistische Verhältnis von Ärzten zu Patienten gehört längst der Vergangenheit an. Patientenbeteiligung gilt als erstrebenswert, aber noch nicht in dem Maß erreicht, wie es von vielen gewünscht wird. So kritisiert etwa der Schlaganfall-Ring Schleswig-Holstein, dass Patienten nicht alle Informationen zugänglich sind, die Fachkreisen offen stehen. Die Patientenorganisation räumt zwar ein, dass ein Verhältnis "auf Augenhöhe" gar nicht von jedem Patienten erwünscht sei und die wenigsten die Fachkreisen zugänglichen Informationen bewerten könnten. Ihr Vorsitzender Jürgen Langemeyer betont aber auch: "Das ist kein Grund, sie uns vorzuenthalten."

Einig sind sich die meisten, dass die Position der Patienten in den vergangenen Jahren gestärkt wurde. Dies dürfte auch daran liegen, dass Ärzte heute ein anderes Rollenverständnis haben. Das zeigt sich etwa in den Gesprächen der Patientenombudsleute in Schleswig-Holstein, die in ihrer vermittelnden Tätigkeit in aller Regel auf aufgeschlossene Ärzte treffen.

Damit die Entwicklung weitergehen kann, hält Dr. Henrik Herrmann weitere Reformen für erforderlich. Der Präsident der Ärztekammer Schleswig-Holstein sagt: "Wir sind gefordert, noch mehr Zeit für Begleitung, Beratung und Gespräche einzusetzen. Keine Zeit ist in dieser Frage keine Antwort." Damit Ärzte diese Zeit bekommen, ist nach seiner Ansicht mehr Kooperation und Arbeitsteilung erforderlich. "Ärzte müssen andere Aufgaben, die auch von anderen Gesundheitsberufen erfüllt werden können, abgeben. Und die von ihnen eingesetzte Zeit muss angemessen bezahlt werden." Er warnt zugleich davor, die von den Patienten gewünschte Entwicklung zu ignorieren oder auszusitzen. Die Forderung nach mehr Beteiligung wird nach seiner Überzeugung in den kommenden Jahren noch zunehmen.


Politik ohne Vertrauen?

Patienten auf Augenhöhe: Nicht immer lässt sich dieses Ziel erreichen. Ob Reformen helfen, ist strittig.

In der Theorie sind Patienten selbstbewusst und kritisch und vertreten ihre Rechte auch gegenüber den Fachleuten im Gesundheitswesen. In der Realität gelingt das nicht jedem. "Oftmals fühlen sich Patienten allein gelassen und verunsichert", heißt es auf den Seiten des Bundesgesundheitsministeriums bei der Einleitung für das 2013 in Kraft getretene Patientenrechtegesetz. Der Gesetzgeber hoffte damals, dass "ein informierter und mit ausreichenden Rechten ausgestatteter Patient Arzt, Krankenkasse oder Apotheker auf Augenhöhe gegenübertreten" kann. Er sollte Angebote hinterfragen, Leistungen einfordern und so dazu beitragen können, "dass ein wirkungsvoller Wettbewerb im Gesundheitssystem stattfindet." Weil "unser Gesundheitswesen diesem Anspruch nicht immer gerecht wird", so das Ministerium, wurden mit dem Gesetz Rechte und Pflichten der Patienten im Behandlungsverhältnis zusammenfassend geregelt.

Es ist nur ein Beispiel von vielen Anstrengungen des Gesetzgebers, mit denen man die Position der Patienten stärken wollte:

  • 2004 wurde die Position der Beauftragten der Bundesregierung für die Belange der Patienten geschaffen. Aktuell besetzt ist sie mit der schleswig-holsteinischen Ärztin Prof. Claudia Schmidtke).
  • Im Gemeinsamen Bundesausschuss (G-BA) nehmen zahlreiche Patientenvertreter aktiv ihr Mitberatungsrecht wahr.
  • Die Unabhängige Patientenberatung Deutschland (UPD) soll kostenfreie Hilfe und Beratung bieten.

Nicht immer müssen Politik und Gesetzgeber Initiatoren für die Patientenrechte sein. In allen Bundesländern gibt es Gutachterkommissionen und Schlichtungsstellen für Arzthaftungsfragen, damit Patienten, die sich durch ärztliche Handlungen geschädigt fühlen, eine gutachterliche Stellungnahme erhalten. Ein anderes Beispiel ist das 2005 gegründete Aktionsbündnis Patientensicherheit. In ihr sind Vertreter der Gesundheitsberufe, ihrer Verbände und der Patientenorganisationen zusammengeschlossen, um eine gemeinsame Plattform zur Verbesserung der Patientensicherheit in Deutschland aufzubauen. Patientenorganisationen, Krankenhäuser, Fachgesellschaften, Berufsverbände, Selbstverwaltung, Krankenkassen, Haftpflichtversicherer, Hersteller und Beratungsfirmen sowie Einzelpersonen aus allen Bereichen des Gesundheitswesens arbeiten im Aktionsbündnis zusammen.

Die Liste ließe sich fortsetzen. Dennoch zweifeln viele Menschen, dass sie als Patient eine starke Position im deutschen Gesundheitswesen besitzen. Die Bundearbeitsgemeinschaft (BAG) Selbsthilfe etwa hält weitere Reformen für erforderlich, damit gesetzlich Versicherte zügigeren Zugang zu Diagnose- und Behandlungsmöglichkeiten erhalten. Der G-BA, der über die Aufnahme medizinischer Leistungen in den Katalog der gesetzlichen Krankenversicherung entscheidet, müsse stärker an Fristen gebunden werden, forderte die BAG kürzlich und begrüßte zugleich den Vorstoß von Bundesgesundheitsminister Jens Spahn, der neue GKV-Leistungen ohne GBA-Beschluss durchsetzen möchte. Außerdem will die Organisation erreichen, dass Patientenvertreter stärker beteiligt werden, wenn Methoden ohne die bisher üblichen, oft langwierigen Prüfungen des Ausschusses Patienten erreichen sollen.

Dass Patienten keineswegs schon die Stellung im Gesundheitswesen haben, die sie sich selbst wünschen, zeigte auch eine Veranstaltung Ende 2018 in Kiel. Das vom Innovationsfonds geförderte Projekt am Universitätsklinikum Schleswig-Holstein (UKSH) zu shared decision making (sdm) wurde damals vorgestellt. Als Arzt Dr. Eckart von Hirschhausen zur Auftaktveranstaltung Menschen über ihre Erfahrungen im Gesundheitswesen befragte, kamen ernüchternde Antworten wie "Ohne Gesundheitscoach sind ältere Patienten verloren." Hirschhausen sparte an diesem Tag wie berichtet nicht mit Kritik an den eigenen Kollegen: "Informierte Patienten werden von uns oft als lästig empfunden." Das sdm-Projekt erprobt, wie gemeinsame Entscheidungsfindung gelingen kann.

Einer, der bei der Vorstellung des sdm-Projektes aufmerksam zugehört hat, ist Volker Dornquast. Der Vorsitzende des Vereins Patientenombudsmann/frau Schleswig-Holstein beobachtet, dass es auch heute noch Patienten gibt, die Ärzten mit einer gewissen Unterwürfigkeit und Gutgläubigkeit gegenübertreten - ein nach seiner Ansicht nachvollziehbares Rollenverständnis, schließlich tritt der Patient mit dem Wunsch nach Heilung an den Arzt heran. Er hält diese Grundhaltung nicht für richtig, sondern wünscht sich kritische Patienten, die gezielt nachfragen. Im Gespräch mit dem Schleswig-Holsteinischen Ärzteblatt betont er aber auch: "Es hat sich schon vieles positiv entwickelt. Wir befinden uns auf einem guten Weg."

Der Patientenombudsverein vertritt seit über 20 Jahren die Belange von Patienten, Pflegebedürftigen und ihren Angehörigen und wirkt vermittelnd bei Meinungsverschiedenheiten mit den Akteuren des Gesundheitswesens. Sein Erfolg basiert auf der breiten Basis seiner Mitgliedsorganisationen: Neben dem Land Schleswig-Holstein sind Gesundheitsinstitutionen wie Ärztekammer, Kassenärztliche Vereinigung und Apothekerkammer, aber auch Krankenkassen, Krankenhäuser, Ärztenetze, Pflegeeinrichtungen und soziale Einrichtungen Mitglieder im Verein. Das gewährleistet, dass nicht einseitig Partei ergriffen, sondern nach Lösungen gesucht wird. Nach Angaben von Dornquast verhalten sich die Ärzte in den Gesprächen mit den Ombudsleuten in aller Regel offen und aufgeschlossen.

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Info - Der Verein Patientenombudsmann-/frau vertritt mit vier Patientenombudsleuten und einer Pflegeombudsfrau die Belange von Patienten, die unzufrieden sind mit Behandlung oder Pflege. Weitere

Informationen: www.patienten-ombudsmann.de
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Was aber muss passieren, damit die Entwicklung weitergeht? Dornquast rät dazu, keine übertriebenen Erwartungen zu wecken. "Das medizinische Wissen liegt bei den Ärzten. Als Besserwissende haben sie die Aufgabe, Patienten über alle Schritte zu informieren und sie in die Lage zu versetzen, selbstständig Entscheidungen zu treffen." Politik und Gesetzgeber sieht er in dieser Frage nicht gefordert. Weitere Reformen oder neue Gesetze sind für ihn nicht das Mittel der Wahl, um für eine stärkere Position der im deutschen Gesundheitssystem zu sorgen.

Ob Patienten Ärzten überhaupt auf Augenhöhe begegnen möchten, ist auch für Jürgen Langemeyer nicht pauschal zu beantworten. Der Vorsitzende des Schlaganfallrings Schleswig-Holstein sagt: "Es gibt Patienten, die sich dem Profi anvertrauen, ohne sich mit dem Gesundheitsproblem auseinandersetzen zu wollen. Das muss kein Nachteil sein. Ich halte das für eine Position, die legitim ist und die auch der traditionellen Entwicklung unseres Gesundheitssystems entspricht." Was nicht bedeutet, dass sich Langemeyer nicht mehr Informationen für die Patienten wünscht, die sich stärker mit ihrer Erkrankung auseinandersetzen möchten. Im Gegenteil: Er sieht ein starkes Ungleichgewicht in der Bereitstellung von Informationen für Fachkreise und für Patienten. Beispiel Heilmittelwerbegesetz: Langemeyer musste auf Kongressen, auf denen er eingeladen war, über die Patientenposition zu berichten, schon den Saal verlassen, wenn es um Studienergebnisse aus der Arzneimittelforschung ging. "Wir erhalten als Patienten keinen Zugang zu echten Qualitätsinformationen. Und dann wird uns vorgeworfen, dass wir mit Informationen, die wir über Google gefunden haben, in die Praxen kommen", sagt Langemeyer. Er räumt zwar ein, dass viele Patienten die von ihm gewünschten Qualitätsinformationen nicht bewerten könnten, sagt aber auch: "Das ist kein Grund, sie uns vorzuenthalten."

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Info


- Der Schlaganfallring Schleswig-Holstein unterstützt Patienten dabei, nach einem Schlaganfall motiviert an der eigenen Genesung zu arbeiten und bietet Hilfe zur Selbsthilfe.

Weitere Informationen: www.schlaganfall-ring.de
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Ärzte hätten damit nach seiner Wahrnehmung kein Problem. Verantwortlich sieht er die Politik: "Gesundheitspolitik traut Patienten generell wenig zu. Das Klima, Patienten aktiv einzubeziehen, ist nicht da", lautet seine Erfahrung nach mehreren Jahren als Vertreter einer Organisation, die sich ihre Position im Gesundheitswesen mühsam erarbeiten musste. Dies zeigt sich nach seinen Angaben auch bei Förderprogrammen. So sind etwa für den Versorgungssicherungsfonds des Landes Patientenorganisationen nicht antragsberechtigt. Oder bei der Selbsthilfeförderung: Hier hat der Gesetzgeber festgelegt, dass Krankenkassen darüber entscheiden, welche Organisationen der Patienten gefördert werden. Langemeyers Fazit fällt deshalb ernüchternd aus: "Patienten werden noch immer zu wenig einbezogen."


Gesamtausgabe des Schleswig-Holsteinischen Ärzteblatts 5/2019 im Internet unter:
http://www.aeksh.de/shae/2019/201905/h19054a.htm

Zur jeweils aktuellen Ausgabe des Schleswig-Holsteinischen Ärzteblatts:
www.aerzteblatt-sh.de

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Quelle:
Schleswig-Holsteinisches Ärzteblatt
72. Jahrgang, Mai 2019, Seite 1 und 6 - 7
Herausgegeben von der Ärztekammer Schleswig-Holstein
mit den Mitteilungen der Kassenärztlichen Vereinigung
Schleswig-Holstein
Bismarckallee 8-12, 23795 Bad Segeberg
Telefon: 04551/803-272, -273, -274,
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Das Schleswig-Holsteinische Ärzteblatt erscheint 12-mal im Jahr.


veröffentlicht im Schattenblick zum 19. Juni 2019

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